Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Der öffentlich-rechtliche Vertrag

Teilnichtigkeit / Gesamtnichtigkeit: § 59 Abs. 3 VwVfG

Teilnichtigkeit / Gesamtnichtigkeit: § 59 Abs. 3 VwVfG

24. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Alexa (A) und Berit (B) schließen mit der Gemeinde G einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Kitabetreuung ihrer Tochter. Entgegen geltender gesetzlicher Regelungen berechnet G die Kosten auf Grundlage des Brutto- , nicht des Nettoeinkommens von A und B.

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Einordnung des Falls

Teilnichtigkeit / Gesamtnichtigkeit: § 59 Abs. 3 VwVfG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G kann die festgesetzten Kosten von A und B fordern, wenn der Vertrag rechtswirksam ist.

Genau, so ist das!

Die Fallbearbeitung wird sich in der Regel um die Frage drehen, ob eine Partei Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag geltend machen bzw. klageweise durchsetzen kann. Dies ist der Fall, wenn der öffentlich-rechtliche Vertrag Rechtswirksamkeit entfaltet, also nicht nichtig ist. Zu prüfen sind dafür die Voraussetzungen der §§ 54 VwVfG. Folgende Fragen müssen beantwortet werden: (1) Durfte die Behörde überhaupt einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen? (2) Ist der Vertrag rechtswidrig? (3) Wenn ja, hat die Rechtswidrigkeit die Nichtigkeit des Vertrags zur Folge? G kann aus dem Vertrag mit A und B nur dann einen Zahlungsanspruch ableiten, wenn dieser Vertrag nach den §§ 54 ff. VwVfG rechtswirksam ist. Ein sauberes „Entlanghangeln“ an den §§ 54 ff. VwVfG erspart Dir viel Auswendiglernen.
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2. Der Vertragsschluss war schon nach § 54 VwVfG unzulässig.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Behörde darf einen öffentlich-rechtlichen Vertrag generell nur dann schließen, wenn es keine entgegenstehenden gesetzlichen Vorschriften gibt. So stehen beispielsweise die landesrechtlichen Vorschriften des Bauordnungsrechts der Erteilung einer Baugenehmigung durch öffentlich-rechtlichen Vertrag entgegen. Dies kann nur durch den Erlass eines Verwaltungsakts erfolgen. Auch im Beamtenrecht gibt es Vorschriften, die den öffentlich-rechtlichen Vertrag für bestimmte Fallkonstellationen ausschließt (vgl. § 8 Abs. 2 BeamtStG).Es gibt keine gesetzlichen Regelungen, die ausschließen, dass eine Kitabetreuung durch öffentlich-rechtlichen Vertrag geregelt wird. Im Gegenteil: Es ist üblich, dass ein solcher öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen wird.

3. Der Vertrag ist materiell rechtswidrig, weil er höhere Kosten vorsieht, als gesetzlich geregelt.

Ja!

Entscheidend für die Rechtswirksamkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrags ist zunächst, ob dieser rechtmäßig ist. Wie bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, dass der Vertrag formell und materiell rechtmäßig ist. Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit muss geprüft werden, ob der Vertragsinhalt mit dem geltenden Recht (einfache Gesetze sowie Verfassungs-, Gewohnheits- und EU-Recht) vereinbar ist. Es gibt eine gesetzliche Grundlage, die die Höhe des Kitabeitrags festlegt. Die Festsetzung eines darüber hinausgehenden Betrag ist rechtswidrig.

4. Der Vertrag könnte nichtig nach § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG sein.

Genau, so ist das!

Nach § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG ist ein (rechtswidriger) öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nichtig wäre. Nach § 44 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Die Berechnungsweise des Kitabeitrags weicht wesentlich von der gesetzlichen Regelung ab, der errechnete Betrag wird wesentlich höher sein, als gesetzlich vorgesehen. Ein schwerwiegender, offensichtlicher Fehler kann daher angenommen werden.In einer gutachterlichen Fallbearbeitung würde der Sachverhalt an dieser Stelle sicherlich mehr verwertbare Informationen enthalten, sodass Du breiter argumentieren könntest.

5. Ein Zahlungsanspruch der G scheitert an der Gesamtnichtigkeit des Vertrags.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 59 Abs. 3 VwVfG entspricht der Regelung des § 139 BGB (Teilnichtigkeit). Es kommt zunächst darauf an, ob der nichtige Teil des Vertrags inhaltlich abtrennbar vom restlichen Vertragsinhalt ist. Im zweiten Schritt kommt es auf den (mutmaßlichen) Willen der Parteien unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben an. Nach § 59 Abs. 3 VwVfG ist ein Vertrag nur dann insgesamt nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Bestandteil des Vertrags geschlossen worden wäre.. Ansonsten bleibt er in Bezug auf den nicht nichtigen Teil rechtswirksam. Der Beitrag, welcher sich aus der gesetzlich vorgesehenen Berechnungsweise ergibt, ist abtrennbar von den Kosten, die darüberhinaus gehen. A und B hätten den Vertrag mit der gesetzlich vorgesehenen Berechnungsweise wohl auch abgeschlossen. Der Vertrag bleibt daher teilweise wirksam (§ 59 Abs. 3 VwVfG). G hat einen („reduzierten“) Zahlungsanspruch gegen A und B bis zu der gesetzlich vorgesehenen Höhe des Beitrags.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Juraluchs

Juraluchs

13.1.2023, 22:44:00

Das wirkt auf mich doch recht großzügig interpretiert. Die Vermutungsregel streitet für die Gesamtnichtigkeit...

JACOB

Jacob

5.2.2023, 12:31:19

Könnten es sich nicht hier um einen AGB-Vertrag handeln, wodurch dann der Vertrag bereits nach § 306 Abs. 1 Var. 2 BGB seine Wirksamkeit im Übrigen behält?

ASA

asanzseg

6.4.2023, 12:25:07

@[Jacob ](38395) also wenn man den Fall so versteht wie er hier angelegt ist, dass es sich um einen Anwendungsfehler des Beamten handelt, weil er für die Berechnung der Gegenleistung entgegen den gesetzlichen Bestimmungen den Bruttolohn heranzieht, dann kommen keine AGBs in Betracht. Auch wenn AGBs vorlägen, dann handelt es sich ja eben nicht wie bei §306 I VAR.2 BGB um die (TEIl) Unwirksamkeit der AGB selbst, sondern einfach um einen Kalkulationsfehler des Beamten. @[Juraluchs](159960) naja also der Fall der Gesamtnichtigkeit ist immer dann anzunehmen (grobe Faustformel) wenn ein offensichtlicher Fehler liegt, der einen Einfluss auf den Vertrag oder die Erteilung des VA also das (ob) hatte. Bspw. Würde man von einer Gesamtnichtigkeit ausgehen, wenn in einem öffentlich rechtlichen Vertrag ein Unternehmen sich verpflichtet eine Behindertenwerkstätte zu bauen, weil es darauf vertraut dass der Unternehmer, unter Grundlage der vorgelegten Belege, insbesondere Bilanzierung und Umsatzzahlen Erfahrung hat. Lässt sich die

Behörde

auf einen solchen Austauschvertrag ein im Sinne eines öff. rechtlichen Vertrages, obwohl sich der Beamte irrtümlich ausgeht es lägen bestimmte Zahlen vor die tatsächlich so nicht vorliegen, dann hat diese Nichtigkeit wohl eine Gesamtnichtigkeit zur Folge. Ähnlich wenn der öffentlich rechtliche Vertrag eine Baugenehmigung in einem ganz bestimmten Gebiet, zum Inhalt hat, in Gegenleistung zu einer Anstellung von besonders Benachteiligte Menschen. ISt aufgrund eines Fehlers des Beamten weil etwa falsche Pläne bei der Entscheidung vorlagen auf einen gänzlich unbebaubaren Gebiet ergangen, so wird man wohl auch von einer Gesamtnichtigkeit ausgehen müssen weil auszugehen ist, dass es dem Vertragspartner (Bauunternehmer) auf diese konkrete Baugenehmigung an diesem konkreten Ort ankommt. Ich hoffe das hilft :)

STE

StellaChiara

18.8.2023, 11:35:03

In den Hinweisen steht, dass keine Baugenehmigung nach der BauO durch öffentlich rechtlichen Vertrag erteilt werden kann. Aber haben wir das nicht zuvor oftmals im SB so gehabt? oder ist hier lediglich die Rede von einem koordinationsrechtlichem Vertrag iSv § 54 S.1 VwVfG ?

Juratiopharm

Juratiopharm

21.8.2023, 15:18:01

Ich meine, dass sich die Gemeinde schon verpflichten darf, eine Baugenehmigung zu erteilen, der Vertrag aber nicht an die Stelle der Baugenehmigung treten darf (keine Genehmigung durch Vertrag). Es schließt sich dann natürlich die Frage an, ob sich die Gemeinde zu ggf. rechtswidrigem Handeln verpflichten darf - dies dürfte in den Grenzen von § 59 II VwVfG der Fall sein.

Charliefux

Charliefux

3.4.2024, 11:47:44

Meistens begründet der ÖR-Vertrag den Erlass einer Baugenehmigung. Das heißt, die Gemeinde verpflichtet sich, die Baugenehmigung zu erteilen. Nur auf Grund dessen, darf dann das Bauwerk errichtet werden, nicht auf Grund des Vertrages. @[StellaChiara](19

273

3)

BL

Blotgrim

17.10.2023, 23:56:53

Es wäre hilfreich wenn man vielleicht noch Geldbeträge nennt, natürlich ist klar, dass brutto und netto sich unterscheiden, aber mit Ner eindeutigen Zahl ließe sich ein schwerer Fehler besser erkennen


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