Öffentliches Recht
Staatsorganisations-Recht
Wahlen und Wahlrechtsgrundsätze
Thüringer Paritätsgesetz verfassungswidrig (ThürVerfGH, 15.07.2020 - VerfGH 2/20)
Thüringer Paritätsgesetz verfassungswidrig (ThürVerfGH, 15.07.2020 - VerfGH 2/20)
4. Juli 2025
6 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
In Thüringen ist seit August 2019 vorgesehen, dass Landeslisten durch die politischen Parteien abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen sind (sog. Paritätsgesetz), sonst werden sie zurückgewiesen. Partei P hält dies für nicht mit den Wahlrechtsgrundsätzen vereinbar.
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Einordnung des Falls
Thüringer Paritätsgesetz verfassungswidrig (ThürVerfGH, 15.07.2020 - VerfGH 2/20)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Freiheit der Wahl (Art. 46 Abs. 1 ThürVerf) sichert die Ausübung des Wahlrechts gegen Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussungen von außen ab.
Ja, in der Tat!
2. Das Paritätsgesetz beeinträchtigt die Freiheit der Wahl, da Wähler keine Liste wählen können, auf der nur oder überwiegend Männer oder Frauen aufgeführt sind.
Ja!
3. Nach dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl (Art. 46 Abs. 1 ThürVerf) muss jede Stimme den gleichen Zählwert und den gleichen Erfolgswert haben.
Genau, so ist das!
4. Alle Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber müssen ihr Recht, sich zur Wahl zu stellen, in gleicher Weise ausüben können (sog. passive Wahlrechtsgleichheit). Das Paritätsgesetz beeinträchtigt dieses Recht.
Ja, in der Tat!
5. Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze können durch einen „zwingenden Grund“ gerechtfertigt werden. Liegt dieser hier darin, dass eine tatsächliche Widerspiegelung der in der Wählerschaft vorhandenen Meinungen im Parlament sichergestellt werden muss (Demokratieprinzip)?
Nein!
6. Das Paritätsgesetz ist gerechtfertigt, weil dadurch der Charakter von Wahlen als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung gesichert wird.
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Die staatliche Verpflichtung zur Gleichstellung von Männern und Frauen (Art. 2 Abs. 2 S. 2 ThürVerf) rechtfertigt nach Überzeugung des ThürVerfGH die Eingriffe, die mit dem Paritätsgesetz verbunden sind.
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Juraddicted
5.9.2024, 10:47:02
Ist mit dem Begriff „Volk“ bei der hier genannten SpiegelungsTH das „Volk Thüringens“ oder der BRD gemeint? Kann man das Argument auch auf beiden Ebenen anwenden? Vielen Dank :)
judith
12.1.2025, 12:39:26
Die Spiegelungstheorie begründet ja das Gebot der tatsächlichen Wiederspiegelung der in der Wählerschaft vorhandenen Meinungen. Daher ist in diesem Fall mit dem Begriff "Volk" die Bevölkerung bzw. die Bürger und Bürgerinnen Thüringens gemeint.
okalinkk
9.5.2025, 20:35:00
ich dachte die Gleichheit erfasse nur die Zaehlwertgleichheit und die
Erfolgswertgleichheit. ich haette hier bzgl des eingeschraenkt waehlbaren Personenkreises eine Beeintraechtigung des Grundsatzes der “Allgemeinheit” gesehen?
Lt. Maverick
1.6.2025, 14:23:30
Am Ende des Tages ist dies Auslegungssache. Allgemeinheit und Gleichheit hinsichtlich des passiven Wahlrechts gehen hier Hand in Hand. Die
Allgemeinheit der Wahlwäre betroffen, wenn einem Kandidaten aufgrund des Geschlechts durch das Gesetz der Zugang zur Landesliste gänzlich verwehrt bliebe oder das Gesetz eine evidente Geschlechterpräferenz vorsehen würde. Hier stehen aber weder Männer noch Frauen schlechter, da das Gesetz beide Geschlechtergruppen hinsichtlich der Reihenfolge gleich behandelt. Der Kandidat würde vielmehr auf den „hinteren Rängen“ verbleiben, wodurch er seinen Einzug in den Landtag höchstwahrscheinlich verpassen könnte, wenn die Sitzverteilung seinen Rang nicht mit umfasst. Zwar ist es richtig, dass die Wahlrechtsgleichheit dahingehend zu verstehen, dass die Stimme den gleichen Zähl- und Erfolgswert haben muss. Auf der passiven Seite hingegen bedeutet es, dass dieser gleiche Zähl- und Erfolgswert sich auch auf den jeweiligen Wahlbewerber überträgt. Dies setzt indes voraus, dass der Wahlbewerber im selben Umfang bei der Stimmverteilung berücksichtigt wird, wie alle anderen Kandidaten. Dies ist jedoch nicht möglich, wenn der Gesetzgeber eine Reihenfolge vorgibt, die sich einzig am Geschlecht orientiert. Wären die ersten zwei Wahlbewerber weiblich, so würde schon die zweite Wahlbewerberin eine Ungleichbehandlung dahingehend erfahren, dass sie aufgrund ihres Geschlechts auf dem 3. Rang verbleibt, obwohl für sie eigentlich der 2. Rang vorgesehen war. Dadurch hat Wahlbewerberin 2 bereits im Vergleich zu Wahlbewerberin 1 (die auf dem 1. Rang steht) einen Nachteil erlitten.