Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Standardfall der isolierten Anfechtungsklage

Standardfall der isolierten Anfechtungsklage

14. Februar 2025

3 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Sportsfreundin S beantragt eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Fitnessstudios. Die zuständige Behörde erteilt die Genehmigung unter der Maßgabe, dass S zwanzig Stellplätze für Fahrzeuge vor dem Studio baut. S lehnt die Fortbewegung mit dem Auto aus Fitnessgründen ab.

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Einordnung des Falls

Standardfall der isolierten Anfechtungsklage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagt S. Statthaft ist die Anfechtungsklage, wenn S den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (siehe § 88 VwGO). Die Anfechtungsklage ist statthaft, wenn der Kläger gegen einen bereits erlassenen Verwaltungsakt vorgehen will (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Die Verpflichtungsklage ist statthaft, wenn das Klagebegehren auf den Erlass eines abgelehnten Verwaltungsakts (Versagungsgegenklage) oder eines unterlassenen Verwaltungsakts (Untätigkeitsklage) (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) gerichtet ist. Begehrt S den Erlass eines Verwaltungsakts, ist die Verpflichtungsklage statthaft.
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2. Verwaltungsakte können mit sog. Nebenbestimmungen erlassen werden. Diese müssen von Inhaltsbestimmungen abgegrenzt werden.

Ja, in der Tat!

Die Hauptregelung eines Verwaltungsakts kann durch zusätzliche Bestimmungen (Nebenbestimmung) ergänzt oder beschränkt werden. Die Nebenbestimmungen sind in § 36 VwVfG geregelt. Sie müssen von Inhaltsbestimmungen abgegrenzt werden. Eine Nebenbestimmung liegt vor, wenn die Behörde den Kern des ursprünglichen Begehrens unberührt lässt und nur eine zusätzliche Regelung trifft. Eine Inhaltsbestimmung liegt vor, wenn die Behörde durch den Zusatz die Reichweite des beantragten Verwaltungsakts definiert. Wenn die Hauptregelung ohne den Zusatz eine sinnvolle Regelung ist, handelt es sich um eine Nebenbestimmung.

3. Die Regelung über den Parkplatzbau ist eine Inhaltsbestimmung.

Nein!

Eine Nebenbestimmung liegt vor, wenn die Behörde den Kern des ursprünglichen Begehrens unberührt lässt und nur eine zusätzliche Regelung trifft. Eine Inhaltsbestimmung liegt vor, wenn die Behörde durch den Zusatz die Reichweite des beantragten Verwaltungsakts definiert. Die Hauptregelung - die Errichtung eines Fitnessstudios - kann aus Sicht des Empfängerhorizonts ohne die Einrichtung von Parkplätzen sinnvoll bestehen bleiben. Es handelt sich folglich um eine Nebenbestimmung, nicht um eine Inhaltsbestimmung.

4. Die Frage, ob eine Nebenbestimmung unabhängig vom Hauptverwaltungsakt angefochten werden kann (= isolierte Anfechtbarkeit), ist umstritten.

Genau, so ist das!

Richtig! Nach einer Ansicht muss der Betroffene gegen eine Nebenbestimmung stets mit einer Verpflichtungsklage auf Neubescheidung vorgehen. Eine zweite Ansicht differenziert nach der Art der Nebenbestimmung: Nur Auflagen und Auflagenvorbehalte sind anfechtbar. Eine dritte Ansicht unterscheidet nach der Art des Hauptverwaltungsaktes: Nur Nebenbestimmung zu gebundenen Verwaltungsakten können isoliert angefochten werden. Nach einer vierten Ansicht (BVerwG und hL) sollen Nebenbestimmungen grundsätzlich anfechtbar sein.

5. Für die Ansicht des BVerwG und der hL spricht der Wortlaut des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO ("soweit").

Ja, in der Tat!

Ja! Für die grundsätzliche Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen spricht auch der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes. Die erste Ansicht (immer Verpflichtungsklage) ignoriert den Verwaltungsaktscharakter von Nebenbestimmungen. Die zweite Ansicht (Differenzierung nach Art der Nebenbestimmungen) lässt außer Acht, dass die Nebenbestimmungsarten oft schwer voneinander zu unterscheiden sind. Die dritte Ansicht (Anfechtung nur bei gebundenen Verwaltungsakten) will eine weitere Ermessensentscheidung der Behörde sicherstellen und verkennt, dass die Behörde bereits einmal ihr Ermessen ausgeübt hat.

6. Nach Ansicht des BVerwG ist die isolierte Anfechtungsklage bei Nebenbestimmungen ausnahmslos statthaft.

Nein!

Nach BVerwG und hL können Nebenbestimmungen grundsätzlich isoliert angefochten werden. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung von vornherein offenkundig rechtswidrig ist. Die Rechtmäßigkeit ist von vornherein ausgeschlossen, wenn die Hauptregelung für sich genommen in keinem denkbaren Fall rechtmäßig sein kann. Dann fehlt es von vornherein an der sog. materiellen Teilbarkeit, welche grundsätzlich erst in der Begründetheit der isolierten Anfechtungsklage geprüft wird. In diesem Fall ist nur eine Verpflichtungsklage auf Neuerlass des Verwaltungsakts ohne Nebenbestimmung statthaft.

7. S kann die Bestimmung zum Parkplatzbau isoliert anfechten.

Genau, so ist das!

Die isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen ist statthaft, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung nicht offenkundig rechtswidrig ist. Die Rechtmäßigkeit ist von vornherein ausgeschlossen, wenn die Hauptregelung für sich genommen in keinem denkbaren Fall rechtmäßig sein kann Dass die Baugenehmigung ohne die Regelung über den Parkplatz rechtmäßig bestehen kann, erscheint vorliegend nicht offenkundig ausgeschlossen. Statthaft ist die isolierte Anfechtung der Auflage über den Parkplatzbau.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LENA

Lena

11.1.2024, 11:01:36

Ist das noch aktuell? Ich meine, dass es Ende 2022 eine Entscheidung vom BVerwG gab und die Möglichkeit der isolierten

Anfechtbarkeit

seitdem eben nicht mehr von der

Rechtmäßigkeit

bzw.

Rechtswidrig

keit des übrigen Verwaltungsaktes abhängig ist.

YU

YU

13.1.2024, 14:08:22

Hier wird ja der Grundfall behandelt (

Statthaftigkeit

der AK (-), wenn VA

rechtswidrig

wird aufgrund Wegfall der

Nebenbestimmung

) und daran ändert mE der BVerwG-Beschluss (Beschl. v. 12.10.2022 -BVerwG 8 AV 1.22) nichts. Der Streit zwischen dem 4. und dem 8. Senat ging über die Frage, ob dieser Grundfall auch gilt, wenn der verbleibende VA (offensichtlich)

rechtswidrig

ist, auch wenn die

Rechtswidrig

keit nicht durch den Wegfall der

Nebenbestimmung

ausgelöst ist. MaW sind sich beide Senate einig gewesen, dass der VA nicht

rechtswidrig

sein darf, damit die

Nebenbestimmung

angefochten werden kann. Sie

ware

n sich aber nicht einig darüber, ob der Wegfall der

Nebenbestimmung

kausal für die

Rechtswidrig

keit des VA sein muss oder der verbleibende Verwaltungsakt unter allen Gesichtspunkten rechtmäßig sein muss. Der 8. Senat folgte bis zum Beschluss Letzterem und lehnte die

Statthaftigkeit

ab, wenn der VA aus welchen Gründen auch immer schon

rechtswidrig

war. Diese Ansicht hat er im Beschluss aufgegeben. Auf https://www.juwiss.de/61-2022/ wurde die Argumentation des 4. Senats ganz gut zusammengefasst.

YU

YU

13.1.2024, 14:41:32

Sorry, ich hab hier groben Unsinn geschrieben: Der Beschluss hat auf die Richtigkeit dieses Falls hier keine Auswirkung, denn es geht hier um die „prozessuale“ und nicht um die „materielle“ Teilbarkeit von

Nebenbestimmung

en. Die „prozessuale“ Teilbarkeit, welche in diesem Fall hier behandelt wird, meint die Frage der isolierten Anfechtung der

Nebenbestimmung

i.R.d.

Statthaftigkeit

. Da gilt: Isolierte

Anfechtbarkeit

(+), soweit die isolierte Aufhebung nicht offenkundig von vornherein ausscheidet oder ein VA mit einem ganz anderen Inhalt entstünde. Der Beschluss und die Meinungsverschiedenheiten zwischen 4. und 8 Senat behandelten die Frage der „materiellen“ Teilbarkeit i.R.d.

Begründetheit

sprüfung.


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