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Verbotenes Kraftfahrzeugrennen – Rennbegriff und Gefahrzurechnung

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen – Rennbegriff und Gefahrzurechnung

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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P und H entschließen sich beim Warten an einer Ampel spontan zu einem Rennen mit ihren Wägen. In Kenntnis und Billigung der damit verbundenen Gefahren für Dritte, überholt H die P in einer nicht einsehbaren Kurve. Dabei kollidiert H mit einem entgegenkommenden Golf. Der Fahrer des Golfs (O) stirbt.

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Einordnung des Falls

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen – Rennbegriff und Gefahrzurechnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Handelt es sich hier um ein Kraftfahrzeugrennen, obwohl P und H sich zuvor nicht kannten und sich rein spontan entschlossen haben, sich miteinander zu messen (§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB)?

Genau, so ist das!

Ein Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Aus dem Schutzzweck der Norm (Sicherheit des Straßenverkehrs) ergibt sich, dass es einer vorherigen Absprache nicht bedarf. Der Entschluss ein Rennen zu fahren kann vielmehr auch spontan und konkludent gefasst werden.H und P geht es darum, sich mit ihren Fahrzeugen und Fahrkünsten zu messen. Dass H und P sich zuvor nicht kannten, ist für die Annahme eines Kraftfahrzeugrennens dabei unbeachtlich. Das Rennen findet im öffentlichen Straßenverkehr und ohne behördliche Genehmigung (§ 46 Abs. 2 S. 1, 3 StVO), also unerlaubt, statt. Hinsichtlich der Teilnahme handelten beide vorsätzlich.
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2. Durch ihr Überholmanöver hat H Leib und Leben eines anderen Menschen gefährdet (§ 315d Abs. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen erfüllt den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht, wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht (=Beinahe-Unfall) und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht. H ist infolge ihres Manövers mit dem entgegenkommenden Golf kollidiert. Insofern lag nicht nur ein für die Tatbestandsverwirklichung ausreichender "Beinahe-Unfall" vor, sondern die konkrete Gefahr für Leib und Leben eines anderen Menschen hat sich letztlich sogar realisiert. H handelte auch bezüglich der Gefährdung zumindest bedingt vorsätzlich.Vergegenwärtige Dir in Deiner Prüfung stets die Struktur des § 315d StGB. Die Teilnahme an einem illegalen Rennen ist auch ohne Gefährdung nach § 315d Abs. 1 StGB strafbar. Tritt aber eine konkrete Gefährdung für eines der in Absatz 2 genannten Rechtsgüter, so ist dann zusätzlich der objektive Tatbestand der Qualifikation erfüllt. Die Qualifikation kann sowohl vorsätzlich, als auch fahrlässig (§ 315d Abs. 4 StGB) erfüllt werden.

3. Da H durch ihr Verhalten auch den Tod des Golffahrers verursacht hat, hat sie zudem die Erfolgsqualifikation aus § 315d Abs. 5 StGB verwirklicht.

Ja!

§ 315d Abs. 5 StGB enthält eine Erfolgsqualifikation und schützt kumulativ die Sicherheit des Straßenverkehrs und daneben Leib und Leben bestimmter natürlicher Personen. § 315d Abs. 5 StGB ist erfüllt, wenn der Täter in den Fällen des § 315d Abs. 2 StGB, also durch eine vorsätzlich begangene Tat nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 oder 3 StGB, die zu einem vom Vorsatz umfassten Gefahrerfolg geführt hat, wenigstens fahrlässig (§ 18 StGB) den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht hat. Zwischen der Tat nach § 315d Abs. 2 StGB und der schweren Folge muss ein Gefahrverwirklichungszusammenhang bestehen.In Fs Tod hat sich der von H billigend in Kauf genommene Gefahrerfolg verwirklicht. Somit besteht der notwendige Gefahrverwirklichungszusammenhang. Tateinheitlich (§ 52 StGB) mitverwirklicht ist hier zudem die Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB.

4. Kann Hs Rennverhalten der P im Rahmen einer mittäterschaftlichen Begehung zugerechnet werden (§ 25 Abs. 2 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine wechselseitige Zurechnung von Tatbeiträgen im Rahmen der Mittäterschaft ist bei eigenhändigen Delikten nicht möglich. Ein eigenhändiges Delikt liegt vor, wenn der Täter nur durch sein eigenes Handeln persönlich den Tatbestand erfüllen kann. Dabei kommt es darauf an, dass die Täterschaft an eine bestimmte Ausführungshandlung gebunden ist, sodass das maßgebliche Unrecht in einem eigenen verwerflichen Tun liegt und nicht in erster Linie aus der Gefährdung oder Verletzung eines Rechtsguts hergeleitet wird.Mit der Tathandlung „teilnehmen“ ist im Grundtatbestand die Mitwirkung als Kfz-Führer gemeint. Kfz-Führer ist aber nur derjenige, der das Kfz unter Beherrschung seiner Antriebskräfte in Bewegung setzt oder das Kfz unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung ganz oder zum Teil lenkt. Da Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB lediglich an eine Handlungsweise anknüpft, ist er ein eigenhändiges Delikt. Gleiches gilt damit auch für die Qualifikation aus § 315d Abs. 2 StGB, die an den Grundtatbestand anknüpft.

5. In Bezug auf den Gefährdungserfolg kommt für P eine Nebentäterschaft in Betracht.

Ja, in der Tat!

Der Ausschluss einer mittäterschaftlichen Begehung schließt die Möglichkeit einer Nebentäterschaft nicht aus. Haben mehrere Rennteilnehmer einen Verursachungsbeitrag zu ein und derselben konkreten Gefährdung von Individualrechtsgütern erbracht und besteht der erforderliche innere Zusammenhang, so hat jeder Rennteilnehmer für sich den objektiven Tatbestand verwirklicht. Es ist lediglich erforderlich, dass sich die Teilnehmer bei Eintritt der Gefährdung in derselben Rennsituation befinden und zwischen den Beiträgen und dem Erfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.

6. Stellt bereits die Rennteilnahme der P einen hinreichenden Verursachungsbeitrag im Hinblick auf die eingetretene konkrete Gefährdung dar (§ 315d Abs. 2 StGB)?

Nein!

BGH: Die von jeder Rennteilnahme ausgehende abstrakte Gefahr muss sich in Bezug auf die eingetretene Gefährdung eines geschützten Rechtsguts zu einer konkreten Gefährdung verdichtet haben (mitursächlicher Beitrag). Die bloße Beteiligung an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen, in dessen Verlauf es zu konkreten Gefährdungen im Sinne des Abs. 2 kommt, reicht zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestands nicht aus (RdNr. 27).

7. P hat Hs Überholvorgang provoziert und währenddessen noch beschleunigt, um in Führung zu bleiben. Hat P die konkrete Gefährdung von O mitverursacht (§ 315d Abs. 2 StGB)?

Genau, so ist das!

Ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen erfüllt den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht, wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht (=Beinahe-Unfall) und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht.P blieb zwar, anders als H, auf ihrer Fahrspur und ihr Fahrzeug ist auch nicht mit dem Golf von O kollidiert. Jedoch hat sie H zum Überholvmanöver veranlasst und diesen durch das eigene Beschleunigen noch verlängert. Insoweit besteht auch der notwendige innere Zusammenhang zwischen Ps Verhalten und der eingetretenen Gefährdung.

8. P erkannte zwar, dass sie H durch die Fortsetzung des Rennens zum Überholen provozierte, ging aber davon aus, es „werde schon alles gutgehen“. Scheidet damit eine Strafbarkeit im Hinblick auf die Qualifikation aus (§§ 315d Abs. 2, Abs. 4 StGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Im Hinblick auf den Grundtatbestand aus § 315d Abs. 1 StGB muss der Täter vorsätzlich handeln. Dagegen kann die Qualifikation sowohl vorsätzlich (§ 315d Abs. 2 StGB) als auch fahrlässig (§§ 315d Abs. 2, Abs. 4 StGB) verwirklicht werden (sog. Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination. P vertraute trotz des erkannten Risikos darauf, dass es zu keiner Schädigung Dritter kommen würde. Insoweit handelte sie zumindest (bewusst) fahrlässig und hat sich somit nach §§ 315d Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 4 StGB strafbar gemacht.Je nach Klausurschwerpunkt musst Du die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit äußerst sorgfältig vornehmen und sämtliche Hinweis im Sachverhalt ausschöpfen.

9. Hat P auch die Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB verwirklicht?

Nein!

Die Erfolgsqualifikation aus § 315d Abs. 5 StGB setzt neben der vorsätzlichen Verwirklichung des Grundtatbestands auch eine vorsätzliche Gefährdung voraus. Liegt im Hinblick auf die eingetretene konkrete Gefährdung (Abs. 2) lediglich Fahrlässigkeit vor (Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination, Abs. 4), so scheidet die Erfolgsqualifikation aus.Da P im Hinblick auf die Gefährdung lediglich fahrlässig gehandelt hat, hat sie nicht zusätzlich die Erfolgsqualifikation verwirklicht.Da - anders als bei H - die Erfolgsqualifikation bei P nicht einschlägig ist, wäre in einer Klausur bei P zusätzlich noch die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) zu prüfen und zu bejahen. Diese steht in Tateinheit zu §§ 315d Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 4 StGB. Auch hinsichtlich P kommt zudem die vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs in Betracht (§ 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB).

10. P und H sind nicht vorbestraft und können deshalb beide damit rechnen, lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt zu werden (§ 315d StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundlage für die Zumessung der Strafe ist die Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB). Die Strafzumessung ist dabei ureigenste Aufgabe des Tatrichters und durch die Revision nur sehr eingeschränkt überprüfbar. Bei der Festsetzung der Strafe muss der Richter sich allerdings an den für die jeweiligen Delikte vorgegebenen gesetzlichen Rahmen halten (sog. Strafrahmen).Sämtliche Delikte wegen derer sich P strafbar gemacht hat, sehen als Mindeststrafe eine Geldstrafe vor. Bezüglich P wäre eine Geldstrafe somit zumindest möglich. Demgegenüber ist das verbotene Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge (§ 315d Abs. 5 StGB) mit einer Mindeststrafe von einem Jahr strafbewehrt und sieht selbst für einen minder schweren Fall eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten vor. H kann somit allenfalls auf eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung hoffen.Im zugrundeliegenden Fall war H zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden.Referendare aufgepasst: Bei Verkehrsdelikten ist zusätzlich auch immer an die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die Einziehung des Führerscheins sowie die Sperre für die Neuerteilung (§ 69a StGB) zu denken!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MO

Monika

6.8.2024, 23:55:14

Bei einer Erfolgsqualifikation ist doch mindestens Fahrlässigkeit nötig, nicht aber Vorsatz ?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

22.8.2024, 15:42:23

Hallo Monika, danke für Deine Frage. Eine Strafbarkeit nach §

315d

Abs. 5 StGB setzt zunächst voraus, dass die Voraussetzungen des §

315d

Abs. 2 StGB vorliegen. Damit muss also eine vorsätzlich begangene Tat nach §

315d

Abs. 1 Nr. 2 oder 3 StGB vorliegen, die zu einem vom Vorsatz umfassten Gefahrerfolg geführt hat. §

315d

Abs. 2 StGB sieht selbst keine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vor, diese ist nur in §

315d

Abs. 4 StGB normiert. Der in §

315d

Abs. 5 StGB normierte Erfolg hingegen muss wenigstens fahrlässig (§ 18 StGB) verursacht worden sein. Hier ist, wie Du richtig sagst, kein Vorsatz erforderlich. In dem Fall hier scheitert die Strafbarkeit des P daran, dass P bereits keinen Vorsatz bzgl. der Gefährdung nach §

315d

Abs. 2 StGB hat (weil er sich denkt, dass „schon alles gut gehen wird“). Somit kommt nur eine Strafbarkeit nach §§

315d

Abs. 2, Abs. 4 StGB in Betracht. 

Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen.


 Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team


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