Materiell-rechtliche Einwendungen / Zahlung an den Gerichtsvollzieher (§ 815 Abs. 3 ZPO analog)


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G verklagt S erfolgreich auf Zahlung von €100.000 und beauftragt Gerichtsvollzieher Z mit der Vollstreckung. Z fordert S zur Zahlung auf. S zahlt daraufhin an Z. Z setzt sich mit dem Geld in die Karibik ab. G kündigt gegenüber S die erneute Vollstreckung an.

Einordnung des Falls

Materiell-rechtliche Einwendungen / Zahlung an den Gerichtsvollzieher (§ 815 Abs. 3 ZPO analog)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) des S gegen G ist zulässig.

Ja!

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) lauten: (1) Statthaftigkeit, (2) Zuständigkeit des Gerichts, (3) Rechtsschutzbedürfnis. S richtet sich hier mit dem materiell-rechtlichen Einwand, er habe bereits gezahlt und so den Anspruch erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB), gegen den Anspruch. Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist also statthaft. G hat die Vollstreckung angekündigt, sodass für S auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.

2. Die Vollstreckungsabwehrklage des S ist begründet, wenn ihm eine materiell-rechtliche Einwendung gegen G zusteht.

Genau, so ist das!

Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist begründet, wenn (1) die Sachbefugnis vorliegt, (2) dem Kläger eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch zusteht und (3) diese nicht präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO) ist. Bei Punkt (2) ist zu prüfen, ob der Anspruch des G gegen S tatsächlich erfüllt und damit erloschen ist. Während Du im Rahmen der Zulässigkeit prüfst, ob die behauptete Einwendung materiell-rechtlicher Natur ist und sich gegen den Anspruch selbst richtet, führst Du in der Begründetheit eine Prüfung der Einwendung nach materiellem Recht durch.

3. S hat den Anspruch des G durch Zahlung an Z erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Weder die Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher (§ 815 Abs. 3 ZPO) noch die freiwillige Zahlung an den Gerichtsvollzieher haben Erfüllungswirkung. Erfüllungswirkung hat erst die Ablieferung des Geldes durch den Gerichtsvollzieher beim Vollstreckungsgläubiger (§ 362 Abs. 1 BGB). Nach der herrschenden Amtstheorie gilt der Gerichtsvollzieher nicht als Erfüllungsvertreter des Vollstreckungsgläubigers, weil er als Gerichtsvollzieher eine Amtsperson ist und daher hoheitlich im Rahmen eines staatlichen Verfahrens tätig ist. Z hat das Geld nicht an G abgeliefert, sodass keine Erfüllung eingetreten ist.

4. Die Vollstreckungsabwehrklage ist begründet, obwohl die Zahlung des S an Z keine Erfüllung darstellt.

Ja!

Die Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher gilt als Zahlung des Vollstreckungsschuldners an den Vollstreckungsgläubiger (§ 815 Abs. 3 ZPO). Für die freiwillige Zahlung des Schuldners an den Gerichtsvollzieher gilt nach dem BGH § 815 Abs. 3 ZPO analog. Diese Regelung enthält zwar keine materiell-rechtliche Erfüllungsfiktion, regelt aber abweichend von § 270 BGB die Gefahrtragung bei einer Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher. Nach Zahlung des Schuldners an den Gerichtsvollzieher trägt der Vollstreckungsgläubiger das Risiko einer Nicht-Weiterleitung des Geldes an ihn - selbst bei einer Unterschlagung durch den Gerichtsvollzieher. Das hindert ihn daran, nochmal beim Schuldner zu vollstrecken. Diese Einwendung steht S also tatsächlich zu. Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist begründet.

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BIBE

bibe

6.7.2022, 13:56:56

Kann der G dann gegen den Z im Rahmen der Amtshaftung vorgehen? Vielen Dank där die Antwort :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.7.2022, 16:30:46

Hallo bibe, leitet der Gerichtsvollzieher den empfangenen Betrag nicht den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften entsprechend an den

Vollstreckungsgläubiger

weiter, so dass der Gläubiger hierüber nicht verfügen kann, liegt eine Verletzung von Amtspflichten vor, die dem Gerichtsvollzieher sowohl gegenüber dem Schuldner als auch gegenüber dem Gläubiger obliegen (Amtstheorie). Dies kann im Wege eines

Amtshaftungsverfahren

s geltend gemacht werden. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

9.9.2023, 14:09:32

Was ist denn dann die Einrede des S? § 815 III ggf. analog als lex specialis zu § 270 BGB? Und warum ist das eine MATERIELL-rechtliche Einwendung?

PAT

Patrick4219

24.2.2024, 16:40:42

Ich würde vermuten, dass hier die Einrede in der Unmöglichkeit der Leistung nach § 275 Abs. 1 BGB liegt.

EG

Eginhard

15.7.2024, 11:40:39

275 dürfte bei Geldschulden eigentlich nicht gehen.

JURAFU

jurafuchsles

9.2.2024, 16:13:39

im Thomas/Putzu zu §815 Rn. 10 steht, dass es eine reine Gefahrtragungsregel ist ohne Erfüllungswirkung? wie genau passt das zu dem Fall? Verstehe es noch nicht ganz!

SDEE

SDee

29.2.2024, 12:29:56

Was wären dann Anspruchsgrundlagen für den Rückgriff des Gläubigers gegen den GV im Innenverhältnis?

Dogu

Dogu

26.4.2024, 12:08:28

Amtshaftung


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