Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Standardfall der isolierten Anfechtungsklage

Standardfall der isolierten Anfechtungsklage

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Sportsfreundin S beantragt eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Fitnessstudios. Die zuständige Behörde erteilt die Genehmigung unter der Maßgabe, dass S zwanzig Stellplätze für Fahrzeuge vor dem Studio baut. S lehnt die Fortbewegung mit dem Auto aus Fitnessgründen ab.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Standardfall der isolierten Anfechtungsklage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagt S. Statthaft ist die Anfechtungsklage, wenn S den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (siehe § 88 VwGO). Die Anfechtungsklage ist statthaft, wenn der Kläger gegen einen bereits erlassenen Verwaltungsakt vorgehen will (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Die Verpflichtungsklage ist statthaft, wenn das Klagebegehren auf den Erlass eines abgelehnten Verwaltungsakts (Versagungsgegenklage) oder eines unterlassenen Verwaltungsakts (Untätigkeitsklage) (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) gerichtet ist. Begehrt S den Erlass eines Verwaltungsakts, ist die Verpflichtungsklage statthaft.
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2. Verwaltungsakte können mit sog. Nebenbestimmungen erlassen werden. Diese müssen von Inhaltsbestimmungen abgegrenzt werden.

Ja, in der Tat!

Die Hauptregelung eines Verwaltungsakts kann durch zusätzliche Bestimmungen (Nebenbestimmung) ergänzt oder beschränkt werden. Die Nebenbestimmungen sind in § 36 VwVfG geregelt. Sie müssen von Inhaltsbestimmungen abgegrenzt werden. Eine Nebenbestimmung liegt vor, wenn die Behörde den Kern des ursprünglichen Begehrens unberührt lässt und nur eine zusätzliche Regelung trifft. Eine Inhaltsbestimmung liegt vor, wenn die Behörde durch den Zusatz die Reichweite des beantragten Verwaltungsakts definiert. Wenn die Hauptregelung ohne den Zusatz eine sinnvolle Regelung ist, handelt es sich um eine Nebenbestimmung.

3. Die Regelung über den Parkplatzbau ist eine Inhaltsbestimmung.

Nein!

Eine Nebenbestimmung liegt vor, wenn die Behörde den Kern des ursprünglichen Begehrens unberührt lässt und nur eine zusätzliche Regelung trifft. Eine Inhaltsbestimmung liegt vor, wenn die Behörde durch den Zusatz die Reichweite des beantragten Verwaltungsakts definiert. Die Hauptregelung - die Errichtung eines Fitnessstudios - kann aus Sicht des Empfängerhorizonts ohne die Einrichtung von Parkplätzen sinnvoll bestehen bleiben. Es handelt sich folglich um eine Nebenbestimmung, nicht um eine Inhaltsbestimmung.

4. Die Frage, ob eine Nebenbestimmung unabhängig vom Hauptverwaltungsakt angefochten werden kann (= isolierte Anfechtbarkeit), ist umstritten.

Genau, so ist das!

Richtig! Nach einer Ansicht muss der Betroffene gegen eine Nebenbestimmung stets mit einer Verpflichtungsklage auf Neubescheidung vorgehen. Eine zweite Ansicht differenziert nach der Art der Nebenbestimmung: Nur Auflagen und Auflagenvorbehalte sind anfechtbar. Eine dritte Ansicht unterscheidet nach der Art des Hauptverwaltungsaktes: Nur Nebenbestimmung zu gebundenen Verwaltungsakten können isoliert angefochten werden. Nach einer vierten Ansicht (BVerwG und hL) sollen Nebenbestimmungen grundsätzlich anfechtbar sein.

5. Für die Ansicht des BVerwG und der hL spricht der Wortlaut des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO ("soweit").

Ja, in der Tat!

Ja! Für die grundsätzliche Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen spricht auch der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes. Die erste Ansicht (immer Verpflichtungsklage) ignoriert den Verwaltungsaktscharakter von Nebenbestimmungen. Die zweite Ansicht (Differenzierung nach Art der Nebenbestimmungen) lässt außer Acht, dass die Nebenbestimmungsarten oft schwer voneinander zu unterscheiden sind. Die dritte Ansicht (Anfechtung nur bei gebundenen Verwaltungsakten) will eine weitere Ermessensentscheidung der Behörde sicherstellen und verkennt, dass die Behörde bereits einmal ihr Ermessen ausgeübt hat.

6. Nach Ansicht des BVerwG ist die isolierte Anfechtungsklage bei Nebenbestimmungen ausnahmslos statthaft.

Nein!

Nach BVerwG und hL können Nebenbestimmungen grundsätzlich isoliert angefochten werden. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung von vornherein offenkundig rechtswidrig ist. Die Rechtmäßigkeit ist von vornherein ausgeschlossen, wenn die Hauptregelung für sich genommen in keinem denkbaren Fall rechtmäßig sein kann. Dann fehlt es von vornherein an der sog. materiellen Teilbarkeit, welche grundsätzlich erst in der Begründetheit der isolierten Anfechtungsklage geprüft wird. In diesem Fall ist nur eine Verpflichtungsklage auf Neuerlass des Verwaltungsakts ohne Nebenbestimmung statthaft.

7. S kann die Bestimmung zum Parkplatzbau isoliert anfechten.

Genau, so ist das!

Die isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen ist statthaft, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung nicht offenkundig rechtswidrig ist. Die Rechtmäßigkeit ist von vornherein ausgeschlossen, wenn die Hauptregelung für sich genommen in keinem denkbaren Fall rechtmäßig sein kann Dass die Baugenehmigung ohne die Regelung über den Parkplatz rechtmäßig bestehen kann, erscheint vorliegend nicht offenkundig ausgeschlossen. Statthaft ist die isolierte Anfechtung der Auflage über den Parkplatzbau.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LENA

Lena

11.1.2024, 11:01:36

Ist das noch aktuell? Ich meine, dass es Ende 2022 eine Entscheidung vom BVerwG gab und die Möglichkeit der isolierten Anfechtbarkeit seitdem eben nicht mehr von der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des übrigen Verwaltungsaktes abhängig ist.

YU

YU

13.1.2024, 14:08:22

Hier wird ja der

Grundfall

behandelt (Statthaftigkeit der AK (-), wenn VA rechtswidrig wird aufgrund Wegfall der Nebenbestimmung) und daran ändert mE der BVerwG-Beschluss (Beschl. v. 12.10.2022 -BVerwG 8 AV 1.22) nichts. Der Streit zwischen dem 4. und dem 8. Senat ging über die Frage, ob dieser

Grundfall

auch gilt, wenn der verbleibende VA (offensichtlich) rechtswidrig ist, auch wenn die Rechtswidrigkeit nicht durch den Wegfall der Nebenbestimmung ausgelöst ist. MaW sind sich beide Senate einig gewesen, dass der VA nicht rechtswidrig sein darf, damit die Nebenbestimmung angefochten werden kann. Sie waren sich aber nicht einig darüber, ob der Wegfall der Nebenbestimmung kausal für die Rechtswidrigkeit des VA sein muss oder der verbleibende Verwaltungsakt unter allen Gesichtspunkten rechtmäßig sein muss. Der 8. Senat folgte bis zum Beschluss Letzterem und lehnte die Statthaftigkeit ab, wenn der VA aus welchen Gründen auch immer schon rechtswidrig war. Diese Ansicht hat er im Beschluss aufgegeben. Auf https://www.juwiss.de/61-2022/ wurde die Argumentation des 4. Senats ganz gut zusammengefasst.

YU

YU

13.1.2024, 14:41:32

Sorry, ich hab hier groben Unsinn geschrieben: Der Beschluss hat auf die Richtigkeit dieses Falls hier keine Auswirkung, denn es geht hier um die „prozessuale“ und nicht um die „materielle“ Teilbarkeit von Nebenbestimmungen. Die „prozessuale“ Teilbarkeit, welche in diesem Fall hier behandelt wird, meint die Frage der isolierten Anfechtung der Nebenbestimmung i.R.d. Statthaftigkeit. Da gilt: Isolierte Anfechtbarkeit (+), soweit die isolierte Aufhebung nicht offenkundig von vornherein ausscheidet oder ein VA mit einem ganz anderen Inhalt entstünde. Der Beschluss und die Meinungsverschiedenheiten zwischen 4. und 8 Senat behandelten die Frage der „materiellen“ Teilbarkeit i.R.d. Begründetheitsprüfung.


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