Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Ermessen und Verhältnismäßigkeit

Ermessensüberschreitung (Fall 3: Verstoß gegen Art. 3 GG; Kein Recht im Unrecht)

Ermessensüberschreitung (Fall 3: Verstoß gegen Art. 3 GG; Kein Recht im Unrecht)

6. Juli 2025

17 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist Eigentümerin eines Wohnhauses, welches dem öffentlichen Baurecht widerspricht. In demselben Baugebiet gibt es eine Vielzahl solcher Häuser. Behörde B ist über den Zustand im Baugebiet erzürnt. Um ein Exempel zu statuieren, erteilt B gegenüber A eine formell rechtmäßige Abrissverfügung. A hält das für „unfair“.

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Einordnung des Falls

Ermessensüberschreitung (Fall 3: Verstoß gegen Art. 3 GG; Kein Recht im Unrecht)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Erlass einer Abrissverfügung richtet sich nach dem landesrechtlichen Bauordnungsrecht.

Genau, so ist das!

Nach dem Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) bedarf es für eine Abrissverfügung (= Verwaltungsakt), eine Gesetzesgrundlage. Diese findet sich in den jeweiligen Landesbauordnungen (z.B. § 82 Abs. 1 BauO NRW, § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NBauO, § 80 S. 1 BauO Bln). Trotz unterschiedlicher Formulierungsweisen, setzen die Landesnormen tatbestandlich im Grundsatz übereinstimmend voraus, dass eine bauliche Anlage im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht steht. In diesen Fällen kann die zuständige Behörde eine Abrissverfügung erlassen.
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2. As Wohnhaus entspricht nicht dem öffentlichen Baurecht. Der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage liegt vor.

Ja, in der Tat!

Nach dem jeweils einschlägigen Landesrecht (z.B. § 82 Abs. 1 BauO NRW, § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NBauO, § 80 S. 1 BauO Bln) setzt der Erlass einer Abrissverfügung voraus, dass bauliche Anlage im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht steht. As Wohnhaus steht im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht. Der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage liegt vor.

3. Die Anordnung einer Abrissverfügung liegt außerhalb des gesetzlich abgesteckten Rahmens der Ermächtigungsgrundlage.

Nein!

Bei der Entscheidung über die Anordnung einer Bauabrissverfügung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Die Behörde „kann“ den Abriss einer baulichen Anlage anordnen. Die Entscheidung ist daher (nur) auf Ermessensfehler überprüfbar. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage sieht die Anordnung der Abrissverfügung als Rechtsfolge ausdrücklich vor. Die Entscheidung der B liegt damit innerhalb des gesetzlichen Rahmens der Ermächtigungsgrundlage. Bei der Abrissverfügung handelt es sich um einen Fall des sog. Regelermessens oder intendierten Ermessens, d.h. wenn die Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind, entspricht es regelmäßig einer ordnungsgemäßen Ermessensbetätigung, wenn der Abriss angeordnet wird. Im Bescheid müssen sich daher nur in besonderen, sich von anderen Fällen deutlich unterscheidenden Fällen längere Ausführungen zum Ermessen finden.

4. Die Anordnung der Abrissverfügung gegenüber A verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und ist deswegen rechtswidrig.

Genau, so ist das!

Ein nach § 114 S. 1 VwGO überprüfbarer Ermessensfehler liegt auch dann vor, wenn das Handeln der Behörde gegen Grundrechte, verstößt. Ein Ermessensfehler führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. Mangels sachlichen Grunds für die Ungleichbehandlung ist Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, womit ein Ermessensfehler vorliegt und die Anordnung der Abrissverfügung rechtswidrig ist. Die Rechtsprechung stellt an das Vorliegen eines angemessenen Einschreitkonzepts regelmäßig keine hohen Anforderungen. Insbesondere muss das Konzept nicht in allen Details entwickelt sein. Ebenso wenig ist zwingend erforderlich, dass die Behörde den Baubestand im kompletten Gebiet vorher erfasst. Allerdings müssen irgendwelche Kriterien bzw. sachliche Erwägungen vorhanden sein. Zu beachten ist schließlich, dass die Behörde ihre Erwägungen hinsichtlich des Konzepts auch noch im Verfahren ergänzen kann, § 114 S. 2 VwGO.

5. Der Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG, kann im Rahmen der Kontrolle auf Ermessensfehler von vornherein nicht berücksichtigt werden, da es keine "Gleichbehandlung im Unrecht" gibt.

Nein!

Ein Ermessensfehler liegt auch dann vor, wenn das Handeln der Behörde gegen Grundrechte verstößt. Hinsichtlich des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) ist zu beachten, dass dieser keine Durchbrechung der Gesetzesbindung und daher auch keine gewünschte gesetzeswidrige Behandlung rechtfertigen kann. Es besteht kein Anspruch auf eine gesetzeswidrige Leistung, nur weil sie anderen zuteilwird. Es gilt der Grundsatz: keine Gleichbehandlung im Unrecht. Im Rahmen der Eingriffsverwaltung gilt dieser Grundsatz der Leistungsverwaltung aber nicht, denn dort geht es für den Bürger nicht um die Gewährung von Vorteilen, sondern um den Schutz vor staatlichen Maßnahmen. Vergleichbare Fälle dürfen insoweit nicht ohne sachlichen Grund und damit willkürlich unterschiedlich behandelt werden. Andernfalls hätte es die Behörde in der Hand, selektiv gegen einzelne Bürger vorzugehen. Art. 3 Abs. 1 GG findet daher bei der Ermessensausübung und über § 114 S. 1 VwGO im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle auf Ermessensfehler Berücksichtigung.

6. Das Statuieren eines Exempels an A erzeugt eine Abschreckwirkung und ist daher ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG fordert in seiner Ausprägung als Willkürverbot, dass vergleichbare Fälle nicht ohne sachlichen Grund und damit willkürlich unterschiedlich behandelt werden. In einem Gebiet, in dem sich Schwarzbauten häufen, darf die Behörde nicht willkürlich einen Bauherrn herausgreifen, sondern muss Zeit, Art und Maß der Maßnahmen so bestimmen, dass dem Einschreiten ein der jeweiligen Sachlage angemessenes Konzepts zugrunde liegt. Die Bauaufsichtsbehörde darf sich also nur auf die Regelung von Einzelfällen beschränken, wenn sie hierfür sachliche Gründe im Rahmen eines angemessenen Einschreitkonzepts anzuführen vermag. A wird im Vergleich zu den anderen Bauherrn ungleich behandelt. Ein sachlicher Grund hierfür liegt nicht vor. Dem Statuieren eines Exempels an A liegen keine Kriterien oder Planungen, sondern vielmehr die unbestimmte Hoffnung der Einschüchterung anderer Bauherrn zugrunde. Ein Einschreitkonzept existiert nicht, vielmehr wurde A als Bauherrin willkürlich "herausgepickt".
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