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Gesetzgebungsverfahren

Beschlussmehrheit - Ablehnung (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG; 42 Abs. 2 S. 1 GG)

Beschlussmehrheit - Ablehnung (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG; 42 Abs. 2 S. 1 GG)

13. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Im Bundestag sitzen 630 Abgeordnete. 91 Abgeordnete bringen fraktionsübergreifend einen Gesetzesvorschlag zur Einführung einer Corona-Impfpflicht ab 60 Jahren in den Bundestag ein. Bei der Abstimmung stimmen 296 Abgeordnete für die Gesetzesvorlage. Dagegen stimmen 320 Abgeordnete. 9 Abgeordnete enthalten sich.

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Einordnung des Falls

Beschlussmehrheit - Ablehnung (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG; 42 Abs. 2 S. 1 GG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Gesetzesvorlage wurde von einem Initiativberechtigten im Sinne des Art. 76 Abs. 1 GG eingebracht.

Ja, in der Tat!

Gesetzesvorlagen können „aus der Mitte des Bundestages“ eingebracht werden (Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG). Das Grundgesetz sagt nicht, was unter „Mitte des Bundestages“ zu verstehen ist. Dieser Begriff wird durch § 76 Abs. 1 GO BT konkretisiert. Danach müssen Vorlagen von Mitgliedern des Bundestags (also insbesondere „Gesetzentwürfe“, vgl. § 75 Abs. 1 lit. a GO-BT) von einer Fraktion oder von fünf Prozent der Mitglieder des Bundestags unterzeichnet sein. Die Anzahl der Mitglieder des Bundestages ist in Art. 121 GG legaldefiniert und meint die gesetzliche Mitgliederzahl des BWahlG. Die gesetzliche Mitgliederzahl des Bundestages beträgt in der aktuellen Wahlperiode 736 Abgeordnete (§ 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG i.V.m. § 6 Abs. 5 S. 5, Abs. 6 S. 5, Abs. 7 S. 3 BWahlG). Fünf Prozent von 630 sind 32 Abgeordnete. 91 Abgeordnete sind mehr als fünf Prozent der 630 Mitglieder des Bundestages.
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2. Die Gesetzesvorlage muss zuvor der Bundesregierung oder dem Bundesrat zugeleitet werden (Art. 76 Abs. 2-3 GG).

Nein!

Die Zuleitung an Bundesrat (Art. 76 Abs. 2 S. 1 GG) oder Bundesregierung (Art. 76 Abs. 3 S. 1 GG) sind nur bei Vorlagen der Bundesregierung (Art. 76 Abs. 2 S. 1 GG) und des Bundesrats (Art. 76 Abs. 3 S. 1 GG) notwendig. Bei Vorlagen aus der Mitte des Bundestages ist kein Vorverfahren erforderlich. Die fraktionsübergreifende Gesetzesvorlage stammt aus der Mitte des Bundestages im Sinne des Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG. Ein Vorverfahren ist nach Art. 76 Abs. 2-3 GG nicht erforderlich.

3. Der erste Schritt im Hauptverfahren ist die Beteiligung des Bundesrates (Art. 77 Abs. 2-4 GG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Zunächst beschließt der Bundestag das Gesetz (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG). Der Bundestagspräsident leitet daraufhin das beschlossene Gesetz unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) dem Bundesrat zu (Art. 77 Abs. 1 S: 2 GG). Erst dann, also im zweiten Schritt, wird der Bundesrat beteiligt (Art. 77 Abs. 2-4 GG).

4. Der Bundestag ist beschlussfähig (§ 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GO BT).

Ja, in der Tat!

Der Bundestag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist (§ 45 Abs. 1 GO-BT). Die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl von 630 (§ 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG) sind 315 Abgeordnete. Die gesetzliche Mitgliederzahl des Bundestages beträgt in der aktuellen Wahlperiode 736 Abgeordnete (§ 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG i.V.m. § 6 Abs. 5 S. 5, Abs. 6 S. 5, Abs. 7 S. 3 BWahlG). Die Hälfte der aktuellen Mitgliederzahl von 630 Abgeordneten sind 315 Abgeordnete. Die zusammengerechnet 625 abgegebenen Stimmen lassen den Schluss zu, dass mindestens 625 Abgeordnete und somit mehr als 315 anwesend waren.Zum 14.6.2023 wurde die (Regel-) Mitgliederzahl von 598 auf 630 Abgeordnete angehoben. Im Gegenzug wurden Überhangmandate abgeschafft, die dazu geführt hatten, dass der Bundestag faktisch deutlich mehr Mitglieder hatte (20. Bundestag: 736).

5. Die Beschlussmehrheit ist im Grundgesetz nicht geregelt.

Nein!

Die Beschlussmehrheit wird nicht speziell für den Gesetzesbeschluss in den Art. 76-82 GG geregelt. Daher ist auf die allgemeine Vorschrift des Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG zurückzugreifen, die für sämtliche Beschlüsse des Bundestages gilt. Danach ist die erforderliche Beschlussmehrheit für ein Gesetz grundsätzlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. 42 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 GG).

6. Der Bundestag hat das Gesetz mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschlossen (Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Zur Wirksamkeit des Beschlusses ist grundsätzlich die Mehrheit der abgegeben Stimmen erforderlich (Art. 42 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 GG). Es wurden insgesamt 625 Stimmen abgegeben, von denen die 9 Enthaltungen abzuziehen sind. Es bleiben also 616 Abstimmungen mit ja oder nein. Die Mehrheit von 616 Stimmen wären 309 Stimmen. Es wurden aber nur 296 Ja-Stimmen abgegeben. Allerdings gibt es auch Ausnahmen von der einfachen Abstimmungsmehrheit („soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt“, Art. 42 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 GG). Die klausurrelevanteste Ausnahme ist der Beschluss verfassungsändernder Gesetze. Dafür ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags (also der gesetzlichen Mitgliederzahl, vgl. Art. 121 GG) vonnöten. Dies ist ein Fall der qualifizierten Mitgliedermehrheit.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RAP

Raphaeljura

21.4.2023, 04:31:57

Auch hier wieder meine Frage: Welche Rolle spielt die GO BT, wenn letztendlich es nur auf das GG ankommt?

Paul König

Paul König

21.4.2023, 17:06:23

Hey @[Raphaeljura](207944), hierzu kann ich Dir das Kapitel "Grundlagen 2: Geschäftsordnungsrecht" empfehlen. Merke: Ein Verstoß gegen die Regelungen der Geschäftsordnungen führt nur dann zur formellen Verfassungswidrigkeit, wenn hierdurch zugleich gegen eine Vorschrift der Verfassung verstoßen wird. Die GO BT ist eben nur Organ

binnenrecht

und eben kein Verfassungsrecht oder Parlamentsgesetz. Wenn nach der Bearbeitung dieser Aufgaben eine Frage offen bleibt, stehe ich gerne zu Deiner Verfügung! Beste Grüße - Paul (für das Jurafuchs-Team) @[

Lukas Mengestu

](136780)

Paul König

Paul König

22.4.2023, 16:26:27

Hier gehen die Aufgaben los: https://applink.jurafuchs.de/llJpPVUUczb

ROAD

roadrunnert

12.11.2023, 22:39:28

und die Regelungen in § 6 (Überhangmandate?) gibt es so auch nicht mehr.

JUL

Julian

23.1.2024, 14:37:19

Müssen nicht die Enthaltungen von den abgegebenen Stimmen abgezogen werden, sodass rechtlich nur 616 Stimmen abgegeben wurden und für einen Beschluss 309 Stimmen dafür nötig gewesen wären? Es würde nichts am Ergebnis der Aufgabe ändern, aber sonst würden Enthaltungen ja faktisch wie ein Nein wirken.

ahimes

ahimes

4.7.2024, 19:21:34

Jop, das würde mich auch interessieren, wie das mit den enthaltenen Stimmen zu bewerten ist....

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

3.12.2024, 09:32:46

Hallo @Julian, vielen Dank Dir für den völlig berechtigten Hinweis und @[ahimes](191697) für die Erinnerung! In der

Tat

fordet Art 42 II 1 GG schlicht mehr ja- als nein-Stimmen, Enthaltungen sind also nicht zu berücksichtigen (s

tat

t aller Dreier/Morlok, GG, 3. Aufl 2015, Art 42 Rn 34). Wir haben das jetzt in der Aufgabe korrigiert. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Natze

Natze

14.2.2024, 20:14:30

in der Aufgabe sind ja noch die alten Paragraphen drin. gibt es einen Bereich der für uns studis durch die

Wahlrechtsreform

besonders Relevanz geworden ist? vielleicht hat ja jemand auch einen Tipp :)

BEN

benjaminmeister

22.8.2024, 10:04:28

Wenn ich mich nicht irre, dann werden in den Antworttexten verschiedene Wahlperioden (altes Wahlrecht und

neues Wahlrecht

) miteinander vermischt. Ich denke es wäre besser, sich auf ein Wahlrecht festzulegen (am besten das neuere).

FL

Flohm

20.9.2024, 09:53:49

Mich würde auch interessieren ob man auf die

tat

sächliche Anzahl d. Abgeordneten abstellt (735) oder auf die neu festgelegte Anzahl von 630 nach der neuen

Wahlrechtsreform

?


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