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Klassisches Klausurproblem

Justus (J) ist knapp bei Kasse und bewirbt sich bei Bäckerin B auf eine freie Stelle. Dabei verschweigt er bewusst seine Mehlstauballergie. Direkt am ersten Arbeitstag fliegt alles auf, da er ununterbrochen niest und nicht arbeiten kann.

Einordnung des Falls

Auklärungspflicht des Arbeitnehmers

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. J hätte B nur dann von der Allergie erzählen müssen, wenn diese ihn danach gefragt hätte.

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Nein, das trifft nicht zu!

Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergibt sich, dass den Arbeitnehmer gewisse Aufklärungspflichten treffen. Der Arbeitnehmer muss von sich aus Tatsachen mitteilen, durch die (1) die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtung unmöglich wird oder (2) die sonst für den Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind.Die Allergie führt dazu, dass J faktisch nicht in der Bäckerei arbeiten kann. J wäre somit von sich aus verpflichtet gewesen, B über seine Allergie zu informieren.

2. Kann B sich von dem Vertrag mit J lösen?

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Ja!

Trifft den Arbeitnehmer eine Aufklärungspflicht und kommt er dieser vorsätzlich nicht nach, so liegt darin eine Täuschung durch Unterlassen. Die Arbeitgeberin ist dann berechtigt, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten (§ 123 BGB).Da J die B vorsätzlich über seine Allergie im Unklaren gelassen hat, kann B den Vertrag anfechten.Darüber hinaus stehen der Arbeitgeberin unter Umständen Schadensersatzansprüche aus vorvertraglicher Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB, 241 Abs. 2 BGB) bzw. aus Delikt (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB) zu.

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FL

Florian

24.11.2022, 22:04:07

Vllt sollte man hier auf die Wirkungen der Anfechtung bei einem faktisch in Vollzug gesetztem AV hinweisen (Anfechtung wirkt hier aus nahmswseise Ex nunc oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.11.2022, 18:01:48

Hallo Florian, in der Tat wirkt die Anfechtung des in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrages ex nunc, sodass die Anfechtung ausnahmsweise nicht zurückwirkt. Schwerpunkt der Session sind allerdings die Aufklärungspflichten bei Abschluss eines Arbeitsvertrages, weswegen wir hier nicht näher darauf eingehen. Aufgrund der starken Allergie ist zudem anzunehmen, dass J hier eigentlich keine Sekunde wirklich gearbeitet hat. Insoweit sind auch keine Lohnansprüche aufgrund des in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnisses entstanden. Anders wäre dies in Fällen, wo die Täuschung erst nach einigen Tagen/Wochen auffliegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JUL

Julius

9.1.2023, 20:29:25

Wenn die Täuschung nicht vorsätzlich erfolgte, könnte dann die B den Vertrag auch über einen SE aus cic aufheben im Rahmen der Naturalrestitution?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

10.1.2023, 12:55:17

Hallo Julius, danke für deine Frage. Da für die cic nach § 280 Abs. 1 BGB schuldhaftes erfoderlich ist, reicht auch fahrlässiges Handeln aus. Es ist daher auch möglich bei rein fahrlässigem Handeln über cic eine Vertragsauflösung herbeizuführen. Dann stellt die Auflösung den Schadensersatz dar. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

JUL

Julius

11.1.2023, 08:51:28

Vielen Dank für die Klarstellung Nora!

ACCA

acca

12.1.2023, 20:40:28

Wie wäre es, wenn J erst beim arbeiten auffällt, dass er eine Allergie gegen Mehl hat ( fern von einer lebenesnahen Situation aber mal angenommen) Käme man da mit irgendwelchen AGL überhaupt voran?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.2.2023, 10:17:22

Hallo acca, sehr gute Frage! Der Arbeitgeber kann nach § 119 Abs. 2 BGB seine bei Vertragsabschluß abgegebene Erklärung wegen Irrtums über solche Eigenschaften des Arbeitnehmers anfechten, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. In der Rechtsprechung ist dabei anerkannt, dass der Arbeitgeber zur Anfechtung berechtigt ist, wenn der Arbeitnehmer wegen gesundheitlicher Mängel nicht nur kurzfristig gehindert ist, die übernommene Arbeit auszuführen (BAG NZA 1990, 141 = https://www.prinz.law/urteile/BAG_5_AZR_491-88 Seite 7 unten). Tritt die Allergie dagegen erst später auf, so kommt eine Kündigung in Betracht. Selbst bei Geltung des Kündigungsschutzgesetz (mind. 6 Monate beschäftigt [§ 1 Abs. 1 KSchG] und mehr als 10 Beschäftigte im Betrieb [§ 23 Abs. 1 KSchG]), liegt ein legitimer Grund im Hinblick auf die Allergie vor (personenbedingter Grund), der zur Kündigung berechtigt, sofern J nicht an anderer Stelle eingesetzt werden kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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