Öffentliches Recht

Grundrechte

Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)

Weiterer Fall der Subsidiarität der allg. Handlungsfreiheit gegenüber einem speziellen Freiheitsrecht (Verdeutlichung)

Weiterer Fall der Subsidiarität der allg. Handlungsfreiheit gegenüber einem speziellen Freiheitsrecht (Verdeutlichung)

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Jurastudent J schreibt auf einem beliebten Bewertungsportal für Professoren eine negative Bewertung über seinen grantigen Grundrechtsprofessor G, in der er Gs Vorlesung als langweilig bezeichnet. G bemerkt dies und lässt J daher nicht an der Abschlussklausur teilnehmen.

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Einordnung des Falls

Weiterer Fall der Subsidiarität der allg. Handlungsfreiheit gegenüber einem speziellen Freiheitsrecht (Verdeutlichung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wird J durch das aufgrund seiner negativen Bewertung von G ausgesprochene Teilnahmeverbot in seiner allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt?

Ja, in der Tat!

Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit und schützt jedes beliebige menschliche Tun und Lassen. Demnach ist auch jede menschliche Äußerung vom Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit erfasst. Die negative Bewertung von G stellt als menschliches Tun eine Äußerung des J dar. Diese fällt somit in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit.
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2. Die negative Bewertung des J wird auch durch die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt.

Ja!

Der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG setzt eine Meinungsäußerung voraus. Eine Meinung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst ein Werturteil. Unter einem Werturteil versteht man alle Äußerungen, die durch ein subjektives Element der Stellungnahme oder des Dafürhaltens gekennzeichnet sind, ohne dass es auf die Qualität oder Richtigkeit der Äußerung ankommt. J nimmt mit der Aussage, dass die Vorlesung von G langweilig sei, eine wertende Stellungnahme zu dessen Vorlesungsstil vor. Auf die Qualität oder Richtigkeit dieser Aussage kommt es nicht an, sodass es sich bei der Bewertung damit um eine Meinung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG handelt.

3. Das von G ausgesprochene Teilnahmeverbot an der Abschlussklausur greift in den Schutzbereich sowohl der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) als auch der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) ein. Tritt die allgemeine Handlungsfreiheit hinter der Meinungsfreiheit zurück?

Genau, so ist das!

Aufgrund der weiten Auslegung des Schutzbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG erfasst dieser auch Verhaltensweisen, welche bereits durch andere, speziellere Freiheitsgrundrechte erfasst sind. Damit deren spezielle verfassungsrechtliche Schranken und deren höheres grundrechtliches Schutzniveau nicht ausgehebelt werden, ist die allgemeine Handlungsfreiheit in diesen Fällen der Grundrechtskonkurrenz nur subsidiär anzuwenden. Der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit ist demnach nur eröffnet, wenn die betroffene Handlungsweise nicht zugleich auch vom Schutzbereich eines anderen, spezielleren Freiheitsgrundrechts erfasst wird. Gs gegen J ausgesprochenes Teilnahmeverbot an der Abschlussklausur betrifft auch den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit ist wegen der Subsidiarität des Grundrechts nicht eröffnet. Dies gilt daher auch dann, wenn sich am Ende der Prüfung des spezielleren Freiheitsgrundrecht herausstellt, dass die Beeinträchtigung rechtmäßig erfolgt ist. Ist der Schutzbereich eines anderen Freiheitsgrundrechts eröffnet, versperrt dies den Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit. In der Klausur solltest Du in einem solchen Fall im Anschluss an die Prüfung des spezielleren Freiheitsgrundrechts deswegen maximal in einem Satz auf die Subsidiarität von Art. 2 Abs. 1 GG hinweisen. Achtung: Eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit ist aber neben der Verletzung eines Gleichheitsrechts aus Art. 3 GG möglich. Diese sind nebeneinander anwendbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

2.12.2023, 15:36:20

Ich bin etwas im Unklaren darüber, warum hier von der Subsidiarität der allgemeinen Handlungsfreiheit gegenüber der Meinungsfreiheit ausgegangen wird. Die Meinungsfreiheit erlaubt den negativen Kommentar und ist insoweit auch spezieller als die allgemeine Handlungsfreiheit. Aber der Student will in der Prüfung doch nicht von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch machen? Bezüglich der Sperre für die Klausur wäre ich daher nicht davon ausgegangen, dass die Subsidiarität greift (noch anschaulicher wäre es bei einer Mathe Klausur, die mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun hat).

Dogu

Dogu

5.12.2023, 22:19:20

Der Student erleidet aufgrund einer Meinungsäußerung einen Nachteil, der ggfs. dem Staat zugerechnet werden kann. Da steht schon auch die Meinungsfreiheit im Raum. Daneben vielleicht noch weitere wie Artikel 12 etc. Wenn ich für eine kritische Äußerung gegen die Landesregierung im Knast lande, hat die Meinungsäußerung ja auch schon stattgefunden und spielt keine Rolle mehr bei meinem Wunsch, das Gefängnis zu verlassen. Die Grundrechte greifen ja nicht nur vor dem Eingriff! Ansonsten wäre nachträglicher Rechtsschutz nie möglich.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.12.2023, 11:14:53

Hallo Daniel, danke für deine Rückfrage! Wie Dogu schon richtigerweise angemerkt hat, greifen Grundrechte nicht nur präventiv. Die Verfassungsbeschwerde ist in der Regel immer dann statthaft, wenn ein Eingriff stattgefunden hat. In diesem Fall die Nichtzulassung zur Klausur. Dies wurde ausgelöst durch die Meinungsäußerung, sie stehen also in einem inneren Zusammenhang. Natürlich ist auch die Allgemeine Handlungsfreiheit beeinträchtigt, wie aufgezeigt. Allerdings tritt diese immer subsidiär zurück, wenn der Schutzbereich eines anderen Grundrechts eröffnet ist. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

FW

FW

15.7.2024, 17:26:21

Hallo liebe Leute, Ich finde ebenso wie Daniel, dass hier doch schwerpunktmäßig ein Eingriff eher in die allgemeine Handlungsfreiheit und nicht in die Meinungsfreiheit vorliegt. Die Meinungsfreiheit schützt ja nur die freie Kundgabe der Meinung. Insofern ist die Meinungsfreiheit auch lex specialis zur allgemeinen Handlungsfreiheit, da das freie Äußern der eigenen Meinung ja zugleich auch immer unter das „Tun und Lassen was man will“ subsumiert werden kann. Entscheidend ist aber doch hier, dass er die Vorlesung nicht betreten kann. Das ist jedoch gerade das Betreten eine bestimmten Ortes, mithin auch ein aktives körperliches Verhalten und nicht nur eine reine Meinungsäußerung, weshalb ich hier keine Subsidiarität angenommen hätte, sonder lediglich eine Idealkonkurrenz. Durch das Verbot des Betretens ist er nämlich einerseits in seiner Meinungsfreiheit betroffen und zugleich auch in der Freiheit, die Vorlesung zu besuchen. Das muss doch hier berücksichtigt werden.

Dogu

Dogu

15.7.2024, 17:58:17

@[FW](139488) Aber wenn die Meinungsfreiheit lex specialis zur allgemeinen Handlungsfreiheit sein soll, muss die Meinungsfreiheit ja erst Recht vorrangig bei der Pönalisierung einer Meinungsäußerung geprüft werden, da sie engere Einschränkungsmöglichkeiten erlaubt. Ich verweise auf meinen obigen Beitrag. Die Bestrafung für vergangene Meinungsäußerungen muss nach der Meinungsfreiheit beurteilt werden, ansonsten würde der Grundrechtsschutz leerlaufen.

Dogu

Dogu

15.7.2024, 17:58:39

*nur engere

FW

FW

15.7.2024, 18:09:46

@[Dogu](137074) Hi, Ja sehe ich ja genauso. Aber das schließt doch keine Idealkonkurrenz aus. Also ich hätte eine Verletzung beider Schutzbereiche angenommen, ohne Subsidiarität. Wenn du zum Beispiel jemanden beleidigst, dann wird zweifelsfrei dein Grundrecht der Meinungsfreiheit tangiert. Deshalb richtet sich die Rechtfertigung ja dann nach Art. 5 GG allein und nicht nach Art. 2 I GG, da hier dann Subsidiarität besteht. Wenn du aber dann noch eine Freiheitsstrafe von einem Jahr erhältst, ist ja trotzdem zusätzlich auch der Schutzbereich der körperlichen Bewegungsfreiheit nach Art. 2 II 2 GG tangiert. Und genau die Situation liegt doch auch hier vor, nur das nicht Art. 2 II 2 GG tangiert wird, der ja nur die körperliche Fortbewegungsfreiheit, d.h. quasi das Recht, nicht eingesperrt zu sein, schützt, sondern Art. 2 I GG, der die Freiheit schützt mich an einem ganz bestimmten Ort, hier der Vorlesung, aufzuhalten.

Dogu

Dogu

15.7.2024, 18:14:42

@[FW](139488) Die Idealkonkurrenz bei der allgemeinen Handlungsfreiheit kannte ich bisher so nicht. Hast Du dazu vielleicht Quellen, die das vertreten? Mein Wissenstand war, dass Art. 2 I immer zurücktritt, wenn ein anderes Grundrecht einschlägig ist, denn bei einem Eingriff in Art. 2 I liegt doch praktisch immer auch bei einem Eingriff in ein spezielleres Freiheitsgrundrecht vor.

FW

FW

15.7.2024, 18:18:26

@[Dogu](137074) Also ich hab keine Quelle dazu, sondern den Fall eher nach allgemeinen Überlegungen gelöst. Ich weiß aber natürlich nicht, ob das vertretbar wäre. Ich werde mal nachfragen und wenn ich mehr weiß, meld ich mich :)

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

30.7.2024, 12:34:06

Hallo @[FW](139488) und @[Dogu](137074), danke für Eure schöne Diskussion. Wie Dogu zu Recht anmerkt, gibt es bei der allgemeinen Handlungsfreiheit keine Idealkonkurrenz gegenüber speziellen Freiheitsrechten. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiär. Das hat zur Konsequenz, dass eine Prüfung eines Eingriffs am Maßstab der allgemeinen Handlungsfreiheit ausscheidet, wenn der streitgegenständliche Akt öffentlicher Gewalt in ein spezielles Freiheitsrecht eingreift (st. Rspr. BVerfG, vgl. etwa die Darstellung von Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17.A. 2022, Art. 2 RdNr. 2f.). Eine Idealkonkurrenz von Art. 2 Abs. 1 GG besteht allenfalls zu Art. 3 Abs. 1 GG. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team


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