Einführung - "Immigrants welcome!" [F]

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Bund will die Einbürgerung erleichtern. § 10 Abs. 1 StAG wird durch das „Einbürgerungs-Vereinfachungs-Gesetz“ (EVG) entsprechend geändert.

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Einordnung des Falls

Einführung - "Immigrants welcome!" [F]

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das EVG ist formell verfassungswidrig, soweit dem Bund die Gesetzgebungskompetenz (Art. 70-74 GG) für das EVG fehlt.

Ja, in der Tat!

Die Gesetzgebungskompetenz ist neben dem Gesetzgebungsverfahren eine zwingende Voraussetzung für die formelle Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes. War der Gesetzgeber nicht gesetzgebungsbefugt, ist das Gesetz insoweit formell verfassungswidrig.
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2. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Ja!

Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG regelt den Grundsatz der Länderzuständigkeit für die Gesetzgebung. Fehlt es an einer geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sind demnach die Länder zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Der Grundsatz der Länderzuständigkeit (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist Ausgangspunkt jeder Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen. Wenn Du diesen Grundsatz nicht zum Einstieg erläuterst, wird Dir unterstellt, dass Du die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern nicht verstehst.

3. Das EVG trifft Regelungen über die „Einwanderung“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 Var. 4 GG). Der Bund hat deshalb die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz (Art. 71 GG) für das EVG.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Einwanderung umfasst die Einreise in das Bundesgebiet mit dem Ziel, im Inland einen Wohnsitz oder dauerhaften Aufenthalt zu begründen. Das EVG trifft aber keine Regelung über die Einreise in das Bundesgebiet, sondern über die Einbürgerung. Es kann schnell mal passieren, dass ein Kompetenztitel auf den ersten Blick passend erscheint. Du solltest Dich aber nicht zu schnell damit zufrieden geben, sondern musst immer alle geschriebenen Kompetenztitel (insbesondere Art. 73-74 GG) einzeln durchgehen und diejenigen, die in Frage kommen, sauber voneinander abgrenzen.

4. Das EVG fällt unter die „Staatsangehörigkeit im Bunde“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG). Eine Kompetenztitel der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 71 GG) liegt also vor.

Ja, in der Tat!

Mit der Staatsangehörigkeit im Bunde darf der Bund Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit regeln. Mit dem EVG wird die Einbürgerung, also der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, erleichtert und somit neu geregelt.

5. Stehen alle Kompetenztitel der ausschließlichen Gesetzgebung in Art. 73 Abs. 1 GG?

Nein!

Art. 73 Abs. 1 GG ist keine abschließende Aufzählung der Kompetenztitel der ausschließlichen Gesetzgebung. Im GG finden sich an verschiedenen Stellen weitere ausschließliche Kompetenztitel. Derartige Kompetenztitel erkennst Du insbesondere an der Verwendung des Begriffs „Bundesgesetz“ im GG (vgl. nur Art. 21 Abs. 5 GG; Art. 38 Abs. 3 GG). Diese Kompetenztitel werden oft übersehen, sind aber immer wieder Gegenstand von Prüfungen. Du darfst bei der Suche nach ausschließlichen Kompetenztiteln also keinesfalls bei Art. 73 Abs. 1 GG stehen bleiben! Die ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes kraft Natur der Sache ist ebenfalls als ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes einzuordnen.

6. Die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 71 Hs. 1 GG sperrt die Gesetzgebungskompetenz der Länder.

Genau, so ist das!

Hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz, entfaltet Art. 71 GG grundsätzlich eine Sperrwirkung für die Gesetzgebung der Länder: Sie dürfen keine Gesetze in diesen Sachbereichen erlassen und bereits erlassene Gesetze werden vom BVerfG wegen des Verstoßes gegen Art. 71 Hs. 1 GG regelmäßig für nichtig erklärt. Die Sperrwirkung des Art. 71 Hs. 1 GG tritt automatisch und unabhängig davon ein, ob und inwieweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht (Systematik, Umkehrschluss aus Art. 72 Abs. 1 GG) hat. Das unterscheidet die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (Art. 72 Abs. 1 GG).

7. Hat der Bund automatisch immer die Gesetzgebungskompetenz, wenn ein ausschließlicher Kompetenztitel des Bundes vorliegt?

Nein, das trifft nicht zu!

Als Ausnahme zur Sperrwirkung (Art. 71 Hs. 1 GG) können die Länder dennoch gesetzgebungsbefugt sein, wenn sie durch ein Bundesgesetz zur Gesetzgebung ausdrücklich ermächtigt werden (Art. 71 Hs. 2 GG). Die Gesetzgebungskompetenz der Länder leitet sich dann von diesem Bundesgesetz in Verbindung mit Art. 71 Hs. 2 GG ab. Die Ermächtigung ist praktisch irrelevant: Derzeit ist bundesweit nur eine solche Ermächtigung in Kraft (vgl. § 1 des Gesetzes über eine Gemeindeeinfuhrsteuer auf der Insel Helgoland vom 17.11.1959). Wenn der Sachverhalt diesbezüglich keine Informationen enthält, solltest Du in der Prüfung kurz feststellen, dass keine solche Ermächtigung vorliegt. Damit kannst Du zeigen, dass Du Art. 71 GG ordentlich gelesen hast.

8. Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das EVG.

Ja!

Das EVG fällt unter den Kompetenztitel der „Staatsangehörigkeit im Bunde“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG). Die Länder sind somit grundsätzlich von der Gesetzgebung ausgeschlossen (Art. 71 Hs. 1 GG). Die Länder wurden auch nicht zur Gesetzgebung ausdrücklich ermächtigt (Art. 71 Hs. 2 GG). Somit ist eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes gegeben.

9. Sinn und Zweck der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz ist es, den Ländern weitere Spielräume und mehr Flexibilität bei der Gesetzgebung zu verschaffen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Gedanke hinter der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz ist meistens (1) das zwingende Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung im Bundesstaat (zum Beispiel die Bundestagswahl, Art. 38 Abs. 3 GG). Dazu kommt in wenigen Fällen (2) die ausschließliche Betroffenheit des Bundes (beispielsweise bei den Rechtsverhältnissen der Bundesbeamtinnen, Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG). Es ist Sinn und Zweck der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz, den Ländern weitere Spielräume und mehr Flexibilität bei der Gesetzgebung zu verschaffen.
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