Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Gesetzgebungsverfahren

Beschlussfähigkeit mit widerleglicher Fiktion (§ 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GO-BT)

Beschlussfähigkeit mit widerleglicher Fiktion (§ 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GO-BT)

5. Dezember 2024

4,7(6.500 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach Diskussionen bis spät in die Nacht will der Bundestag ein Gesetz beschließen (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG). Zu später Stunde nehmen nur noch 50 Abgeordnete an der Abstimmung im Plenum teil.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Beschlussfähigkeit mit widerleglicher Fiktion (§ 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GO-BT)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Bundestag ist nach § 45 Abs. 1 GO-BT beschlussfähig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Bundestag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist (§ 45 Abs. 1 GO-BT). Die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl von 630 (§ 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG) sind 315 Abgeordnete. 50 Abgeordnete sind weniger als die geforderten 299 Abgeordnete.Zum 14.6.2023 wurde die (Regel-) Mitgliederzahl von 598 auf 630 Abgeordnete angehoben. Im Gegenzug wurden Überhangmandate abgeschafft, die dazu geführt hatten, dass der Bundestag faktisch deutlich mehr Mitglieder hatte (zuletzt 736).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Beschlussfähigkeit des Bundestages wird aber nach § 45 Abs. 2 S. 1 GO-BT widerleglich vermutet.

Ja, in der Tat!

Sind weniger als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages im Sitzungssaal anwesend, (§ 45 Abs. 1 GO-BT) kann die widerlegliche Vermutung der Beschlussfähigkeit nach § 45 Abs. 2 S. 1 GO-BT greifen. Danach wird die Beschlussfähigkeit widerleglich vermutet, wenn die Beschlussunfähigkeit (1) von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht oder (2) vom Sitzungsvorstand im Einvernehmen mit den Fraktionen bezweifelt wird. Einfacher gesagt: Der Bundestag ist nach § 45 Abs. 2 S. 1 GO-BT beschlussfähig, wenn die Beschlussunfähigkeit nicht ausdrücklich festgestellt wurde. Die Beschlussfähigkeit wurde von niemandem angezweifelt. Wird die Beschlussunfähigkeit festgestellt, hebt der Bundestagspräsident die Sitzung sofort auf (§ 45 Abs. 3 S. 1 GO-BT). Ein vom Bundestag gefasster Beschluss ist unwirksam, wenn der Bundestag beschlussunfähig ist. Auch wenn dieser Fall durch die Gesetzessystematik eigentlich als Ausnahme gekennzeichnet ist, stellt die widerlegliche Vermutung der Beschlussfähigkeit nach § 45 Abs. 2 S. 1 GG in der (Klausur-)Praxis eher den Regelfall dar.

3. Die widerlegliche Vermutung der Beschlussfähigkeit des Bundestages nach § 45 Abs. 2 S. 1 GO-BT verstößt gegen das Demokratieprinzip, weil bei einem niedrigeren Anwesenheitserfordernis der Wille des Volkes nicht mehr repräsentiert wird (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG).

Nein!

Der Bundestag ist ein Arbeitsparlament. Die Hauptarbeit findet in den parlamentarischen Gremien, insbesondere in den Ausschüssen (§§ 54-74 GO-BT), statt. Der Beschluss von Gesetzen im Plenum ist demgegenüber nachrangig. Die Rückbindung an den Volkswillen ist gewährleistet, weil in der Praxis darauf geachtet wird, dass beim Gesetzesbeschluss der anwesenden Abgeordneten der Fraktionsproporz gewahrt wird.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

juramen

juramen

22.5.2022, 17:45:12

Wie ist es, wenn es im Initiativverfahren keine Weiterleitung an die Ausschüsse sondern auch nur dort eine Diskussion stattfand und später mit einem eigentlich beschlussunfähigen Parlament darüber abgestimmt wurde. Führt das zu einem Verstoß gegen das Demokratieprinzip?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.6.2022, 19:27:39

Hallo Juramen, da die Ausschüsse letztlich die zentrale Detailarbeit an den Gesetzesvorlagen übernehmen werden sämtliche Gesetze an diese entweder unmittelbar oder nach der ersten Lesung übersandt. Das BVerfG hat diese Arbeitsteilung ausdrücklich im Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit des Parlaments und zur bestmöglichen Nutzung des Sachverstandes der Abgeordneten gebilligt (vgl. BVerfGE 44, 308 = https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv044308.html). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BL

Blotgrim

29.7.2022, 21:15:25

Und wenn es jetzt nur eine Lesung gab und dann direkt die Abstimmung ? Da findet ja keine Weiterleitung statt oder? Hab die Konstellation schon in Übungsfällen gesehen

Pilea

Pilea

3.5.2023, 07:55:58

Verstehe ich §45 I 3 GO-BT richtig so, dass die gesamte Sitzung incl. aller bis dahin beschlossenen Beschlüsse aufgehoben wird? Oder gilt die Aufhebung nur für die Zukunft?

lennart20

lennart20

19.5.2023, 21:01:39

Hi Pilea, du meinst wahrscheinlich § 45 III 1 GO-BT. Nach dem Wortlaut der Norm verstehe ich die Vorschrift so, dass wenn die Beschlussunfähigkeit festgestellt wird und der Präsident die Sitzung aufhebt, alle vorherigen Beschlüsse dennoch gültig bleiben. Hilfreich finde ich auch den Verweis in Satz zwei auf § 20 V GO-BT, der nur von der Wiederholung der erfolglosen Abstimmungen spricht. Auch fühle ich mich dabei von meinem politischen Verständnis bestätigt, da der Bundestag, wie in der Lektion zuvor zutreffend als Arbeitsparlament bezeichnet wird, und dessen Mitglieder zunächst bei Abstimmungen teilnehmen, später aber nicht, da diese in ihren Ausschüssen teilnehmen müssen. Dabei könnte es passieren, dass während des Tages das Parlament seine Beschlussfähigkeit verliert und folglich die Möglichkeit Widerlegung der

Vermutung

aus § 52 II GO-BT besteht. Dabei wäre es Widersinnig alle zuvor betätigten Abstimmungen zu annullieren, da ja die Beschlussfähigkeit gegeben war. Ich hoffe das hilft

PAULA

Paula_

4.8.2023, 10:37:24

Hier muss in Frage 1 noch die neue Mitgliederzahl des BT angepasst werden :)


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen