+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Alexa (A) und Berit (B) schließen mit der Gemeinde G einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Kitabetreuung ihrer Tochter. Entgegen geltender gesetzlicher Regelungen berechnet G die Kosten auf Grundlage des Brutto- , nicht des Nettoeinkommens von A und B.

Einordnung des Falls

Teilnichtigkeit / Gesamtnichtigkeit: § 59 Abs. 3 VwVfG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G kann die festgesetzten Kosten von A und B fordern, wenn der Vertrag rechtswirksam ist.

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Genau, so ist das!

Die Fallbearbeitung wird sich in der Regel um die Frage drehen, ob eine Partei Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag geltend machen bzw. klageweise durchsetzen kann. Dies ist der Fall, wenn der öffentlich-rechtliche Vertrag Rechtswirksamkeit entfaltet, also nicht nichtig ist. Zu prüfen sind dafür die Voraussetzungen der §§ 54 VwVfG. Folgende Fragen müssen beantwortet werden: (1) Durfte die Behörde überhaupt einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen? (2) Ist der Vertrag rechtswidrig? (3) Wenn ja, hat die Rechtswidrigkeit die Nichtigkeit des Vertrags zur Folge? G kann aus dem Vertrag mit A und B nur dann einen Zahlungsanspruch ableiten, wenn dieser Vertrag nach den §§ 54 ff. VwVfG rechtswirksam ist. Ein sauberes „Entlanghangeln“ an den §§ 54 ff. VwVfG erspart Dir viel Auswendiglernen.

2. Der Vertragsschluss war schon nach § 54 VwVfG unzulässig.

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Nein, das trifft nicht zu!

Eine Behörde darf einen öffentlich-rechtlichen Vertrag generell nur dann schließen, wenn es keine entgegenstehenden gesetzlichen Vorschriften gibt. So stehen beispielsweise die landesrechtlichen Vorschriften des Bauordnungsrechts der Erteilung einer Baugenehmigung durch öffentlich-rechtlichen Vertrag entgegen. Dies kann nur durch den Erlass eines Verwaltungsakts erfolgen. Auch im Beamtenrecht gibt es Vorschriften, die den öffentlich-rechtlichen Vertrag für bestimmte Fallkonstellationen ausschließt (vgl. § 8 Abs. 2 BeamtStG).Es gibt keine gesetzlichen Regelungen, die ausschließen, dass eine Kitabetreuung durch öffentlich-rechtlichen Vertrag geregelt wird. Im Gegenteil: Es ist üblich, dass ein solcher öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen wird.

3. Der Vertrag ist materiell rechtswidrig, weil er höhere Kosten vorsieht, als gesetzlich geregelt.

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Ja!

Entscheidend für die Rechtswirksamkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrags ist zunächst, ob dieser rechtmäßig ist. Wie bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, dass der Vertrag formell und materiell rechtmäßig ist. Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit muss geprüft werden, ob der Vertragsinhalt mit dem geltenden Recht (einfache Gesetze sowie Verfassungs-, Gewohnheits- und EU-Recht) vereinbar ist. Es gibt eine gesetzliche Grundlage, die die Höhe des Kitabeitrags festlegt. Die Festsetzung eines darüber hinausgehenden Betrag ist rechtswidrig.

4. Der Vertrag könnte nichtig nach § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG sein.

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Genau, so ist das!

Nach § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG ist ein (rechtswidriger) öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nichtig wäre. Nach § 44 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Die Berechnungsweise des Kitabeitrags weicht wesentlich von der gesetzlichen Regelung ab, der errechnete Betrag wird wesentlich höher sein, als gesetzlich vorgesehen. Ein schwerwiegender, offensichtlicher Fehler kann daher angenommen werden.In einer gutachterlichen Fallbearbeitung würde der Sachverhalt an dieser Stelle sicherlich mehr verwertbare Informationen enthalten, sodass Du breiter argumentieren könntest.

5. Ein Zahlungsanspruch der G scheitert an der Gesamtnichtigkeit des Vertrags.

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Nein, das trifft nicht zu!

§ 59 Abs. 3 VwVfG entspricht der Regelung des § 139 BGB (Teilnichtigkeit). Es kommt zunächst darauf an, ob der nichtige Teil des Vertrags inhaltlich abtrennbar vom restlichen Vertragsinhalt ist. Im zweiten Schritt kommt es auf den (mutmaßlichen) Willen der Parteien unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben an. Nach § 59 Abs. 3 VwVfG ist ein Vertrag nur dann insgesamt nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Bestandteil des Vertrags geschlossen worden wäre.. Ansonsten bleibt er in Bezug auf den nicht nichtigen Teil rechtswirksam. Der Beitrag, welcher sich aus der gesetzlich vorgesehenen Berechnungsweise ergibt, ist abtrennbar von den Kosten, die darüberhinaus gehen. A und B hätten den Vertrag mit der gesetzlich vorgesehenen Berechnungsweise wohl auch abgeschlossen. Der Vertrag bleibt daher teilweise wirksam (§ 59 Abs. 3 VwVfG). G hat einen („reduzierten“) Zahlungsanspruch gegen A und B bis zu der gesetzlich vorgesehenen Höhe des Beitrags.

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