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Klassisches Klausurproblem

Baustoffhändlerin H liefert Bauunternehmer U Baumaterial unter Eigentumsvorbehalt. Noch vor Zahlung baut U dieses in das Grundstück des G ein. Mit G hat U einen Werkvertrag. U fällt in Insolvenz. Händler H verlangt nun das Geld von G.

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Einordnung des Falls

Einbau-Fall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Aufgrund des vereinbarten Eigentumsvorbehalts ist H auch nach dem Einbau noch Eigentümer der Baumaterialien.

Nein!

Die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehaltes hat lediglich Auswirkung auf die Verfügungsberechtigung des Erwerbers. Einem gesetzlichen Eigentumserwerb steht er nicht entgegen. Der Eigentumserwerb kraft Gesetzes durch Verbindung setzt voraus, dass eine bewegliche Sache mit einem Grundstück dergestalt verbunden wird, dass sie wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird (§ 946 BGB). Die Baumaterialien sind bewegliche Sachen und diese wurden auf dem Grundstück verbaut. G als Eigentümer des Grundstücks hat kraft Gesetzes Eigentum an den Baumaterialien erworben. H hat damit ihr Eigentum verloren
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2. H hat einen Anspruch auf Schadensersatz für den Eigentumsverlust gegen G aus einem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV, §§ 990 Abs. 1 S. 1, 989 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Schadensersatzanspruch aus §§ 990 Abs. 1 S. 1, 989 BGB setzt (1) eine Vindikationslage zur Zeit des haftungsbegründenden Ereignisses, (2) Bösgläubigkeit des Besitzers zu Zeit des haftungsbegründenden Ereignisses, (3) eine Verschlechterung der Sache, (4) ein Verschulden des unrechtmäßigen Besitzers und (5) einen Schaden voraus. H hat im Zeitpunkt des Besitzerwerbs durch G sein Eigentum an G verloren. Damit fehlt es an der Vindikationslage. Zudem scheitert der Anspruch an der Gutgläubigkeit des G.

3. G hat Besitz an den Baumaterialien durch Leistung des H erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Leistung ist die bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Ob eine Leistung vorliegt, beurteilt sich nach h.M. aus der Sicht des objektiven Leistungsempfängers. Ein objektiver Empfänger musste hier davon ausgehen, dass U mit dem Einbau der Materialien die eigene Verpflichtung aus dem Werkvertrag erfüllen möchte. Mit H hat G keinen Vertrag. Es liegt eine Leistung des U an G vor.

4. Es ist ein Anspruch des H gegen G aus §§ 951 Abs. 1 S. 1, 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 818 Abs. 2 BGB (Eingriffskondiktion) zu prüfen.

Ja!

§ 951 stellt eine Rechtsgrundverweisung dar. Das bedeutet, dass derjenige, der nach den §§ 946 - 950 BGB kraft Gesetzes Eigentum erwirbt, die Sache nach den Voraussetzungen und nach der Rechtsfolge der §§ 812 ff. BGB herausgeben muss. G hat nach § 946 BGB Eigentum erworben. Dieses müsste sie durch Eingriff nicht durch Leistung und ohne Rechtsgrund erlangt haben.

5. G hat etwas erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jedwede Verbesserung der Vermögenslage. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlange Nutzungen. G hat Besitz an den Baumaterialien erlangt. Wie dargelegt hat G auch Eigentum an den Baumaterialien erlangt. Dieses allerdings nicht durch H oder U, sondern kraft Gesetzes.

6. G hat das Eigentum auf sonstige Weise erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich ist anerkannt, dass die Eingriffskondiktion subsidiär zur Leistungskondiktion ist. Bei der Rückabwicklung in einem Drei-Personen-Verhältnis muss sich jede der beteiligten Personen grundsätzlich an ihren jeweiligen Leistungspartner halten.U hat G nur Besitz durch Leistung verschafft. Der Kondiktionsanspruch des H bezieht sich aber gerade auf das Eigentum an den Baumaterialien als erlangtes „etwas“. Eigentum hat G auf sonstige Weise, nämlich kraft Gesetzes und eben nicht durch Leistung erlangt. Somit ist die Eingriffskondiktion nicht aufgrund vorrangier Leistung gesperrt.

7. Maßgeblich für die Frage, ob die Nichtleistungskondiktion in den Einbaufällen anwendbar ist, sind die Wertungen des gutgläubigen Erwerbs (§§ 932 ff. BGB) und die des § 816 BGB.

Ja!

Auch wenn in den „Einbaufällen“´das Eigentum kraft Gesetzes übergeht, basiert dieser Eigentumserwerb zumindest auf der Leistung des Einbauenden, weswegen die Nichtleistungskondiktion ausgeschlossen sein könnte. Die h.L. differenziert insoweit danach, ob bei hypothetischer Betrachtungsweise der Bereicherungsanspruchsgegner gutgläubig und entgeltlich vom Nichtberechtigten Eigentum hätte erwerben können, wenn er nicht Eigentum kraft Gesetzes erworben hätte. In diesem Fall wäre dem früheren Eigentümer ein Direktanspruch gegen den Neueigentümer verwehrt und er müsste sich an den Nichtberechtigten halten (§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB). Diese Wertung solle auch beim Eigentumserwerb kraft Gesetz gelten, da der Neueigentümer hier nicht schlechter stehen soll als bei einem Erwerb durch Rechtsgeschäft.

8. G hätte hier gutgläubig Eigentum erwerben können (§§ 929 S. 1, 932 BGB).

Genau, so ist das!

Der Eigentumserwerb nach § 929 S. 1 BGB setzt voraus, dass (1) eine dingliche Einigung vorliegt, (2) die Sache übergeben wurde, (3) Einigsein zum Zeitpunkt dieser Übergabe und (4) die Verfügungsberechtigung Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs sind das Vorliegen eines Verkehrsgeschäft, guter Glaube des Erwerbers und kein Abhandenkommen. Die Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs liegen hier vor. Nach hypothetischer Betrachtungsweise wäre ein gutgläubiger Eigentumserwerb also möglich gewesen.

9. Ein Anspruch des H gegen G aus Nichtleistungskondiktion scheidet aus (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Die „Einbaufälle“ weisen bei Frage, ob der Eigentumserwerb kraft Gesetzes einen Eingriff in ein fremdes Recht im Sinne der Eingriffskondiktion darstellt, eine Besonderheit auf. Maßgeblich für die Beurteilung ist die Frage, ob der Neueigentümer nach hypothetischer Betrachtungsweise auch gutgläubig und entgeltlich hätte Eigentum erwerben können (§§ 929 S. 1, 932 BGB). Denn: der gutgläubige, entgeltliche Eigentumserwerb ist kondiktionsfest (arg. e § 816 Abs. 1 BGB). Nach hypothetischer Betrachtungsweise hätte G hier gutgläubig Eigentum erwerben können. Der gesetzliche Eigentumserwerb stellt keinen Eingriff dar. Eine Eingriffskondiktion scheidet somit aus.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CR7

CR7

17.8.2024, 14:55:14

Hier würde ich am Ende noch - einfach wegen der starken Ähnlichkeit zum Jungbullenfall - auf den zentralen Unterschied zwischen Jung- und Einbaufall eingehen (der zwar angesprochen wird, aber mMn nicht explizit genug) als einfacher Klausurhinweis oder Vertiefungshinweis: Im Einbaufall erwirbt G das Eigentum an den Baumaterialien kraft Gesetzes (§ 946 BGB) durch Verbindung der Materialien mit seinem Grundstück und H verliert dadurch sein Eigentum. H hat zwar einen Bereicherungsanspruch nach §§ 951, 812 BGB dem Grunde nach, doch scheitert dieser daran, dass G nach § 816 BGB hätte gutgläubig Eigentum erwerben können. Somit wird der Anspruch ausgeschlossen. Im Jungbullenfall erwirbt B das Eigentum kraft Verarbeitung zu Würstchen (§ 950 BGB), aber da die Bullen gestohlen waren, greift § 935 BGB, der den gutgläubigen Erwerb ausschließt. § 935 BGB wirkt auch auf den Rechtsfortwirkungsanspruch gewissermaßen fort. Landwirt K behält seinen Anspruch auf Wertersatz, weil das Eigentum ursprünglich abhandengekommen war und B nicht gutgläubig hätte erwerben können. Danke, dass man die Probleme gezielt wiederholen kann!


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