Öffentliches Recht

Grundrechte

Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 GG)

Staatliche Anordnung, in sämtlichen Klassenzimmern einer Schule ein Kreuz anzubringen

Staatliche Anordnung, in sämtlichen Klassenzimmern einer Schule ein Kreuz anzubringen

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach neuer staatlicher Anordnung in Bundesland B sind in sämtlichen Klassenzimmern Kruzifixe anzubringen. Der 14-jährige Schüler A aus überzeugt atheistischem Haushalt, beschwert sich beim Direktor seiner staatlichen Schule und verlangt, dass das Kruzifix abgehängt wird.

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Einordnung des Falls

Staatliche Anordnung, in sämtlichen Klassenzimmern einer Schule ein Kreuz anzubringen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist Atheist A bereits dadurch in seiner negativen Glaubensfreiheit betroffen, dass er mit religiösen Symbolen im öffentlichen oder privaten Raum konfrontiert wird?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die negative Glaubensfreiheit ist die Freiheit, keine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu bilden bzw. diese ablehnen zu dürfen. Auch umfasst ist die Freiheit, eine eigene Überzeugung zu haben, diese jedoch nicht offenbaren zu müssen sowie sich von einer einmal gefassten Überzeugung wieder abzuwenden, wie etwa aus einer Kirchengemeinschaft auszutreten. Nicht geschützt ist das Recht, überhaupt nicht mit der Religion oder den Überzeugungen anderer konfrontiert zu sein. Es besteht kein Konfrontationsschutz. Die Ausübung einer positiven Freiheit löst somit nicht ohne Weiteres den negativen Schutz des Gegenübers aus, dieses Verhalten nicht ertragen zu müssen. Dies würde sonst automatisch zu einer Aushöhlung der positiven Schutzdimension führen. Die Konfrontation mit Religionen oder religiösen Symbolen im öffentlichen oder privaten Raum berührt A nicht per se in seiner Glaubensfreiheit.
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2. Ist A durch die Pflicht zur Teilnahme am Schulunterricht in einem Klassenzimmer mit Kreuz in seiner Glaubensfreiheit betroffen?

Ja, in der Tat!

Im Rahmen der negativen Glaubensfreiheit besteht kein Konfrontationsschutz. Das heißt, dass in einer pluralistischen Gesellschaft kein Recht darauf besteht, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen per se verschont zu bleiben. Anders liegt es bei einer vom Staat geschaffenen (Zwangs-)Lage, in der der Einzelne diesen ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt ist. A ist mit seinen 14 Jahren schulpflichtig, womit die Anbringungspflicht von Kreuzen in Bundesland B dazu führt, dass A während des Unterrichts durch den Staat ohne Ausweichmöglichkeit mit dem Kreuz als religiösem Symbol konfrontiert wird. Wie das BVerfG urteilte, entsteht so der Zwang, „unter dem Kreuz“ zu lernen. Daher unterscheidet sich die Anbringungspflicht von Kreuzen in Klassenzimmern von der alltäglich auftretenden Konfrontation mit religiösen Symbolen, sodass A in seiner Glaubensfreiheit betroffen ist.

3. Die staatliche Kruzifix-Anordnung in B stellt einen Eingriff in den Schutzbereich der negativen Glaubensfreiheit des A dar.

Ja!

In den Schutzbereich der Glaubensfreiheit wird nach dem modernen Eingriffsbegriff eingegriffen, wenn der Staat eine der geschützten Verhaltensweisen in irgendeiner Weise regelt oder faktisch behindert. Die gesetzliche Verpflichtung zum Anbringen von Kreuzen in der Schulen des Bundeslands B erfüllt vor dem Hintergrund der bestehenden Schulpflicht jedenfalls die Merkmale des modernen Eingriffsbegriffs. Denn durch die Schulpflicht und die damit entstehenden Zwangslage, „unter dem Kreuz“ lernen zu müssen, wird die negative Glaubensfreiheit des A faktisch behindert. Mit Blick auf die Finalität des Eingriffs dürfte zweifelhaft sein, dass hier ein klassischer Eingriff vorliegt. Denn ob Ziel der Kruzifix-Anordnung der Eingriff in die negative Glaubensfreiheit von atheistischen Kindern ist, bleibt unklar. Aber jedenfalls liegt hier ein Eingriff nach dem modernen Eingriffsbegriff vor. Ob dieser Eingriff in Abwägung mit dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) gerechtfertigt werden kann, erfährst Du im weiteren Verlauf des Kurses.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Amelie

Amelie

29.9.2024, 22:05:52

Bei der Frage zum Ave Maria stand als Zusatz, dass der Kläger nicht verhindern könne, dass andere im Klassenraum dies singen und es deshalb keinen Eingriff gäbe (keine Konfrontationsfreiheit). Dabei hat ein Schüler ja auch währenddessen eine Schulpflicht. Wie differenzieren sich die Fälle? Dürfte man argumentieren, dass ein Schüler während des Singens sich die Ohren zuhalten dürfe, auf Toilette gehen dürfe, etc. Natürlich dauert ein Ave Maria nicht so lange wie der ganze Schultag mit einem Kreuz im Raum. Darf man die Schulpflicht dann anders auslegen?

Ronja R.

Ronja R.

11.11.2024, 11:51:07

Liebes Jurafuchs-Team, in dieser Aufgabe werden die christlichen Symbole „Kreuz“ und „Kruzifix“ synonym verwendet. In dem Bild ist auch ein Kreuz zu sehen, während der Text meistens vom Kruzifix handelt. Vllt wäre hier eine Präzisierung gut, da m.K. nach die Eingriffsintensität bei einem Kruzifix höher ist :)


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