Nichteinschreiten gegen blasphemisches Theaterstück

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Theaterliebhaber T genehmigt sich mal wieder einen Abend im städtischen Theater und ist empört über die blasphemischen Darstellungen. T verlässt das Stück jedoch nicht, sondern fordert die Ordnungsbehörden im Nachgang auf, das Stück zu verbieten. Diese sehen keinen Grund für ein Verbot.

Diesen Fall lösen 73,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Nichteinschreiten gegen blasphemisches Theaterstück

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Glaubensfreiheit ist nicht nur Abwehrrecht, sondern verpflichtet den Staat auch, den Einzelnen vor Angriffen oder Behinderungen durch andere zu schützen.

Genau, so ist das!

Die Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG beinhaltet neben ihrem Charakter als Abwehrrecht auch eine entsprechende staatliche Schutzpflicht. Diese verpflichtet den Staat, dem Einzelnen einen Betätigungsraum für die Entwicklung seiner Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern und ihn vor Angriffen oder Behinderungen, etwa durch Anhänger anderer Glaubensrichtungen, zu schützen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verleiht jedoch grundsätzlich keinen Anspruch gegen den Staat, der individuellen Glaubensüberzeugung mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen zu müssen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Das Nichteinschreiten der Ordnungsbehörden stellt eine Verletzung der staatlichen Pflicht zum Schutz von Ts negativer Glaubensfreiheit dar.

Nein, das trifft nicht zu!

Im Rahmen der negativen Glaubensfreiheit besteht kein Konfrontationsschutz. Das heißt, dass in einer pluralistischen Gesellschaft kein Recht darauf besteht, von fremden Glaubensüberzeugungen per se verschont zu bleiben. Anders liegt es bei einer vom Staat geschaffenen (Zwangs-)Lage, in der der Einzelne dieser ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt ist. T wohnt der Theateraufführung freiwillig bei und kann diese jederzeit verlassen, was er jedoch nicht tut. Es besteht keinerlei (staatlich geschaffene) Zwangslage für T, sodass das Nichteinschreiten der Ordnungsbehörden keinen Eingriff in Ts negative Glaubensfreiheit darstellt. Anders verhält es sich im Rahmen der sog. „Kruzifix-Entscheidung“ des BVerfG. Hier handelt es sich gerade um eine solche staatlich geschaffene Zwangslage. In diesem Fall müsstest Du zunächst die Eröffnung des Schutzbereichs thematisieren und ausführen, dass ein staatlicher Eingriff in das Abwehrrecht zwar fehlt. Dann müsstest Du – wie hier – erläutern, dass aber auch eine staatliche Schutzpflicht bestehen könnte, die hier jedoch – wie dargestellt – nicht greift.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

G0D0FM

G0d0fMischief

13.8.2024, 08:12:35

Hallo, wenn ich mich richtig erinnere braucht man aufgrund der Wesentlichkeitstheorie ein formelles Gesetz um wesentliche Eingriffe zu regeln. Würde man vorliegend als Anspruchsgrundlage auf die Generalklausel des Polizei- und Ordnungsrechts zurückgreifen und diese verfassungskonform auslegen um so einen Anspruch zu prüfen?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

14.8.2024, 16:31:13

Hallo @[G0d0fMischief](217996), man würde in einem solchen Fall prüfen, ob ein Anspruch auf Eingreifen aus einer

Ermächtigungsgrundlage

herleitbar wäre. Das wäre keine verfasssungskonforme Auslegung, sondern Du müsstest auf Rechtsfolgenseite – also bei der Frage, wie die Behörde ihr Entschließungs- und Auswahlermessen ausübt – eine

Ermessensreduzierung auf Null

begründen können. Das ist sehr selten – und in diesem Fall offensichtlich nicht gegeben – , kommt aber vor, insbesondere in Fällen des baurechtlichen Nachbarschutzes. Wir haben dazu auch einige Fälle bei Jurafuchs, siehe z.B. https://applink.jurafuchs.de/JkVPUWvA3Lb. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

G0D0FM

G0d0fMischief

14.8.2024, 17:10:39

Vielen Dank für die schnelle Antwort! Ich schaue mir mal den verlinkten Fall an! An der Stelle vielleicht noch eine andere Frage und zwar habe ich kein Schema zur Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gefunden. Diese ist zwar relativ einfach nur will ich grade für meinen Verbesserungsversuch im Examen nochmal den gesamten Stoff „ordentlich“ durchgehen. Kommt da noch ein Schema oder habe ich etwas gesehen? Und werden in Zukunft noch ausführlichere Schema zum Verwaltungsvollstreckungsverfahren und zu den Abschleppfällen, sowie zur öffentlich rechtlichen GoA kommen? Viele Grüße


© Jurafuchs 2024