Kopftuch 3: Lehrerin mit Kopftuch

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bundesland B erlässt ein Gesetz, das es im Einzelfall ermöglicht, Lehrerinnen im Dienst das Kopftuch zu verbieten. Kopftuch-Trägerin A verbreitet im Unterricht gefährliche islamistische Propaganda. Lehrerin C, ebenfalls mit Kopftuch, verhält sich neutral und stets vorbildlich. Die öffentliche Schule S verbietet A das Kopftuch, C nicht.

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Einordnung des Falls

Kopftuch 3: Lehrerin mit Kopftuch

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Fällt das Tragen des Kopftuchs am Arbeitsplatz mit schutzwürdigen Minderjährigen in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit?

Ja!

Teil des forum externum der Glaubensfreiheit sind sowohl die Bekenntnis-, als auch Betätigungsfreiheit. Die Bekenntnisfreiheit umfasst die Freiheit des Einzelnen, seinen Glauben im Wege religiös geprägter Meinungsäußerung nach außen kundzutun. Ein solches Bekenntnis kann sowohl in Wort, Schrift als auch symbolisch, zum Beispiel durch das Beachten religiöser Kleidungsvorschriften, erfolgen. Die Bekenntnisfreiheit gilt sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum und besteht Der eigene Glaube kann durch das Befolgen religiöser Kleidungsvorschriften nach außen kundgetan werden. Dieses Bekenntnis, hier das Tragen eines Kopftuchs durch A und C, fällt in den Schutzbereich ihrer Glaubensfreiheit. Dem steht nicht entgegen, dass die Lehrerinnen mit schutzwürdigen Minderjährigen arbeiten, sondern gilt unabhängig vom Gegenüber der Grundrechtsträgerinnen.
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2. Das Kopftuch-Verbot für A stellt einen Eingriff in den Schutzbereich ihrer Glaubensfreiheit dar.

Genau, so ist das!

Der Schutzbereich der Glaubensfreiheit ist, angelehnt an den sog. modernen Eingriffsbegriff betroffen, wenn der Staat eine der geschützten Verhaltensweisen in irgendeiner Weise regelt oder faktisch behindert. Das Kopftuch-Verbot für A hindert sie an der Befolgung der Kleidungsvorschriften ihrer Religion, da sie ihr Kopftuch in der Schule und während des Unterrichts nun nicht mehr tragen darf. Das Verbot stellt somit einen Eingriff in den Schutzbereich von As Glaubensfreiheit dar.

3. Mit dem neuen Gesetz des Bundesland B besteht eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff.

Ja, in der Tat!

Die Glaubensfreiheit ist durch konkurrierendes Verfassungsrecht einschränkbar. Diese Einschränkung muss jedoch aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes auf Grundlage eines seinerseits verfassungsmäßigen formellen Gesetzes erfolgen. Unterstellt man, dass das neue Gesetz des Bundesland B verfassungsgemäß ist, besteht mit diesem formellen Gesetz eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff.

4. Das Tragen eines Kopftuchs durch die Lehrerinnen steht im Widerstreit mit anderen kollidierenden Verfassungsgütern.

Ja!

Das Tragen eines Kopftuchs durch die Lehrerinnen im Dienst steht im Widerstreit mit verschiedenen kollidierenden Verfassungsgütern, darunter dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag in Verbindung mit dem Grundsatz staatlicher Neutralität (Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 7 Abs. 1 GG), der negativen Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) sowie dem elterlichen Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG).

5. Die Glaubensfreiheit genießt als Ergebnis einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungsgütern Pauschalvorrang.

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Rahmen der Rechtfertigung gilt es, die widerstreitenden Schutzgüter durch eine Abwägung in einen möglichst schonenden und gerechten Ausgleich zu bringen. Das BVerfG hat entschieden, dass dem Tragen eines Kopftuchs im Dienst solange nichts entgegensteht, solange von diesem keine Suggestivwirkung in Form einer fundamentalen Einstellung auf die Schüler ausgeht und der Eindruck der Lehr-Persönlichkeit darüber hinaus Gewähr für eine religiös-weltanschauliche Offenheit gibt. Die Glaubensfreiheit genießt somit keinen Pauschalvorrang vor anderen Verfassungsgütern, sondern ist vielmehr im Rahmen der vom BVerfG aufgestellten Vorgaben praktischer Konkordanz einer Abwägung zugänglich.

6. Ist der Eingriff in die Glaubensfreiheit der A verfassungsrechtlich gerechtfertigt?

Ja, in der Tat!

Das BVerfG hat entschieden, dass dem Tragen eines Kopftuchs im Dienst solange nichts entgegensteht, solange von diesem keine Suggestivwirkung in Form einer fundamentalen Einstellung auf die Schüler ausgeht und der Eindruck der Lehr-Persönlichkeit darüber hinaus Gewähr für eine religiös-weltanschauliche Offenheit gibt. A verbreitet als Kopftuch-Trägerin im Unterricht gefährliche islamistische Propaganda. Das Kopftuch wird damit Kontext und Ausdruck einer intensiv propagierten fundamental-religiösen Einstellung. A gibt damit objektiv keine Gewähr dafür, dass sie eine religiös-weltanschauliche Offenheit vertritt. In der Abwägung der widerstreitenden Verfassungsgüter hat die Glaubensfreiheit hier zurückzutreten. Der Eingriff in die Glaubensfreiheit der A ist damit verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

7. Wäre ein Kopftuch-Verbot für Lehrerin C ebenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt?

Nein!

Vom Tragen des Kopftuchs allein geht laut BVerfG grundsätzlich keine Suggestivwirkung in Form einer fundamentalen Einstellung aus, sofern die Lehrkraft die Gewähr einer religiös-weltanschaulichen Offenheit vermittelt. C trägt zwar ein Kopftuch, verhält sich darüber hinaus jedoch neutralen stets vorbildlich. Ein Verbot wäre somit unverhältnismäßig und nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

8. Eine gesetzliche Regelung, die pauschal das Tragen des Kopftuchs als Lehrerin verbietet, ist mit der Glaubensfreiheit vereinbar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das BVerfG hat ausdrücklich entschieden, dass ein pauschales gesetzliches Verbot für religiöse Bekundungen in öffentlichen Schulen durch die äußere Erscheinung von Lehrkräften nicht mit deren Glaubensfreiheit vereinbar ist. Als Argument führt das BVerfG an, dass die staatlich gebotene Neutralität gerade als eine alle Bekenntnisse und Religionen gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen sei, die kein einzelnes Bekenntnis staatlich einseitig verbieten dürfe. Bevor eine Norm jedoch als verfassungswidrig und damit nichtig eingestuft wird, sollte zunächst geprüft werden, ob diese einer verfassungskonformen (einschränkenden) Auslegung zugänglich ist.

9. Laut BVerfG steht dem Gesetzgeber beim Erlass von Normen zur Regelung des Kopftuch-Tragens im öffentlichen Dienst ein Einschätzungsspielraum zu.

Ja, in der Tat!

Das BVerfG hat darauf verwiesen, dass es die Regelung zum Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke im öffentlichen Dienst als Aufgabe des ordentlichen Gesetzgebers ansieht. Dabei liegt es in der Hand des Gesetzgebers, eine Abwägung der gegenläufigen Grundrechts- und Verfassungspositionen vorzunehmen. Dem Gesetzgeber steht somit ein Einschätzungsspielraum zu.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Sassun

Sassun

19.9.2024, 11:01:28

Da es leider bisher nur sehr begrenzt Aufgaben zur Rechtfertigung in der Lerneinhe

it Grundrecht

e gab würde ich zumindest vorschlagen ein Schema für die Rechtfertigungen der einzelnen GR aufzunehmen. Ein kleiner Vorschlag mit Bitte um Verbesserung, sollte etwas nicht stimmen: I. Schutzbereich 1. Persönlich [+] 2. Sachlich [a) Glaube aa) Forum externum (1) Bekenntnisfreiheit / (2) Betätigungsfreiheit (3) ggf. Plausibilitätskontrolle bb) Forum internum / b) Weltanschauung II. Eingriff 1. Klassisch [+] 2. Modern III. Rechtfertigung 1. Schranke ( = Einschränkungsmöglichkeiten von Art. 4 I, II GG) Grds. nur kollidierendes Verfassungsrecht. Aufgrund Vorbehalt des Gesetzes aber formelles Gesetz als EMGL a) Formelles Gesetz als EMGL b) Verfassungsimmanente Schranken aa) insb. Grund

rechte Dritter

bb) andere Verfassungswerte zB Neutralitätsgebot 2. Schranke-Schranke (= Begrenzung der Schranke) a) Verfassungsmäßigkeit des eingreifenden formellen Gesetzes [...] b) Verhältnismäßigkeit des Einzelaktes idR Schwerpunkt: Abwägung der GR und praktische Konkordanz


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