Fristbeginn bei Unstatthaftigkeit des Widerspruchs
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A lebt in der nordrhein-westfälischen Gemeinde G. Sachbearbeiterin S übermittelt am 09.05.2022 eine Abrissverfügung an die Post, die A am 11.05.2022 zugeht. Sie fragt ihre Anwältin, bis wann sie Zeit hat, sich gegen den Bescheid zu wehren.
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Einordnung des Falls
Fristbeginn bei Unstatthaftigkeit des Widerspruchs
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die VwGO enthält keinerlei Regeln zur Klagefrist. Diese richtet sich ausschließlich analog nach den Regeln des BGB.
Nein, das trifft nicht zu!
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2. Das Widerspruchsverfahren ist gem. § 110 Abs. 1 S.1 JustG NRW in NRW unstatthaft. Muss A einen Widerspruch bei der Behörde einreichen?
Nein!
3. Ein schriftlicher Verwaltungsakt ist bekannt gegeben, wenn er durch die Behörde zur Post gebracht wurde.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Die Klagefrist begann vorliegend am 12.05.2022.
Nein, das trifft nicht zu!
5. A hat mindestens bis zum 12.06.2022 um 24 Uhr Zeit, die Anfechtungsklage zu erheben.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Cajetan
27.7.2022, 17:48:35
Wo ist denn hier der Unterschied zu den Fällen davor, wo die
Klagefristeinen Monat nach dem Ereignis, also Zugang des VA (und nicht am Tag danach) endet? 😵💫
Nora Mommsen
3.8.2022, 15:13:30
Hallo Cajetan, für Zustellung per Post gilt die Drei-Tages-Fiktion, das heißt drei Tage nach Übermittlung an die Post gilt der Bescheid als zugegangen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Empfänger tatsächlich früher Kenntnis hatte. Der 12.05 ist daher egal wegen der gewählten Form der Übermittlung. Es kommt lediglich auf die Fiktion des Zugangs am 13.05. an. Dieser ist das fristauslösende Ereignis. Von daher gibt es "keinen Tag extra", wie es auf den ersten Blick wirken könnte. Etwas anderes könnte sich nur ergeben, wenn der Brief gar nicht zugestellt wurde. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Cajetan
3.8.2022, 16:02:18
Ich verstehe, vielen Dank!
Daniel
4.8.2022, 14:21:32
Hallo Nora, Ich bin mir nicht sicher, ob die Angaben im SV hier zu den Lösungstexten passen. In der Lösung zu Frage 3 heißt es, A hätte am 11.05. Kenntnis genommen, laut SV jedoch am 12.05. Des Weiteren wird die Bekanntgabe des VA in der Lösung zu Frage 4 mit dem 12.05. angegeben, in der Lösung zu Frage 5 jedoch mit dem 13.05. Viele Grüße, Daniel
Lukas_Mengestu
26.9.2022, 20:02:11
Vielen Dank, Daniel! Wir haben die entsprechenden Daten hier noch einmal glattgezogen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Abi
16.2.2023, 13:24:13
Die Klage muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden, vgl. 74 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Das ist der Unterschied zu den vorangegangen Fragen. Das dargestellte Ergebnis ist falsch, weil ein Vorverfahren durchgeführt werden muss. Im Ergebnis hat der Adressat des belastende Verwaltungsaktes deutlich mehr Zeit, Klage einzureichen, weil zuvor das Vorverfahren noch läuft.
Lukas_Mengestu
16.2.2023, 17:03:33
Hallo Abi, hier musst Du wirklich die ganze Norm lesen und Dich vor vorschnellen Schlüssen in Acht nehmen. Richtig, im Grundsatz muss die Klage einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides erhoben werden (§ 74 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies gilt allerdings nur dann, wenn es auch ein entsprechendes Vorverfahren (=Widerspruchsverfahren) gibt. In vielen Ländern wurde dieses aber abgeschafft. Die Möglichkeit hierzu eröffnet § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO. Niedersachsen hat davon Gebrauch gemacht, wie in der Fragestellung klargestellt wurde (§ 80 Abs. 1 NJG). Gibt es aber kein Widerspruchsverfahren, so gibt es auch keinen Widerspruchsbescheid auf den man für die Berechnung der
Klagefristabstellen kann. In diesen Fällen kommt es demnach auf den zweiten Satz des § 74 Abs. 1 VwGO an: "Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden." So liegt der Fall hier. Da die Bekanntgabe am 12.5 erfolgte, muss bis spätestens 12.6 die Klage erhoben werden (§ 74 Abs. 1 S. 2 VwGO). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Abi
16.2.2023, 17:10:21
Bitte 80 Abs. 2 Nr. 4 a) NJG beachten!
Lukas_Mengestu
17.2.2023, 10:12:56
Erwischt, vielen Dank, Abi! Die Rückausnahme war uns hier tatsächlich entgangen, da die Bundesländer auch in diesem Bereich leider jeweils ihr eigenes Süppchen kochen... Wir haben den Fall nun in NRW spielen lassen, damit der Unterschied zu den übrigen Fällen wieder deutlich wird. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jonas Neubert
2.6.2023, 14:07:57
Ich finde es äußerst interessant, dass auch Sonnabende in 193 BGB und 222 ZPO berücksichtigt werden, wobei diese als reguläre Werktage m.E. gelten
Flohm
12.8.2023, 10:18:10
Wieso ist die Zustellung am 11.05. die Bekanntgabe aber erst am 12.05 ?
Empfänger am Horizont
25.9.2023, 10:55:37
Hallo @[Flohm](210957), gem. § 41 II 1 VwVfG gilt der VA am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als Bekanntgegeben. Diese Fiktionsregelung greift auch, wenn der VA schon früher zugestellt wird. Deshalb ist der VA im vorliegenden Fall erst am 12.05. bekanntgegeben (= dritter Tag nach Aufgabe zur Post), obwohl er schon am 11.05. zugegangen ist. Ich hoffe, ich konnte deine Frage beantworten. :)
Leonie
28.6.2024, 18:13:47
In einem der Antwortkästen steht, dass „sich der Umkehrschluss aus § 41 II 1 Hs 2 VwGO ergebe“, das müsste aber glaube ich § 41 II 3 VwGO heissen. Es ging darum, dass die Fiktion auch dann gilt, wenn der Bescheid früher zur Kenntnis genommen wird.