Öffentliches Recht

VwGO

Verpflichtungsklage

Bescheidungsurteil bei Beurteilungsspielraum

Bescheidungsurteil bei Beurteilungsspielraum

22. Mai 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F ist durch die mündliche Prüfung im Staatsexamen gefallen. Sie ist der Meinung, dass die Bewertung „unfair“ sei. F wendet sich an das Verwaltungsgericht.

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Einordnung des Falls

Bescheidungsurteil bei Beurteilungsspielraum

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F will erreichen, dass ihre Klausur erneut (und besser) bewertet wird und klagt. Ist dafür die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft?

Genau, so ist das!

Die statthafte Klageart bestimmt sich nach dem klägerischen Begehren (vgl. § 88 VwGO). Die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist statthaft, wenn der Kläger den Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt. Die Korrektur einer staatlichen Prüfungsleistung ist zunächst ein verwaltungsinterner Vorgang. Die Bewertung der Klausur erfüllt dagegen die Merkmale eines Verwaltungsakts nach § 35 S. 1 VwVfG. F begehrt die erneute Bewertung ihrer Klausur. Damit ist die Verpflichtungsklage statthaft.
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2. Die Klage ist zulässig. Müsste F einen Anspruch auf erneute bzw. auf fehlerfreie Bewertung haben, damit die Klage Erfolg hat?

Ja, in der Tat!

Die Begründetheit der Verpflichtungsklage setzt zunächst voraus, dass der Kläger einen Anspruch auf den von ihm begehrten Verwaltungsakt hat. Dieser Anspruch ergibt sich meist aus einfachgesetzlichen Normen, kann sich aber auch aus den Grundrechten ergeben. Aus der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) werden weitreichende Anforderungen an die Durchführung und Bewertung von staatlichen Prüfungen als Voraussetzung für die Ausübung eines bestimmten Berufs abgeleitet. Aus der Norm folgt ein Anspruch auf fehlerfreie Bewertung bzw. Neubewertung. Teilweise wird dieser Anspruch auch aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) hergeleitet.

3. Wenn der Behörde ein Beurteilungsspielraum zusteht, kann das Gericht die Entscheidung der Behörde vollumfänglich überprüfen.

Nein!

Wenn die Behörde auf der Tatbestandsebene (im Rahmen der Subsumtion) mehrere Möglichkeiten hat, hat sie einen Beurteilungsspielraum. Die Entscheidung der Behörde ist dann nur beschränkt durch das Gericht überprüfbar. Es findet lediglich eine „Vertretbarkeitsprüfung“ statt. Achtung: Verwechslungsgefahr! Ein Beurteilungsspielraum besteht auf der Ebene des Tatbestands, das Ermessen auf Rechtsfolge. § 40 VwVfG und § 114 VwGO beziehen sich nur auf das Ermessen. Die Grundsätze zum Beurteilungsspielraum finden sich nicht im Gesetz, sondern wurden von Rechtsprechung und Literatur entwickelt.

4. Bei Prüfungsentscheidungen besteht für die Behörden (grundsätzlich) ein Beurteilungsspielraum

Genau, so ist das!

Ein Beurteilungsspielraum besteht für die Behörde nur in Ausnahmefällen. Eine wichtige Fallgruppe sind Prüfungsentscheidungen. Der Grund für den Beurteilungsspielraum der Behörde liegt darin, dass Prüfungsentscheidungen stark auf individuellen Wertungen, den Erfahrungen der Prüfer, zum Teil auch auf pädagogischer Beurteilung beruhen. Prüfungsspezifische Bewertungen (Gesamteindruck des Prüflings, Bewertung sprachlicher Qualitäten etc.) sind von individuellen Wertungen geprägt und unterliegen daher beschränkter gerichtlicher Kontrolle. Fachwissenschaftliche Bewertungen (solche, die eindeutig überprüft werden können) sind dagegen vollumfänglich gerichtlich überprüfbar.

5. Fs schlechte Klausurbewertung beruht unter anderem auf ihrem „persönlichen Gesamteindruck” während der Prüfung. Ist diese Einschätzung vollumfänglich gerichtlich überprüfbar?

Nein, das trifft nicht zu!

Bei Prüfungsentscheidungen besteht für die Behörde auf Tatbestandsebene grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum, der nicht vollumfänglich gerichtlich überprüfbar ist. Dieser Beurteilungsspielraum besteht allerdings nur für prüfungsspezifische Bewertungen. Der „persönliche Gesamteindruck” der F ist eine individuelle Wertung der Prüfungskommission, die ihrer Natur nach nur sehr beschränkt überprüfbar ist. Hier kann das Gericht die Entscheidung der Prüfungskommission nur auf Beurteilungsfehler überprüfen. In diesem Fall würde ein Bescheidungsurteil nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO ergehen. Die Prüfung von Beurteilungsfehlern erfolgt in ähnlichen Kategorien wie Ermessensfehler (Beurteilungsausfall, Beurteilungsüberschreitung, Beurteilungsfehlgebrauch etc.).

6. Ist die inhaltliche Argumentation der F in der Prüfung vollumfänglich gerichtlich überprüfbar?

Ja!

Bei Prüfungsentscheidungen besteht für die Behörde grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum, der nicht vollumfänglich gerichtlich überprüfbar ist. Dieser Beurteilungsspielraum besteht allerdings nur für prüfungsspezifische Bewertungen. Fachwissenschaftlichen Bewertungen sind vollumfänglich gerichtlich überprüfbar. Ob die Argumentation der F (wissenschaftlich) richtig ist, ist eine fachwissenschaftliche Bewertung und damit vollumfänglich gerichtlich überprüfbar. Eine genaue Abgrenzung von fachwissenschaftlichen Bewertungen und prüfungsspezifischen Bewertungen ist teilweise kaum möglich. Das Gericht kann die Behörde nicht zum Erlass einer bestimmten Bewertung verpflichten, sondern nur ein Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO), gerichtet auf die Neubewertung der Klausur durch die Behörde, aussprechen.
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Eine Besprechung von:
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