Fall Bebauungszusammenhang

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Dwight (D) erbt auf Insel R ein Baugrundstück, das Teil eines ehemaligen Gartenbaubetriebs war. Er will dort ein zweieinhalbgeschossiges Doppelhaus mit einer Grundfläche von 16m x 28m bauen. Ein Bebauungsplan existiert nicht. D fragt Jurastudentin F nach der Norm für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit.

Diesen Fall lösen 74,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Fall Bebauungszusammenhang

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Vorhaben muss sich an den bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen messen lassen, wenn es eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB darstellt.

Genau, so ist das!

Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 30ff. BauGB ist das Vorliegen einer baulichen Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB. Übrige Vorhaben unterliegen im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) und im Außenbereich (§ 35 BauGB) planungsrechtlich keinen Schranken. Solche Vorhaben müssen sich in einem Planbereich (§ 30 BauGB) aber an Festsetzungen halten, die unmittelbar aus einem Bebauungsplan folgen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Ds geplantes Doppelhaus stellt eine bauliche Anlage i.S.d § 29 Abs. 1 BauGB dar.

Ja, in der Tat!

Der bauplanungsrechtliche Anlagenbegriff erfasst Anlagen, die (1) in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden werden und die (2) die in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren können, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen, die ihre Zulässigkeit regelt (bodenrechtliche Relevanz). Maßstab dafür ist nicht das konkrete Vorhaben, sondern seine gedachte Häufung. Angesichts seiner geplanten Nutzung, der Flächenversiegelung und Größe ist das Doppelhaus jedenfalls geeignet, Belange des § 1 Abs. 5 S. 2, Abs. 6 Nr. 4 (Erhaltung vorhandener Ortsteile) und Nr. 7 a) BauGB (Umweltschutz) zu tangieren.

3. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Ds Vorhaben richtet sich nach § 30 Abs. 1 BauGB, § 30 Abs. 2 BauGB oder § 30 Abs. 3 BauGB.

Nein!

Liegt das Grundstück, auf dem gebaut werden soll, im Geltungsgbereich eines Bebauungsplans, ist entweder § 30 Abs. 1 BauGB (qualifizierter Bebauungsplan) oder § 30 Abs. 2 BauGB (vorhabenbezogener Bebauungsplan) oder § 30 Abs. 3 BauGB (einfacher Bebauungsplan) einschlägig. Ds Projekt liegt ausweislich des Sachverhalts nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.

4. Entscheidend für die Anwendbarkeit von § 34 BauGB (unbeplanter Innenbereich) ist der Bebauungszusammenhang.

Genau, so ist das!

Der Bebauungszusammenhang ist eine vorhandene und aufeinander folgende Bebauung, die nach der Verkehrsauffassung trotz eventuell vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt.

5. Das Wohnhaus auf Seestraße Nr. 42 schließt den Bebauungszusammenhang der Wohnhäuser auf den Grundstücken Seestraße Nr. 46a-44 ab.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Bebauungszusammenhang ist eine vorhandene und aufeinander folgende Bebauung, die nach der Verkehrsauffassung trotz eventuell vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Baulücken sind unbebaute, aber bebauungsfähige Grundstücke. Das Wohnhaus auf Seestraße 42 ist nach Norden hin zum Seeufer abgesetzt. Daraus ergibt sich jedoch keine Querorientierung Richtung Seeufer, die den Bebauungszusammenhang beendet. Die Bebauung ist vielmehr insgesamt zur Seestraße orientiert und stellt eine typische Uferbebauung dar. Das tiefer liegende und kleinere Haus auf Seestraße 42 hat von sich aus auch nicht die Kraft und Bedeutung die Bebauung entlang der Seestraße nach Osten im Sinne einer Querorientierung abzuschließen.

6. Die fünf Wohngebäude auf den Grundstücken Seestraße 46a, 46, 44, 42 und 40 bilden einen Bebauungszusammenhang.

Ja!

Der Bebauungszusammenhang ist eine vorhandene und aufeinander folgende Bebauung, die nach der Verkehrsauffassung trotz eventuell vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Baulücken sind unbebaute, aber bebauungsfähige Grundstücke. Die fünf Wohngebäude bilden nördlich der Seestraße eine bandartig verlaufende Bebauung. Diese Bebauung ist aufeinanderfolgend, geschlossen und vermittelt den Eindruck der Zusammengehörigkeit. Der Bebauungszusammenhang schließt jedenfalls die Wohngebäude auf den Grundstücken Seestraße 46a, 46, 44, 42 und 40 ein.

7. Die Stützmauer und der Weg zwischen dem Grundstück Seestraße 40 und der zu beurteilenden Freifläche schließt den Bebauungszusammenhang der Wohnhäuser auf den Grundstücken Seestraße Nr. 46a-40 ab.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Bebauungszusammenhang ist eine vorhandene und aufeinander folgende Bebauung, die nach der Verkehrsauffassung trotz eventuell vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Baulücken sind unbebaute, aber bebauungsfähige Grundstücke. Eine kleine Stützmauer und ein Weg haben von sich aus auch nicht die Kraft und Bedeutung die Bebauung abzuschließen.

8. Schon aufgrund der reinen Größe der Lücke zwischen dem Wohnhaus auf Seestraße Nr. 40 und dem Wohnhaus auf Seestraße Nr. 38/38a (65-70m) scheidet eine Baulücke aus.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Bebauungszusammenhang ist eine vorhandene und aufeinander folgende Bebauung, die nach der Verkehrsauffassung trotz eventuell vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Baulücken sind unbebaute, aber bebauungsfähige Grundstücke. Die isolierte Größe der Baulücke ist nicht entscheidend. Zwar gilt, dass von einer Baulücke umso weniger ausgegangen werden kann, je größer die unbebaute Fläche ist (Flächen einer Länge von 280, 240 und 210m können schwerlich noch als Baulücke angesehen werden). Allerdings ist die Lücke immer im Zusammenhang und unter Berücksichtigung der Siedlungsstruktur in der Gemeinde zu bewerten. Ist die unbebaute Fläche von einer aufgelockerten Bebauung umgeben, so ist eine großzügigere Auslegung angebracht als bei einer engen Bebauung. Auch die städtebauliche Eigenart des Ortsteils ist zu berücksichtigen. Eine ländlich geprägte Umgebung ist anders zu bewerten als eine städtisch geprägte Umgebung. Eine größere Lücke zwischen großzügig bemessenen, mit Einfamilienhäusern bebauten Grundstücken kann so als Baulücke gewertet werden, während eine kleinere Freifläche in einer eng aneinander gereihten Bebauung den Bebauungszusammenhang unterbricht. Die Lücke zwischen zwischen dem Wohnhaus auf Seestraße Nr. 40 und dem Wohnhaus auf Seestraße Nr. 38/38a beträgt beträchtliche 65-70m. Dieser Abstand allein reicht jedoch nicht aus, um eine Baulücke zu verneinen. Die konkrete Umgebung und Bebauung sind ebenfalls zu berücksichtigen; etwa die Wohnhäuser auf den Grundstücken Seestraße 46a-40, 38/38a und 28. Das solltest Du Dir einprägen: bei der Bewertung, ob eine Freifläche eine Baulücke darstellt, stellt die "Faustformel", dass man bei einer Ausdehnung von zwei bis drei Bauplätzen von einer Baulücke sprechen könne, nur ein erstes Indiz dar. Geboten ist eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls. Nicht geographisch-mathematische Maßstäbe, sondern eine umfassende Wertung und Bewertung der konkreten Gegebenheiten sind entscheidend.

9. Das Wohnhaus auf dem Grundstück Seestraße 38/38a ist nicht mehr Teil des Bebauungszusammenhangs der Grundstücke Seestraße 46a-40. Es handelt sich vielmehr um eine Splittersiedlung.

Nein!

Der Bebauungszusammenhang ist eine vorhandene und aufeinander folgende Bebauung, die nach der Verkehrsauffassung trotz eventuell vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Baulücken sind unbebaute, aber bebauungsfähige Grundstücke. Splittersiedlungen hingegen sind lose Siedlungsstrukturen, die keinen Bebauungszusammenhang begründen. Sie liegen im Außen- (§ 35 BauGB) und nicht im Innenbereich (§ 34 BauGB). Das Haus auf Nr. 38/38a ist von der Hausgruppe Nr. 46a-40 weit entfernt (65-70m). Die größte Entfernung zwischen zwei Wohnhäusern der Hausgruppe Nr. 46a-40 beträgt hingegen nur 35m (zwischen Nr. 42 und 40). Die Erweiterung des Wohnhauses auf Nr. 38/38a 1997 hat die zu beurteilende Lücke jedoch erheblich verkürzt. Und auch wegen dieses massiven Ausbaus erweckt das Wohnhaus 38/38a den Eindruck, noch dem westlich gelegenen Bebauungszusammenhang (Nr. 46a-40) anzugehören. Es handelt sich bei der Bebauung nördlich der Seestraße zwar um eine einseitige, bandartige Bebauung. Dies führt aber nicht dazu, dass der Bebauungszusammenhang leichter abreißt. Zwar stehen die Wohnhäuser Nr. 46, 46a, 44 und 40 dicht beieinander. Allerdings erscheinen die Wohnhäuser Nr. 40 und 38/38a mit einer Breite von 25m sehr wuchtig. In der zu beurteilenden Freifläche hat (nur) ein den Gebäuden Nr. 40 und 38/38a vergleichbares Haus genügend Platz. Entscheidend ist, dass auch die Bebauung südlich der Seestraße zu berücksichtigen ist. Denn die Seestraße ist zu schmal, um die nördliche von der südlichen Bebauung zu trennen. Auch Betriebsgebäude sind optisch wahrnehmbar, dienen dem ständigen Aufenthalt von Menschen und sind nach Art und Gewicht geeignet ein Gebiet als Bebauungszusammenhang zu prägen. Sie können für die angemessene Weiterentwicklung der Bebauung maßstabsbildend sein. Die aneinander gebauten Betriebsgebäude verbinden und verklammern so die Bebauung von Seestraße 40 und 38/38a. Es handelt sich bei den Häusern Seestraße 46, 46a, 44 und 40, 38/38a und den ihnen gegenüberliegenden Wohnhäusern und Betriebsgebäuden um eine aufeinanderfolgende Bebauung, die den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt.

10. Das Wohnhaus auf dem Grundstück Seestraße 28 ist Teil des Bebauungszusammenhangs der Grundstücke Seestraße 46a-40 und 38/38a.

Genau, so ist das!

Der Bebauungszusammenhang ist eine vorhandene und aufeinander folgende Bebauung, die nach der Verkehrsauffassung trotz eventuell vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Baulücken sind unbebaute, aber bebauungsfähige Grundstücke. Splittersiedlungen hingegen sind lose Siedlungsstrukturen, die keinen Bebauungszusammenhang begründen. Sie liegen im Außen- (§ 35 BauGB) und nicht im Innenbereich (§ 34 BauGB). Ob die am Ufer liegenden Fischbrutanlagen und Bewässerungspumpen am Bebauungszusammenhang teilnehmen, kann dahinstehen. Das kleinere Wohnhaus auf Seestraße Nr. 28 hat allein zwar nicht genügend prägende Kraft um die Lücke bis zum Anwesen auf Nr. 38/38a zu überbrücken. Jedoch verklammern die gegenüber Nr. 28 auf der südlichen Seite der Seestraße stehenden drei Wohnhäuser, mit denen das Haus Nr. 28 optisch einen Bebauungszusammenhang bildet, das Anwesen auf Nr. 38/38a und Nr. 28.

11. Bei der Fläche, auf der das Doppelhaus X errichtet werden soll, handelt es sich nach den städtebaulichen Gegebenheiten in der Umgebung des Vorhabens um eine Baulücke. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich nach § 34 BauGB.

Ja, in der Tat!

Entscheidend für die Anwendbarkeit von § 34 BauGB (unbeplanter Innenbereich) ist der Bebauungszusammenhang. Der Bebauungszusammenhang ist eine vorhandene und aufeinander folgende Bebauung, die nach der Verkehrsauffassung trotz eventuell vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Baulücken sind unbebaute, aber bebauungsfähige Grundstücke. Ein Ortsteil i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Bebauungskomplex im Gemeindegebiet, der durch die Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Die Bebauung nördlich und südlich entlang der Seestraße (von Seestraße 46a bis 28) stellt den maßgeblichen Bebauungszusammenhang dar. Bei der Fläche, auf der das Doppelhaus errichtet werden soll, handelt es sich um eine Baulücke innerhalb dieses Bebauungszusammenhangs. Die vorhandene Bebauung hat auch ausreichendes Gewicht und ist organisch gewachsen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GR

grossta

2.7.2024, 15:55:54

Wieso handelt es sich hier nicht um Außenbereich? Im Sachverhalt steht nichts darüber, wie die Umgebung von dem Grundstück aussieht.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

14.7.2024, 13:50:29

Hallo @[grossta](200169), danke für Deine Frage. Der Fall erschließt sich nur durch eine Illustration, die leider noch nicht fertig ist. Wir reichen die Illustration schnellstmöglich nach. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

EMA

Emanuel

8.7.2024, 11:33:17

Sollte zum Sachverhalt noch eine Skizze der Umgebung gehören? (Ansonsten fällt es ja zumindest schwer, die Fragen zu beantworten) Falls ja, wird sie zumindest mir nicht angezeigt.

YO

yolojura

11.7.2024, 21:53:29

Ich finde ebenfalls, dass der Fall wegen der fehlenden graphischen Unterstützung kaum sinnvoll zu lösen ist.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

14.7.2024, 13:28:51

Danke ihr lieben! Ihr habt vollkommen recht! Unser Illustrator ist hier noch nicht hinterher gekommen. Wir reichen die entsprechende Illustration zeitnah nach. Danke für Eure Geduld! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team


© Jurafuchs 2024