Öffentliches Recht

Völkerrecht

Grundprinzipien des Völkerrechts

Grundprinzipien des Völkerrechts: EGMR (Immunität des Heiligen Stuhls)

Grundprinzipien des Völkerrechts: EGMR (Immunität des Heiligen Stuhls)

25. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Eine Gruppe von Opfern sexuellen Missbrauchs durch Priester verklagt den Heiligen Stuhl vor belgischen Gerichten; dieser habe die Missbrauchsvorwürfe unzureichend aufgeklärt. Die Klage scheitert in allen Instanzen. Denn die Immunität des Heiligen Stuhls stehe einer Zuständigkeit belgischer Gerichte entgegen.

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Einordnung des Falls

Grundprinzipien des Völkerrechts: EGMR (Immunität des Heiligen Stuhls)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistet das Recht auf Zugang zu einem auf Gesetz beruhenden, unabhängigen und unparteiischen Gericht.

Ja!

Richtig. Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistet primär das Recht auf Verhandlung einer Rechtssache durch ein auf Gesetz beruhendes, unabhängiges und unparteiisches Gericht, sog. fair-trial-Garantien. Dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 EMRK lässt sich zwar kein Recht auf Zugang entnehmen; vielmehr setzt dieser ein solches voraus. Dennoch sieht der EGMR in steter Rechtsprechung auch ein Recht auf Zugang zu Gericht von Art. 6 Abs. 1 EMRK umfasst (RdNr. 11).
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2. Art. 6 Abs. 1 EMRK ist verletzt, wenn die belgischen Gerichte den Zugang zu Gericht wegen Staatenimmunität entgegen den Regeln des Völkerrechts versagten.

Genau, so ist das!

Maßstab für die Rechtmäßigkeit von Beschränkungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK bildet grundsätzlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Da die EMRK jedoch als Menschenrechtsvertrag Bestandteil des Völkerrechts ist, müssen ihre Bestimmungen im Lichte des allgemeinen Völkerrechts ausgelegt werden (vgl. 31 Abs. 3 lit. c WVK). Eine völkerrechtskonforme Anwendung der Grundsätze zur Staatenimmunität indiziert daher eine verhältnismäßige Beschränkung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (RdNr. 61). Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK liegt vor, wenn die belgischen Gerichte den Zugang zu Gericht wegen Staatenimmunität entgegen den Regeln des Völkerrechts versagten. Lass Dich nicht vom atypischen Einstieg über Art. 6 Abs. 1 EMRK verwirren. Zumindest in der Klausur ändert dies nichts an der Dir bekannten Prüfung der Grundsätze zur Staatenimmunität. Beschwerdegegner ist Belgien und nicht der Heilige Stuhl. Auf diesen erstreckt sich die Zuständigkeit des EGMR bereits nicht, da der Heilige Stuhl keine Vertragspartei der EMRK ist.

3. Der Heilige Stuhl genießt originäre Völkerrechtssubjektivität.

Ja, in der Tat!

Völkerrechtssubjekte sind Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten . Prototyp sind die Staaten als originäre Völkerrechtssubjekte. Aber auch nicht-staatliche Entitäten können als originäre Völkerrechtssubjekte, sog. Völkerrechtssubjekte sui generis, auftreten. Dies reflektiert zumeist einen historisch gewachsenen Status. In der originären Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhls, faktisch gleichbedeutend mit dem Papsttum, lebt ein historisches Verständnis fort, das die Souveränität des Heiligen Stuhls aus göttlichem Recht ableitete. Die Vatikanstadt genießt als souveräner Staat eine eigenständige originäre Völkerrechtssubjektivität.

4. Der Heilige Stuhl ist kein staatliches Völkerrechtssubjekt, aber Partei zahlreicher völkerrechtlicher Abkommen und unterhält diplomatische Beziehungen zu Staaten. Schützt ihn die Staatenimmunität?

Ja!

Die Grundsätze der Staatenimmunität beruhen auf der souveränen Gleichheit der Staaten. Handelt ein nicht-staatliches Völkerrechtssubjekt, so kann es sich auf die Staatenimmunität berufen, wenn es staatsähnlich auftritt (RdNr. 56 f.). Der Heilige Stuhl ist Vertragspartei zahlreicher völkerrechtlicher Abkommen (z.B. Kinderrechtskonvention) und unterhält diplomatische Beziehungen zu 185 Staaten. Sein völkerrechtliches Auftreten ähnelt dem eines Staates, sodass die Grundsätze zur Staatenimmunität anwendbar sind (RdNr. 57).

5. Die unzureichende Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe verletzt das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Die Staatenimmunität muss daher unangewendet bleiben.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Staatenimmunität ist grundsätzlich auf jedes hoheitliche Handeln oder Unterlassen eines Staates anwendbar. Eine Ausnahme für schwerste Menschenrechtsverletzungen oder ius-cogens-Verstöße setzte eine entsprechende Fortentwicklung der Staatenpraxis voraus – letztere zeichnet sich jedoch (bislang) nicht ab (RdNr. 64). Bei der unzureichenden Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe handelt es sich um ein Unterlassen der Exekutivorgane (RdNr. 63). Es unterliegt der Staatenimmunität und ist damit belgischer Gerichtsbarkeit entzogen. Das Folterverbot verpflichtet einen Staat nicht nur, von entsprechendem Verhalten Abstand zu nehmen. Ihn treffen auch Schutzpflichten wie die Eröffnung eines Rechtswegs für Folteropfer. Das folgt für den Heiligen Stuhl nicht aus Art. 3 EMRK, sondern dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Folterverbot.

6. Die belgischen Gerichte haben Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt, indem sie dem Heiligen Stuhl Immunitätsschutz gewährten.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK liegt vor, wenn die belgischen Gerichte den Zugang zu Gericht wegen Staatenimmunität entgegen den Regeln des Völkerrechts versagten. Die belgischen Gerichte haben die Grundsätze zur Staatenimmunität völkerrechtskonform auf den Heiligen Stuhl angewandt, sodass die Versagung des Zugangs zu Gericht mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK konventionskonform war.
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