Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2015

Abwehranspruch des Mieters bei Zigarettenqualm auf dem Balkon

Abwehranspruch des Mieters bei Zigarettenqualm auf dem Balkon

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Rosi (R) liebt ihre kubanischen Zigarren. Sie raucht diese am liebsten bei Sonnenschein auf dem Balkon ihrer Mietwohnung. Fitnesstrainer Mike (M) wohnt über R zur Miete. Er möchte, dass R ihn mit dem Zigarrenqualm nicht länger belästigt.

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Einordnung des Falls

Abwehranspruch des Mieters bei Zigarettenqualm auf dem Balkon

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Steht M ein Unterlassungsanspruch gegen R aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB zu?

Nein!

Der Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB setzt zunächst voraus, dass die Anspruchstellerin Eigentümerin ist oder in sonstiger Weise dinglich berechtigt ist (z.B. Nießbrauch, § 1065 BGB).Als Mieter ist M lediglich schuldrechtlich berechtigt, die Mietwohnung zu nutzen. Damit scheidet ein Unterlassungsanspruch direkt aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB aus.
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2. M könnte ein Unterlassungsanspruch aus §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB zustehen.

Genau, so ist das!

BGH: Auch ohne dingliches Recht sei der Mieter über § 862 BGB in gleichem Maße vor Beschränkungen seiner Sachherrschaft geschützt, wie der Eigentümer selbst (RdNr. 5). Der Störungsbeseitigungsanspruch aus § 862 Abs. 1 S. 1 BGB hat folgende Voraussetzungen: (1) Störung des Besitzes durch verbotene Eigenmacht, (2) der Anspruchsgegner muss Störer sein, (3) kein Ausschluss des Anspruchs nach § 862 Abs. 2 BGB und (4), kein Erlöschen des Anspruchs nach § 864 BGB.Nach der Rechtsprechung des BGH kommen bei Besitzstörung des Mieters allerdings nur Abwehransprüche und kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in Geld (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog) in Betracht.

3. Eine Besitzstörung durch das Rauchen auf dem Balkon scheidet aus, wenn das Rauchen ausweislich Rs Mietvertrag zum vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung gehört (§ 858 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Für eine Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) ist allein maßgeblich, dass die Entziehung oder Störung des Besitzes (1) ohne den Willen des Besitzers erfolgt und (2) nicht durch das Gesetz gestattet ist. Vertragliche Vereinbarungen des Störers mit Dritten vermögen eine Besitzstörung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen (RdNr. 7).Rs mietvertragliche Vereinbarung hat keinen Einfluss auf die Frage, ob der Zigarrenqualm eine verbotene Eigenmacht darstellt und M insoweit ein Abwehranspruch aus § 862 BGB zustehen könnte.

4. Sofern das Rauchen auf dem Balkon nicht aufgrund einer in Bezug genommenen Hausordnung geduldet werden muss, liegt eine Besitzstörung vor (§ 858 Abs. 1 BGB).

Ja!

Vertragliche Abreden der Störerin mit Dritten sind für die Frage der Besitzstörung unerheblich. Etwas anderes gilt im Hinblick auf vertragliche Abreden des gestörten Mieters. Hat dieser über einen Verweis in seinem Mietvertrag der Hausordnung zugestimmt, so kann sich daraus eine vertragliche Duldungspflicht ergeben.Aus dem Sachverhalt ergeben sich weder Anhaltspunkte dafür, dass eine Hausordnung das Rauchen auf dem Balkon explizit gestattet, noch, dass M einer solchen zugestimmt hat. Damit stört R den Besitz des M durch verbotene Eigenmacht.

5. Der Abwehranspruch ist ausgeschlossen, sofern M nach § 906 BGB analog zur Duldung verpflichtet ist.

Genau, so ist das!

BGH: Zur Bestimmung der Grenzen dessen, was der Mieter an Immissionen hinzunehmen hat, die von dem Gebrauch der anderen Wohnung ausgehen, sei der in § 906 Abs. 1 BGB bezeichnete Maßstab entsprechend anzuwenden. Demnach könne der Mieter Einwirkungen durch das Rauchen eines anderen Mieters nicht verbieten, wenn sie ihn in dem Gebrauch der Mietsache nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Wann eine wesentliche Beeinträchtigung vorliege, beurteile sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten sei (RdNr. 10)Da der Wortlaut des § 906 BGB nur Eigentümern eine Duldungspflicht auferlegt, muss die Norm hier analog angewandt werden!

6. Rauchen im Freien stellt stets bloß eine unwesentliche Beeinträchtigung dar.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Berufungsgericht hatte unter Verweis auf die Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) noch argumentiert, beim Rauchen auf dem Balkon handele es sich stets um eine sozialadäquate, bloß unwesentliche Beeinträchtigung.Bund und Länder haben mittlerweile umfangreiche Nichtraucherschutzgesetze erlassen. BGH: Vor diesem Hintergrund komme die Annahme, durch Rauchen erzeugte Immissionen seien, als sozialadäquat einzustufen und damit stets unwesentlich i.S.v § 906 Abs. 1 BGB, heute nicht mehr in Betracht. Deutlich wahrnehmbarer Rauch sei unabhängig der Dauer grundsätzlich als eine wesentliche Beeinträchtigung anzusehen (RdNr. 15).Die Beweislast dafür, dass es sich nur um eine unwesentliche Beeinträchtigung handelt, trägt der Störer.

7. Kann M der R damit jegliches Rauchen auf dem Balkon verbieten?

Nein!

Der gestörte Mieter muss seinerseits auch auf das Recht des störenden Mieters Rücksicht nehmen, seine Wohnung vertragsgemäß zu nutzen. Dazu gehört grundsätzlich auch das Rauchen in der Wohnung und auf dem Balkon. Insoweit kollidieren die durch die Mietverträge begründeten Besitzrechte, die über Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG jeweils grundrechtlich geschützt sind. Diese Rechte müssen zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden (=praktische Konkordanz). Fehlt es an für beide Teile verbindlichen vertraglichen Regelungen in einer Hausordnung, bestimmen sich die Grenzen des zulässigen Gebrauchs und der hinzunehmenden Beeinträchtigungen nach dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme (§ 242 BGB).Möglich ist z.B. die Vereinbarung von bestimmten Zeitfenstern.

8. M könnte auch ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zustehen.

Genau, so ist das!

Achtung: Dieser Anspruch wird in der Klausur leicht vergessen zu prüfen! § 1004 BGB ist zwar dem Wortlaut nach auf Störungen des Eigentums beschränkt. Die Norm wird aber analog auf sämtliche Störungen absoluter Rechtsgüter angewandt (§ 823 Abs. 1 BGB). Sofern es sich beim Tabakrauch um gesundheitsschädliche Immission handelt, auch hiernach ein Abwehranspruch, sofern keine Duldungspflicht besteht.Nach Auffassung des BGH indizieren die Nichtraucherschutzgesetze, dass Tabakrauch im Freien keine Gefahr für die Gesundheit anderer darstellt. Ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB besteht deshalb nur, sofern der gestörte Mieter konkret darlegen kann, inwieweit sich aus dem Rauch im konkreten Fall eine Gesundheitsbeeinträchtigung ergibt.
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