Öffentliches Recht

Grundrechte

Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 GG)

Staatliches Informationshandeln („Osho“) (BVerfG, 22.06.2002)

Staatliches Informationshandeln („Osho“) (BVerfG, 22.06.2002)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Im Zuge einer öffentlichen Diskussion um neue religiöse Bewegungen bezeichnen Mitglieder der Bundesregierung die Osho-Bewegung als „destruktive“ und „pseudoreligiöse“ Sekte. Dessen Meditationsverein (M), der die Lehren des Osho-Rajneesh zum Sinn der Welt und des menschlichen Lebens pflegt, ist empört.

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Einordnung des Falls

Staatliches Informationshandeln („Osho“) (BVerfG, 22.06.2002)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M kann sich als juristische Person auf den Schutzbereich der Glaubensfreiheit stützen (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG).

Genau, so ist das!

Träger der Glaubensfreiheit als sogenanntes „Jedermann-Grundrecht“ sind alle natürlichen Personen. Auch juristische Personen können Träger der Glaubensfreiheit sein, soweit diese ihrem Wesen nach auf die juristische Person anwendbar ist (Art. 19 Abs. 3). Laut BVerfG ist dies der Fall bei „Religionsgesellschaften und anderen juristischen Personen, deren Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses oder die Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder ist“, (sog. korporative Glaubensfreiheit). M ist als Verein nach Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsfähig, soweit die Glaubensfreiheit ihrem Wesen nach auf M anwendbar ist. M bezweckt, die Lehren des sog. Osho-Rajneesh zu pflegen, die den Sinn der Welt und des menschlichen Lebens auf umfassende Weise erklären. Dabei handelt es sich mangels transzendentalen Bezugs zwar nicht um eine Religion, jedoch um eine Weltanschauung, sodass M sich als juristische Person auf den Schutzbereich der Glaubensfreiheit stützen kann.
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2. Die Glaubensfreiheit schützt M als weltanschauliche Gemeinschaft vor verfälschenden Darstellungen durch den Staat.

Ja, in der Tat!

Die Glaubensfreiheit umfasst das Recht zur Verbreitung einer Weltanschauung sowie zur Förderung des jeweiligen Bekenntnisses. Das BVerfG betont, dass Bedeutung und Tragweite dieser Gewährleistungen darin ihren besonderen Ausdruck finden, dass der Staat verpflichtet ist, sich in Fragen des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses neutral zu verhalten und Zurückhaltung zu wahren. Die Glaubensfreiheit schütze danach zwar nicht vor kritischer Auseinandersetzung im öffentlichen Diskurs, jedoch vor verfälschenden, diffamierenden und diskriminierenden Darstellungen. Die Glaubensfreiheit schützt M als weltanschauliche Gemeinschaft in sachlicher Hinsicht somit vor verfälschenden Darstellungen durch den Staat.

3. Die Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung stellen einen Grundrechtseingriff im klassischen Sinne dar.

Nein!

Nach dem klassischen Eingriffsbegriff muss das staatliche Handeln, das zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt, final, unmittelbar und durch Rechtsakt geschehen sowie mit Zwang durchsetzbar sein. Die getätigten Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung erfüllen keines dieser Merkmale. Sie sind als staatliches Informationshandeln einzustufen.

4. Die Äußerungen der Regierungsmitglieder stellen keinen Eingriff dar, da der Grundrechtsschutz der Glaubensfreiheit auf Eingriffe im klassischen Sinne beschränkt ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Laut BVerfG sind mittelbar-faktische Beeinträchtigungen, also solche an den modernen Eingriffsbegriff angelehnte Beeinträchtigungen, ebenfalls vom Grundrechtsschutz der Glaubensfreiheit umfasst. Das Grundgesetz habe den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht an den Begriff des klassischen Eingriffs gebunden. Die Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung stellen keinen unmittelbar und final wirkenden Rechtsakt dar, sondern sind vielmehr als mittelbar-faktisch wirkende Eingriffe in die Glaubensfreiheit einzustufen, da sie sich negativ auf die Osho-Bewegung und ihren Ruf auswirken. Aufgrund der staatlichen Äußerungen könnten Mitglieder der Bewegung austreten oder Interessenten konkret abgeschreckt werden. Der Grundrechtsschutz der Glaubensfreiheit schützt somit dem Grunde nach auch vor staatlichem Informationshandeln. Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung solcher Äußerungen erfährst Du später mehr.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FRED

Freddy

14.1.2024, 16:37:38

"M bezweckt, die Lehren des sog. Osho-Rajneesh zu pflegen, die den Sinn der Welt und des menschlichen Lebens auf umfassende Weise erklären. Dabei handelt es sich mangels transzendentalen Bezugs zwar nicht um eine Religion, jedoch aber um eine Weltanschauung, sodass M sich als juristische Person auf den Schutzbereich der Glaubensfreiheit stützen kann." Also umfasst die Glaubensfreiheit Religion und Weltanschauung? Umfasst der Begriff "Glaube" dann sowohl Religion als auch Weltanschauung?

TI

Timurso

14.1.2024, 17:47:03

Die Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG umfasst sowohl Religion als auch Weltanschauung, vgl. auch den Wortlaut. Ob beides nun zusammen den Begriff Glaube ergibt, da bin ich mir nicht sicher.

FRED

Freddy

16.1.2024, 16:38:43

Habs nochmal im Kimgreen/Poscher nachgelesen. Anscheinend meint der "Glaube" nur Religion. Dann find ich wohl den Begriff "Glaubensfreiheit" vom Wortlaut her irreführend🫠

HAGE

hagenhubl

1.9.2024, 09:32:02

Wieso Glaube meint aber nach seinem Wortsinn immer die Religion. Kennst du nicht den Spruch Glauben kannst du in der Kirche. Den sagte mein Vater immer, wenn ich sagte ich glaube.


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