Öffentliche Ordnung: Besonderheiten bei Versammlungen

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Neonazi N meldet für den 27.01. eine Demo an. Dies ist der Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz am 27.01.1945 und seither Tag der Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Die zuständige Behörde ordnet die Vertagung der Demo unter Verweis auf die öffentliche Ordnung an.

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Einordnung des Falls

Öffentliche Ordnung: Besonderheiten bei Versammlungen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die öffentliche Ordnung ist ein polizeiliches Schutzgut im Versammlungsrecht.

Ja!

Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Ordnung ist somit ein polizeiliches Schutzgut des Versammlungsrechts. Das VersG wurde als Bundesgesetz erlassen. Mittlerweile liegt die Gesetzgebungskompetenz jedoch bei den Ländern. Für die Länder, die von ihrer Gesetzgebungskompetenz (noch) nicht Gebrauch gemacht haben, gilt aufgrund des Art. 125a Abs. 1 GG das als Bundesrecht erlassene VersG fort. Du solltest wissen, ob es in Deinem Bundesland ein eigenes Versammlungsgesetz gibt oder ob über Art. 125a Abs. 1 GG das VersG (Bund) bei Dir zur Anwendung gelangt.
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2. Der Begriff der öffentlichen Ordnung im Versammlungsrecht entspricht dem der Polizeigesetze der Länder.

Genau, so ist das!

Das polizeiliche Schutzgut der öffentlichen Ordnung wird als Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird definiert. Dieselbe Definition bildet auch im Versammlungsrecht den Ausgangspunkt für die weitere Prüfung. Geh gern so vor: Wiederhole zunächst die Definition aus dem SOG. Gehe dann auf die versammlungsrechtlichen Besonderheiten ein (dazu sogleich).

3. Hinsichtlich Versammlungen ergeben sich keine Besonderheiten für das Schutzgut der öffentlichen Ordnung.

Nein, das trifft nicht zu!

Bereits auf Ebene der Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG stößt das Schutzgut der öffentlichen Ordnung auf verfassungsrechtliche Bedenken. Dies gilt umso mehr für die öffentliche Ordnung als Schutzgut des Versammlungsrechts. Dies ergibt sich daraus, dass Versammlungen unter dem besonderen Schutz der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG stehen. Auch aus der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG folgt ein erhöhter Schutz. Nach dem BVerfG sind meinungsinhaltsbezogene Beschränkungen auf Grundlage einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung unzulässig. Durchführungsspezifische Beschränkungen können dagegen angeordnet werden, wenn von der Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen. Diesen Unterschied musst Du kennen.

4. Die Vertagung der Demonstration ist eine durchführungsspezifische Beschränkung, und die Durchführung der Demonstration am 27.01. würde die öffentliche Ordnung gefährden.

Ja!

Durch die Verlegung der Versammlung auf einen anderen Tag wird nicht bewirkt, dass A seine Meinung generell nicht kundtun kann, sondern nur die zeitliche Art und Weise seiner Meinungskundgabe beschränkt. Der Gedenktag des 27.01. besitzt in der Gesellschaft einen eindeutigen Sinngehalt und hat enorme Symbolkraft. Die hierbei zum Ausdruck kommende mahnende Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus würde durch die Versammlung von Neonazis, die diesen Sinngehalt vielfach infragestellen , erheblich beeinträchtigt. Die hiervon ausgehende Provokation der Bürger rechtfertigt insoweit eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Neben der öffentlichen Ordnung ist bei Konstellationen mit Rechtsextremen auch immer die öffentliche Sicherheit anzusprechen. Diese kann betroffen sein, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es nahelegen, dass gegen § 130 Abs. 1 und 4 StGB (Volksverhetzung) verstoßen wird.
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