Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Ermessen und Verhältnismäßigkeit

Ermessensüberschreitung (Fall 3: Verstoß gegen Art. 3 GG; Kein Recht im Unrecht)

Ermessensüberschreitung (Fall 3: Verstoß gegen Art. 3 GG; Kein Recht im Unrecht)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist Eigentümerin eines Wohnhauses, welches dem öffentlichen Baurecht widerspricht. In demselben Baugebiet gibt es eine Vielzahl solcher Häuser. Behörde B erteilt lediglich gegenüber A eine formell rechtmäßige Abrissverfügung. A hält das für „unfair“.

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Einordnung des Falls

Ermessensüberschreitung (Fall 3: Verstoß gegen Art. 3 GG; Kein Recht im Unrecht)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Erlass einer Abrissverfügung richtet sich nach dem landesrechtlichen Bauordnungsrecht.

Genau, so ist das!

Nach dem Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) bedarf es für eine Abrissverfügung (= Verwaltungsakt), eine Gesetzesgrundlage. Diese findet sich in den jeweiligen Landesbauordnungen (z.B. § 82 Abs. 1 BauO NRW, § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NBauO, § 80 S. 1 BauO Bln). Trotz unterschiedlicher Formulierungsweisen, setzen die Landesnormen tatbestandlich im Grundsatz übereinstimmend voraus, dass eine bauliche Anlage im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht steht. In diesen Fällen kann die zuständige Behörde eine Abrissverfügung erlassen.
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2. As Wohnhaus entspricht nicht dem öffentlichen Baurecht. Der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage liegt vor.

Ja, in der Tat!

Nach dem jeweils einschlägigen Landesrecht (z.B. § 82 Abs. 1 BauO NRW, § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NBauO, § 80 S. 1 BauO Bln) setzt der Erlass einer Abrissverfügung voraus, dass bauliche Anlage im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht steht. As Wohnhaus steht im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht. Der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage liegt vor.

3. Die Anordnung einer Abrissverfügung liegt außerhalb des gesetzlich abgesteckten Rahmens der Ermächtigungsgrundlage.

Nein!

Bei der Entscheidung über die Anordnung einer Bauabrissverfügung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Die Behörde „kann“ den Abriss einer baulichen Anlage anordnen. Die Entscheidung ist daher (nur) auf Ermessensfehler überprüfbar. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage sieht die Anordnung der Abrissverfügung als Rechtsfolge ausdrücklich vor. Die Entscheidung der B liegt damit innerhalb des gesetzlichen Rahmens der Ermächtigungsgrundlage.

4. Die Anordnung der Abrissverfügung gegenüber A verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und ist deswegen rechtswidrig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Ermessensfehler liegt auch dann vor, wenn das Handeln der Behörde gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, insbesondere Grundrechte, verstößt. In Betracht kommt oftmals ein Verstoß gegen den Gleichheitssgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Behandelt die Behörde eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle unterschiedlich, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund besteht, handelt sie willkürlich und damit ermessensfehlerhaft. Allerdings kann ein Fall nicht mit einem anderen rechtswidrigen Fall verglichen werden („Kein Recht im Unrecht.“) A erhält zwar als einzige eine Abrissverfügung, obwohl in ihrer Nachbarschaft viele Wohnhäuser gleichermaßen im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht stehen. Allerdings können rechtswidrige Zustände nicht als Vergleichsgruppe herangezogen werden. Der Abriss könnte allerdings unverhältnismäßig sein. Dafür bedürfte es aber noch etwas mehr Infos im Sachverhalt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Simon

Simon

28.8.2022, 01:29:24

Ich finde, man könnte auf diesen -durchaus umstr. (s. die Nachweise bei Wollenschläger, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 218 [Fn. 581])- Grundsatz noch näher eingehen. Das wesentliche Argument gegen eine "Gleichbehandlung im Unrecht" scheint mir rechtslogischer Natur zu sein: Die Rechtsordnung (RO) kann sich nicht zu sich selbst in Widerspruch setzen, indem sie eine Behandlung gewährt, die sie gerade verhindern will (vgl. Boysen, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 3 Rn. 81). Im Falle der Verwaltung lässt sich zusätzlich auf die in Art. 20 III GG normierte Bindung an Recht und Gesetz hinweisen (BVerwG, NJW 1970, 675, 676). Das ist jedoch unter dem Gesichtspunkt angreifbar, dass auch der allg. Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 I GG selbstredend zur obj. Rechtsordnung gehört. Was daher gegen Recht und Gesetz verstößt lässt sich also nur mit Berücksichtigung des Art. 3 I GG bestimmen. M.a.W.: Der Anwendungsbereich von Art. 3 I GG ist hier eröffnet, da offensichtlich (im Hinblick auf den Normzweck) vergleichbare Sachverhalte (unter der entscheidenden Norm) ungleich behandelt werden. Diese Ungleichbehandlung kann natürlich gerechtfertigt werden. Das Ergebnis dieser Prüfung ergibt dann, was die RO billigt, und was nicht. Indem behauptet wird, Art 3 I GG könne keinen Verstoß gegen die RO zur Folge haben, wird das gewünschte Ergebnis schon in die Prüfung hineingelesen. Das Argument der hM ist insoweit zirkelschlüssig. Zuzugeben ist, dass hier eine Kollsion ensteht (Art. 3 I GG fordert grds. eine Gleichbehandlung; das einfache Recht fordert eine [isoliert gesehen] rechtmäßige Anwendung auf den konkreten Fall). Dies ist allerdings in der Rechtfertigung zu berücksichtigen und kann eine Ungleichbehandlung daher im Einzelfall (!) legitimieren. Aber selbst wenn man der hM folgt (und Art. 3 I GG generell in solchen Konstellationen zurücktreten lässt), kann man hier trotzdem einen

Ermessensfehler

bejahen: Die Behörde kann nämlich sowohl das Haus des A abreißen, als auch die Häuser der Nachbarn. Dadurch wären Art. 3 I GG und das einfache Recht gewahrt. Auch die hM verneint insoweit nur einen "Anspruch auf Fehlerwiederholung" (so Heun, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 61), nicht jedoch auf "Fehlerausbesserung".

ASA

asanzseg

6.4.2023, 13:06:27

@[Simon](45455) Mhhh das leuchtet mir alles total ein und ich habe mich sehr gefreut diese überaus gut strukturierte Nachricht zu lesen in der das Problem einmal umfangreicher aufgegriffen wird. Allerdings frage ich mich dann trotzdem, woraus der

Ermessensfehler

zu bejahen wäre? Der

Ermessensfehler

behandelt ja immer nur einen konkreten Sachverhalt. In einem Fall in dem bspw. Der Nicht-Abriss von Nachbarhäusern (unabhängig von seinem Abriss) etwa wegen Drittschützenden Charakter der Vorschrift aufgrund des Nachbarschaftsschutzes rechtswidrig ist, würde es trotzdem nicht die Entscheidung zum Abriss beeinflussen. Die Entscheidung der Behörde zum Abriss ist in diesem Fall immer rechtmäßig. Es kann aber von dem A in einem weiteren Verfahren auf Abriss der anderen Gebäude geklagt werden (

Feststellungsklage

oder Verpflichtungsklage), aber nicht mit der Begründung sein Haus wäre ja auch abgerissen worden, sondern mit der BEgründung das nicht-Abreisen verletze ihn in seinen Drittschützenden Vorschriften aus dem BauGB falls dies der Fall sein sollte.

LEFT

leftgod

28.2.2024, 17:37:52

mE wurde vorliegend sehr vorschnell ein möglicher

Ermessensfehler

durch Verstoß gg. Art. 3 I GG mit dem Hinweis auf die rechtswidrige Vergleichsgruppe verneint. so gilt die Phrase „

keine Gleichheit im Unrecht

“ ja v.a. in der

Leistungsverwaltung

(z.B. Erlass v. BauGen). In der

Eingriffsverwaltung

wird der Grundsatz aber so modifiziert, dass Gleiches nicht willkürlich ungleich behandelt werden darf, da sonst zB eine Behörde nur gegen einzelne unliebsame Gebäude vorgehen könnte. Genauso liegt hier der Fall, da scheinbur nur gegenüber einem Gebäude die Abrissverfügung erlassen wurde, sodass sehr wohl ein

Ermessensfehler

vorliegt.

DAV

david1234

19.5.2024, 14:25:19

Danke ! Genauso das wollte ich auch gerade als Anmerkung verfassen.

MAS

Marvin S

23.8.2024, 15:11:33

eigene Ansicht: Art. 3 I GG sehr wohl beachtlich, ABER das Vorgehen ist i.O., wenn die Behörde ein Sanierungskonzept für die Region hat. Arg.: irgendwo muss die Behörde ja anfangen. Wenn kein Sanierungskonzept vorliegt, dann wird die Maßnahme wohl gegen den Art. 3 I GG verstoßen, da sie willkürlich ist. "

Keine Gleichheit im Unrecht

" bezieht sich m. E. n. eher auf die

Leistungsverwaltung

und nicht wie hier auf die

Eingriffsverwaltung


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