Allgemeinverfügung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach intensiven gewalttätigen Auseinandersetzungen im Rahmen einer Versammlung beschließt der Einsatzleiter der Polizei, die Demonstration aufzulösen. Dies wird über die Lautsprecher eines Polizeiautos verkündet.

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Einordnung des Falls

Allgemeinverfügung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei der Auflösung der Versammlung handelt es sich mangels Schriftlichkeit nicht um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG.

Nein!

Ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG liegt vor, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt sind. Als problematisch ließe sich das Merkmal der Einzelfallregelung ansehen. Jedoch handelt es sich gemäß § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG bei einem an nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis gerichteten Verwaltungsakt um eine Allgemeinverfügung, die einen Unterfall des Verwaltungsaktes darstellt. Das Erfordernis der Schriftlichkeit gibt es nicht. Dies ergibt sich auch aus § 37 Abs. 2 S. 1 VwVfG. Da auch die weiteren Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt sind, ist die über die Lautsprecher verkündete Auflösung der Versammlung ein Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG. Die Regelungswirkung einer Versammlungsauflösung liegt darin, dass der Versammlung der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG entzogen wird (rechtsgestaltender Verwaltungsakt).
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2. Die Versammlungsauflösung ist bereits deshalb rechtswidrig, weil keine vorherige Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG stattgefunden hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG ist eine Anhörung vor dem Erlass eines Verwaltungsaktes, der in die Rechte von Beteiligten eingreift durchzuführen. Hiervon macht § 28 Abs. 2 VwVfG jedoch eine Ausnahme, wenn dies nach dem Umständen nicht geboten ist. Gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 Var. 1 VwVfG ist dies insbesondere bei dem Erlass einer Allgemeinverfügung der Fall. Da die Versammlungsauflösung in Form der Allgemeinverfügung erlassen wurde, ist eine Anhörung gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 Var. 1 VwVfG entbehrlich.

3. Die Versammlungsauflösung kann auf § 1 Abs. 1 SOG gestützt werden.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 1 Abs. 1 SOG enthält die Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen zur Gefahrenabwehr. Eine Verordnung ist als Rechtsnorm eine abstrakt-generelle Regelung. Die Allgemeinverfügung ist hingegen eine konkret-generelle Regelung. Sie bezieht sich auf einen konkreten Sachverhalt und erfasst gerade nicht eine unbestimmte Anzahl von Fällen. Da auch die Allgemeinverfügung einen nur bestimmbaren Personenkreis fordert, kann die Abgrenzung schwierig sein. Entscheidende Kriterien der Abgrenzung sind die zeitliche und räumliche Geltung einer Maßnahme. Entfaltet eine Maßnahme etwa nur für einen bestimmten Ort an einem bestimmten Tag Geltung, so liegt eine konkret-generelle Regelung in Form der Allgemeinverfügung vor. Die Versammlungsauflösung entfaltete lediglich für eine bestimmte Versammlung rechtliche Wirkung. Es handelt sich somit nicht um eine Verordnung i.S.d. § 1 Abs. 1 SOG. Ermächtigungsgrundlage für die Versammlungsauflösung ist § 15 Abs. 3 VersG.
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