Öffentliches Recht

VwGO

Widerspruchsverfahren

Grundfall: Vorverfahren als Voraussetzung der Anfechtungsklage

Grundfall: Vorverfahren als Voraussetzung der Anfechtungsklage

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Hundehalterin H geht mit ihrem Mops in Berlin immer ohne Leine spazieren. Behörde B schickt H ein Schreiben, mit dem B die H verpflichtet, ihren Mops an der Leine zu führen, weil dieser gefährlich sei. H ist empört und will sofort Klage erheben, um ihrem Mops wieder freien Lauf zu lassen.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Vorverfahren als Voraussetzung der Anfechtungsklage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. H begehrt die Aufhebung eines Verwaltungsakts (§ 35 S. 1 VwVfG). Kann H allein mit der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) erfolgreich gegen die Anordnung vorgehen?

Nein, das trifft nicht zu!

Nicht nur die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) führt bei Erfolg dazu, dass der angefochtene Verwaltungsakt aufgehoben wird. Dieses Rechtsschutzziel kann ein Rechtsschutzsuchender auch im Wege des Widerspruchs gemäß § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO erreichen. Dafür muss die zuständige Behörde dem Widerspruch abhelfen (§ 72 VwGO). Die Verpflichtung (= Gebot), ihren Mops an der Leine zu führen ist ein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG.In Berlin findet das VwVfG des Bundes überwiegend Anwendung (§ 1 Abs. 1 VwVfG Bln).
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2. H kann sich aussuchen, ob sie Widerspruch gegen den Bescheid einlegt oder nur die Anfechtungsklage erhebt.

Nein!

Der Widerspruch ist ein gesetzlichen Vorverfahren: Vor Erhebung der Anfechtungsklage muss ein Vorverfahren erfolglos durchgeführt werden (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO), soweit nicht eine Ausnahme vorliegt (§ 68 Abs. 1 S. 2 VwGO). Das Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) ist damit Zulässigkeitsvoraussetzung der Anfechtungsklage. Es beginnt mit Erhebung des Widerspruchs (§ 69 VwGO). Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des angefochtenen Verwaltungsakts bei der Behörde, die diesen erlassen hat, erhoben werden (§ 70 Abs. 1 VwGO).Hier sind keine Ausnahmen nach § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO ersichtlich. H muss neben der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) einen Widerspruch gegen die Anordnung des Leinenzwangs erheben. Das Vorverfahren ist nicht nur für die Anfechtungsklage, sondern auch für die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) gesetzliche Zulässigkeitsvoraussetzung (§ 68 Abs. 2 VwGO). In 10 von 16 Bundesländern ist das Widerspruchsverfahren ganz oder teilweise abgeschafft. Weitgehend ausgeschlossen sind Vorverfahren in Niedersachsen (§ 80 Abs. 1 NJG) und Nordrhein-Westfalen (§ 110 Abs. 1 JustG NRW). Andere Länder wie Sachsen-Anhalt (§ 8a AG VwGO LSA) oder Bayern (Art. 12 Abs. 2 AGVwGO Bay) haben das Vorverfahren teilweise abgeschafft oder begrenzt. Dazu später mehr!

3. H erhebt Anfechtungsklage. Widerspruch hat sie noch nicht erhoben. Ist die Anfechtungsklage deshalb unzulässig?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Erhebung der Anfechtungsklage ist nach h.M. von der Erhebung des Widerspruchs unabhängig, entgegen des Wortlauts des § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Kläger muss den Widerspruch aber bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist eingelegt haben. Ansonsten ist seine Anfechtungsklage unzulässig. Denn der Widerspruch ist gemäß § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO eine Sachentscheidungsvoraussetzung. H kann direkt Klage erheben, ohne zuvor Widerspruch erhoben zu haben. Er muss aber sicherstellen, innerhalb der Widerspruchsfrist den Widerspruch einzulegen, sonst wird seine Anfechtungsklage unzulässig. § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO geht seinem Wortlaut nach davon aus, dass der Widerspruch erhoben wird. Es ist aber auch zulässig zu schreiben, dass der Widerspruch eingelegt wird, denn das Gesetz verwendet auch diesen Begriff, nämlich in § 70 Abs. 1 S. 2 VwGO.

4. H erhebt nun auch noch fristgemäß Widerspruch gegen die Anordnung des Leinenzwangs. Über den Widerspruch hat die Behörde noch nicht entschieden. Ist die Anfechtungsklage unzulässig?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Erhebung der Anfechtungsklage ist von der Erhebung des Widerspruchs unabhängig. Die Anfechtungsklage ist daher zunächst zulässig, wenn der Betroffene fristgemäß Widerspruch gegen den angegriffenen Verwaltungsakt eingelegt hat, die Behörde aber noch nicht endgültig über den Widerspruch entschieden hat. Das Gericht entscheidet aber nicht, bis das Widerspruchsverfahren erfolglos durchgeführt wurde, also der Widerspruchsführer durch den Widerspruch nicht die Aufhebung des Verwaltungsakts erreichen konnte. Denn die erfolglose Durchführung des Widerspruchsverfahrens ist Sachentscheidungsvoraussetzung (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Gericht wird in diesem Fall die endgültige Entscheidung im Widerspruchsverfahren abwarten.
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