Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2024

Reiterfahrung einer Richterin als Ersatz für Sachverständigen?

Reiterfahrung einer Richterin als Ersatz für Sachverständigen?

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Assessorexamen

W baut für B einen Reitplatz. B verweigert die Abnahme, da er den Platz mangelhaft findet. W klagt ihren Werklohn ein. Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger bestätigt die Mängel. Vorsitzende V, selbst seit 40 Jahren Reiterin, testet den Platz ebenfalls. Da ihr nichts auffällt, gibt sie Ws Klage statt.

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Einordnung des Falls

Reiterfahrung einer Richterin als Ersatz für Sachverständigen?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ws Klage ist begründet, wenn ihr ein fälliger und durchsetzbarer Werklohnanspruch zusteht (§ 631 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Leistungsklage ist begründet, wenn die Klägerin einen Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung hat. Im Falle des Werkvertrags trifft den Besteller grundsätzlich die Pflicht, die vereinbarte Vergütung zu entrichten (§ 631 Abs. 1 BGB).W und B haben sich über die Errichtung des Reitplatzes geeinigt, sodass W grundsätzlich ein Vergütungsanspruch aus § 631 Abs. 1 BGB zusteht. Dieser müsste allerdings auch fällig und durchsetzbar sein. Mögliche Einleitung der Begründetheit im Urteil bei begründeter Klage: „Die Klage ist begründet, da die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 2000 EUR aus § 631 Abs. 1 BGB hat.“
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2. Ist es für die Fälligkeit des Werklohnanspruchs immer erforderlich, dass der Besteller das Werk abnimmt (§ 641 BGB)?

Nein!

Grundsätzlich ist die Vergütung im Werkvertragsrecht erst bei Abnahme des Werks fällig (§ 641 Abs. 1 S. 1 BGB). Davon gibt es allerdings zwei zentrale (ungeschriebene) Ausnahmen: (1) Der Besteller verweigert zu Unrecht die Abnahme des abnahmereif hergestellten Werkes oder (2) der Besteller begehrt trotz nicht abnahmereif hergestellten Werkes nicht mehr die Erfüllung des Vertrages (reines Abwicklungs- und Abrechnungsverhältnis). Zu 2: Ein reines Abwicklungs- und Abrechnungsverhältnis liegt z.B. vor, wenn der Besteller nur noch Minderung oder kleinen Schadensersatz verlangt und dem Unternehmer keine Möglichkeit gibt, das Werk zu vollenden.Anhaltspunkte dafür, dass B an der Erfüllung des geschlossenen Vertrages kein Interesse mehr hat, liegen nicht vor. Eine Abnahme wäre insofern nur entbehrlich, wenn B die Abnahme zu Unrecht verweigert hat. Neben den hier genannten Ausnahmen kann die Abnahme auch in Fällen der Leistungskette (§ 640 Abs. 2 BGB) bzw. aufgrund der Beschaffenheit des Werkes (§ 646 BGB) entbehrlich sein.

3. Der Reitplatz ist nur abnahmereif, wenn er keine bzw. nur unwesentliche Mängel hat (§ 640 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Der Besteller ist grundsätzlich nur verpflichtet, ein vertragsmäßig hergestelltes Werk abzunehmen (§ 640 Abs. 1 BGB). Das Werk muss entsprechend frei von Sach- und Rechtsmängeln sein (§ 633 Abs. 1 BGB). Ohne abweichende Vereinbarungen schuldet der Werkunternehmer dabei grundsätzlich ein Werk, das den anerkannten Regeln der Technik entspricht.Sofern der Reitplatz an einem (nicht lediglich unbeachtlichen) Mangel litt, durfte B die Abnahme verweigern. Ws Anspruch wäre dann bereits nicht fällig und die Klage somit unbegründet.

4. Da B infolge der behaupteten Mängel die Abnahme verweigerte, trifft ihn für das Bestehen der Mängel die Darlegungs- und Beweislast.

Nein, das trifft nicht zu!

Im Zivilprozess gilt der Grundsatz, dass jede Partei die ihr günstigen Tatsachen darzulegen und - soweit der Prozessgegner diese bestritten hat und sie für die Entscheidung des Rechtsstreites erheblich sind - zu beweisen hat. Alle anspruchsbegründenden Tatsachen müssen deshalb grundsätzlich von der anspruchstellenden Partei vorgebracht und ggfs. bewiesen werden.Die Fälligkeit des Werklohnanspruchs gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen. Ws Anspruch ist - mangels Abnahme - aber nur fällig, wenn sie den Reitplatz abnahmereif, also mangelfrei, errichtet und B die Abnahme zu Unrecht verweigert hat. Somit obliegt die Darlegungs- und Beweislast für die Mangelfreiheit bei W und nicht bei B.Auf die Verteilung der Beweislast kommt es letztlich nur an, wenn im Prozess trotz durchgeführter Beweisaufnahme der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden konnte (sog. non-liquet).

5. Ein Richter ist bei der Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich frei (§ 286 ZPO).

Ja!

Der Grundsatz freier Beweiswürdigung entbindet den Richter weitgehend von gesetzlichen Beweisregeln. Es obliegt deshalb grundsätzlich der Entscheidung des Richter, (1) ob Beweis erbracht worden ist, (2) welcher Beweiswert einzelnen Beweismitteln zukommt, (3) wie das Verhältnis mehrerer Beweismittel untereinander ist, (4) welches Gewicht einer Beweisaufnahme im Verhältnis zur eigenen Lebenserfahrung zukommt. Auch die Berufungsinstanz soll deshalb seiner Entscheidung grundsätzlich die bereits festgestellten Tatsachen zugrunde legen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), sofern nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit bestehen (z.B. bei Fehlern im Rahmen der Beweiswürdigung).

6. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrung im Hinblick auf Haltung und Zucht von Pferden, durfte V sich deshalb über die Einschätzung des Gutachters bezüglich der mangelhaften Errichtung des Reitplatzes hinwegsetzen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Auch für Sachverständigengutachten als Beweismittel gilt, dass ein Richter hieran nicht zwingend gebunden ist. Vielmehr ist er sogar verpflichtet, das Gutachten sorgfältig und kritisch würdigen und darf es nicht einfach übernehmen. Will ein Richter von den Ergebnissen eines Sachverständigengutachtens abweichen, so muss er das aber begründen und die Begründung muss erkennen lassen, dass die abweichende Beurteilung nicht durch einen Mangel von Sachkunde beeinflusst ist.Allein aus dem Umstand, dass V hier Kenntnisse über die Reitkunst bzw. Ausbildung von Pferden hatte, folgt nicht, dass sie auch tiefergehende Sachkenntnise hinsichtlich der Anforderungen an den Bau eines Reitboden/Reitplatz besitzt. Ohne entsprechende Kenntnisse ist es dann aber fehlerhaft - entgegen eines eingeholten Gutachtens - von der mangelfreien Errichtung des Platzes auszugehen.Bestehen infolge der eigenen Lebenserfahrung Zweifel an dem Gutachten, so wäre es vielmehr angezeigt, ein weiteres Gutachten einzuholen (§ 412 Abs. 1 ZPO).

7. Handelt es sich bei der fehlerhaften Beweiswürdigung durch V um einen Berufungsgrund (§ 513 ZPO)?

Ja, in der Tat!

Die Berufung ist nach § 513 Abs. 1 ZPO begründet, wenn (1) das erstinstanzliche Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder (2) das Gericht von falschen oder unvollständigen Tatsachen ausgegangen ist oder neue Tatsachen zu berücksichtigen sind und das Urteil darauf beruht. Zu 2: Grundsätzlich ist das Berufungsgericht an die festgestellten Tatsachen gebunden, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1. ZPO).V ist fehlerhaft zu dem Schluss gekommen, dass der Reitplatz von W mangelfrei errichtet worden war. Ein Berufungsgericht ist an diese Feststellungen somit nicht gebunden. Auf der Annahme der Mangelfreiheit beruht das erstinstanzliche Urteil auch. Denn nur aufgrund dieser Feststellung konnte die Fälligkeit von Ws Werklohnanspruch angenommen werden.

8. Muss das Berufungsgericht das Verfahren für eine neuerliche Beweisaufnahme und Beweiswürdigung an das Ausgangsgericht verweisen (§ 538 ZPO)?

Nein!

Das Berufungsgericht ist sowohl Tatsachen- als auch Rechtsinstanz. Sofern es infolge von Fehlern bei der Beweiserhebung bzw. Beweiswürdigung einer neuerlichen Beweisaufnahme bedarf, hat es grundsätzlich die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden (§ 538 Abs. 1 BGB). Nur in Ausnahmefälle hebt es das angefochtene Urteil lediglich auf und verweist an das Gericht des ersten Rechtszuges zurück (§ 538 Abs. 2 ZPO).Es liegt kein Ausnahmefall des § 538 Abs. 2 ZPO vor. Somit kann das Berufungsgericht selbstständig die Beweisaufnahme wiederholen und eine eigene Entscheidung treffen.Im zugrundeliegenden Originalfall war die Berufungsinstanz nach neuerlicher Anhörung des Sachverständigen dessen Gutachten gefolgt und hatte die Klage abgewiesen.
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