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Gesetzgebungskompetenzen

Abweichungsfester Kern - "Jagdunsicherheiten" (F)

Abweichungsfester Kern - "Jagdunsicherheiten" (F)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Land L will Jugendlichen bereits ab 14 Jahren ermöglichen, den „Kleinen Jugendjagdschein“ zu erwerben. Dafür wird § 12a in das Landesjagdgesetz (LJagdG) von L eingefügt. Dieser berechtigt zur Jagd auf kleine Nagetiere. Der Bund verweist auf § 16 BJagdG und meint, L dürfe in diesem Bereich keine Regelungen treffen.

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Einordnung des Falls

Abweichungsfester Kern - "Jagdunsicherheiten" (F)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Ja, in der Tat!

Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG regelt den Grundsatz der Länderzuständigkeit für die Gesetzgebung. Fehlt es an einer geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sind demnach die Länder zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Der Grundsatz der Länderzuständigkeit (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist Ausgangspunkt jeder Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen. Wenn Du diesen Grundsatz nicht zum Einstieg erläuterst, wird Dir unterstellt, dass Du die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern nicht verstehst.
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2. In Art. 74 Abs. 1 GG findet sich ein konkurrierender Kompetenztitel des Bundes für die Erteilung von Jagdscheinen.

Ja!

Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG verschafft dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz über das Jagdwesen. Dies schließt die Regulierung der Jagdscheine mit ein.

3. Der Bund hat insbesondere mit § 16 BJagdG von seiner Gesetzgebungskompetenz für das Jagdwesen Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 1 GG).

Genau, so ist das!

Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht, wenn der Bund (1) eine bestimmte Frage ausdrücklich durch Bundesgesetz geregelt hat, (2) absichtsvoll auf eine Normierung verzichtet („beredtes Schweigen“) oder (3) eine bestimmte Materie insgesamt abschließend regeln wollte. Der Bund hat mit § 16 BJagdG einen Jugendjagdschein auf Bundesebene ausdrücklich geregelt.

4. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Jagdwesen ist daher gesperrt (Art. 72 Abs. 1 GG).

Nein, das trifft nicht zu!

In einigen abschließend aufgezählten Bereichen (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-7 GG) können die Länder abweichende Regelungen treffen, obwohl es bereits ein Bundesgesetz gibt. Insoweit bewirkt das Bundesgesetz also keine Sperrwirkung im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG. Die Länder haben insoweit also eine Abweichungskompetenz. Das Jagdwesen wird in Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GG genannt. Das BJagdG wurde ursprünglich als Rahmengesetz auf Grundlage von Art. 75 GG a. F. erlassen. Art. 72 Abs. 3 S. 1-3 GG ist aber auch auf das ursprünglich als Rahmengesetz erlassene BJagdG anwendbar (Art. 125b Abs. 1 S. 3 GG).

5. § 12a LJagdG muss für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein (Art. 72 Abs. 2 GG).

Nein!

Art. 72 Abs. 2 GG gilt allein für den Bund. Hier handelt aber das Land L. Zudem wird der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG in Art. 72 Abs. 2 GG nicht aufgezählt. Sämtliche Gegenstände der Abweichungskompetenz (Art. 72 Abs. 3 S. 1 GG), fallen nicht unter die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG.

6. § 12a LJagdG ist ein Kompetenztitel der Abweichungskompetenz (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-7 GG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Zwar wird das Jagdwesen in Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GG als Gegenstand der Abweichungskompetenz aufgeführt. Allerdings sind sogenannte abweichungsfeste Kerne, wie das Recht der Jagdscheine hiervon ausdrücklich ausgenommen. Zum Recht der Jagdscheine (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GG) gehören alle Regelungen, die sich nach ihrem Gegenstand schwerpunktmäßig auf die öffentlich-rechtliche personengebundene Erlaubnis zur Ausübung der Jagd beziehen. § 12a LJagdG trifft unter anderem Regelungen über die persönlichen Anforderungen (ab 14 Jahren) sowie die sachliche Legitimationswirkung (Jagd auf Nagetiere) einer öffentlich-rechtlichen, personengebundenen Erlaubnis zur Ausübung der Jagd. Die Verfassung darf nie allein anhand des einfachen Rechts ausgelegt werden. Für die Auslegung der abweichungsfesten Kerne (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2, 5 GG) bietet sich allerdings eine (normativ-rezeptive) Abgrenzung anhand des einfachen Rechts, das der Verfassungsgeber 2006 vorgefunden hat, an. Betrachte und notiere Dir hierfür die einfachgesetzlichen Regelungen über das Recht der Jagdscheine (§§ 15–18a BJagdG), die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes (§§ 1; 8; 13; 20; 30 Abs. 1; 59 BNatSchG), den Artenschutz (§§ 39-47 BNatSchG) sowie stoffbezogene Regelungen des Wasserrechts (§§ 32; 39-41 WHG).

7. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Recht der Jagdscheine ist gesperrt (Art. 72 Abs. 1 GG).

Ja, in der Tat!

Das Recht der Jagdscheine ist ein abweichungsfester Kern (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GG). Diese sind von Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-7 GG ausgeklammert und unterfallen daher wieder dem Normalfall der Vorrangkompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1 GG). Der Bund hat mit den §§ 15-18a BJagdG von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht.

8. L hat die Gesetzgebungskompetenz für § 12a LJagdG.

Nein!

§ 12a LJagdG fällt unter den Kompetenztitel für das Jagdwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG). Somit ist eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1 GG) gegeben. Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. § 12a JagdG trifft Regelungen über das Recht der Jagdscheine, das als abweichungsfester Kern (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GG) in die Vorrangkompetenz des Bundes fällt. L ist daher von der Gesetzgebung ausgeschlossen (Art. 72 Abs. 1 GG). L hat nicht die Gesetzgebungskompetenz für § 12a LJagdG. Die Norm ist daher wegen des Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 1 GG formell verfassungswidrig. Ein wegen Art. 72 Abs. 1 GG ursprünglich kompetenzwidriges Landesgesetz lebt nach dem Wegfall der Sperrwirkung nicht wieder auf. Es müsste dann erneut erlassen werden.
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