+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Prinzessin P erhält von Behörde B eine Abrissverfügung für ihre Motorrad-Garage. P legt erfolgreich Widerspruch ein, B hebt die Verfügung auf. Zwei Wochen später erlässt B dieselbe Verfügung erneut, ohne dass sich die Umstände verändert haben. P will sich nicht weiter mit B rumärgern.
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Einordnung des Falls
Ungeregelte Fälle der Entbehrlichkeit: Behörde wiederholt den Verwaltungsakt
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist gegen die Abrissverfügung der Anfechtungswiderspruch statthaft (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO)?
Genau, so ist das!
Vor Erhebung der Anfechtungsklage, muss die Klägerin grundsätzlich Widerspruch bei der Behörde einlegen (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Anfechtungsklage ist statthaft, wenn die Klägerin die Aufhebung eines Verwaltungsakts (§ 35 S. 1 VwVfG) begehrt. Die bauordnungsrechtliche Abrissverfügung (siehe z.B. § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NBauO, Art. 76 S. 1 BayBO, § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW) ist ein Verwaltungsakt. P könnte hiergegen Anfechtungsklage erheben. Grundsätzlich müsste P auch einen Widerspruch einlegen (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO). Über § 68 Abs. 1 S. 2 Var. 1 VwGO haben viele Bundesländer das Vorverfahren für generell unstatthaft erklärt (z.B. § 80 Abs. 1 NJG, § 110 Abs. 1 JustG NRW, Art. 12 Abs. 2 AGVwGO Bay). Das heißt, die Durchführung eines Vorverfahrens ist in diesen Bundesländern keine Zulässigkeitsvoraussetzung mehr. Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
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2. Nach dem für P geltenden Landesrecht ist ein Vorverfahren grundsätzlich erforderlich. Ist für Ps Widerspruch das Vorliegen eines Ausnahmegrundes gemäß § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO ersichtlich?
Nein, das trifft nicht zu!
Von dem Grundsatz, dass die Klägerin vor Erhebung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ein behördliches Vorverfahren durchführen lassen muss, bestehen nach § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO Ausnahmen. Die Norm enthält zum einen bereits selbst konkrete Ausnahmefälle (§ 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO), zum anderen verweist sie darauf, dass weitere Ausnahmen durch (andere) Gesetze bestimmt werden können (§ 68 Abs. 1 S. 2 Var. 1 VwGO). Darüberhinaus haben sich in der Rspr. gesetzlich nicht normierte Fälle herausgebildet, in denen ein Vorverfahren ebenfalls entbehrlich ist. In Ps Fall ist zunächst keine gesetzlich normierte Ausnahme einschlägig, insbesondere gibt es keine landesrechtliche Regelung, die das Vorverfahren für unstatthaft erklärt.
3. Ein (weiterer) Widerspruch der P könnte entbehrlich sein, weil B bereits ein Widerspruchsverfahren durchgeführt hat, welches eine gleich lautende Abrissverfügung zum Gegenstand hatte.
Ja!
Neben den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen (§ 68 Abs. 1 S. 2 VwGO), kann ein Vorverfahren auch aus anderen, gesetzlich nicht geregelten Fällen entbehrlich sein. Ausgangspunkt hierfür ist i.d.R. immer der Zweck des Widerspruchsverfahrens: Hat die Behörde z.B. eine Entscheidung bereits inhaltlich geprüft (Selbstkontrolle), so wäre es unsinnig, ein weiteres Vorverfahren durchzuführen. Dies hätte keinen rechtsstaatlichen Mehrwert und würde lediglich zur Verzögerung des Rechtsstreits und damit letztlich zur Beeinträchtigung des verfassungsrechtlich garantieren effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) führen. B hat sich erst kürzlich in einem Widerspruchsverfahren mit einer identischen Abrissverfügung auseinandergesetzt. Eine weitere Selbstkontrolle ist nicht erforderlich. 4. Auch, wenn ein weiteres Vorverfahren sinnwidrig erscheint, muss P Widerspruch gegen die neue Abrissverfügung einlegen, damit ihre Anfechtungsklage zulässig ist.
Nein, das ist nicht der Fall!
Ausgehend vom Zweck des Widerspruchsverfahrens gibt es Fälle, in denen ein Vorverfahren ausnahmsweise entbehrlich ist, ohne dass dies ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Rechtschutzsuchende gegen einen Verwaltungsakt vorgehen will, der lediglich einen Verwaltungsakt, gegen den bereits ein Vorverfahren durchgeführt worden ist, ändert, ersetzt oder wiederholt. B wiederholt mit der Abrissverfügung einen Verwaltungsakt, gegen den P bereits erfolgreich Widerspruch eingelegt hatte. Ein weiteres Vorverfahren ist entbehrlich, also keine Zulässigkeitsvoraussetzung von Ps Anfechtungsklage. Wenn P möchte, kann sie den Verwaltungsakt trotzdem in einem Widerspruchsverfahren durch B überprüfen lassen: Der Widerspruch ist hier zwar entbehrlich, aber nicht unzulässig.