Haar- und Barterlass 2.0
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Eine Dienstvorschrift (ZDv) verbietet männlichen Soldaten das Tragen langer Haare. S ist Gothic und Berufssoldat. Er ärgert sich darüber, dass seine Kameradinnen lange Haare tragen dürfen, er aber nicht. Nach erfolgloser Beschwerde reicht S eine zulässige Klage ein.
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Einordnung des Falls
Haar- und Barterlass 2.0
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Soldaten können sich auf Grundrechte berufen.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG schützt die körperliche Unversehrtheit des Grundrechtsträgers. Auch Haare sind vom Schutzbereich erfasst.
Ja, in der Tat!
3. Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit liegt nur dann vor, wenn dem Grundrechtsträger Schmerzen zugefügt werden.
Nein!
4. Das Verbot des Tragens langer Haare nach Maßgabe der Dienstvorschrift greift in das Grundrecht des S auf körperliche Unversehrtheit ein.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Die Dienstvorschrift greift in das Persönlichkeitsrecht des S ein.
Ja, in der Tat!
6. Wegen der Nähe des APR aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zur absolut geschützten Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG sind Eingriffe in das APR generell unzulässig.
Nein!
7. Das APR aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG kann durch oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden, wenn die Beschränkung formell und materiell mit dem GG in Einklang steht..
Genau, so ist das!
8. Die Haare von Soldaten sind Bestandteil der Uniform. Taugliche Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Haarvorschriften ist daher § 4 Abs. 3 SG, der zum Erlass von Uniformvorschriften ermächtigt.
Nein, das trifft nicht zu!
9. Neben dem Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes kommt auch ein Verstoß gegen S' Gleichheitsrecht aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG in Betracht.
Ja!
10. Für Soldatinnen gilt die Ausnahme, weil lange Haare ein Symbol von Weiblichkeit seien. Für S sind lange Haare Ausdruck seiner Männlichkeit. S' Rechte aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG sind verletzt.
Nein, das ist nicht der Fall!
11. Obwohl die Dienstvorschrift dem Vorbehalt des Gesetzes nicht genügt und damit rechtswidrig ist, kann sie bis auf Weiteres weiter angewandt werden.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Fahrradfischlein
22.4.2021, 12:16:20
Ich finde das Urteil an der entscheidenden Stelle sehr dünn. Warum es jetzt ausgerechnet das Erscheinungsbild der Bundeswehr in seiner geschlossenen Wirkung nach außen beeinträchtigt wenn auch Männer lange Haare tragen wird überhaupt nicht thematisiert! Hat sich denn da von Seiten des Gesetzgebers etwas getan? Mal ganz davon abgesehen dass ich es eine Unverschämtheit finde zu unterstellen Frauen sei bei der Berufswahl die Haarlänge wichtig. Da kann man nur mal wieder sagen willkommen in 1950 🙈
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 15:09:05
Hallo Fahrradfischlein, in der
Tatliest sich das Urteil an dieser Stelle eher als Aneinanderreihung von Feststellung. Ein Korrektor in der Klausur würde wohl die spitzfindige Bemerkung hinterlassen, es fehle an der Begründungstiefe... Zur Verteidigung des BVerwG ist aber anzumerken, dass es hier nicht die eigenen Wertvorstellungen sind, die das Gericht seiner Prüfung zugrunde legt. Vielmehr verweist es auf einen früheren Beschluss (Beschl. v. 17.12.2014, NVwZ-RR 2014, 767), in dem es deutlich macht, dass es sich hier um einen Bereich handelt, den es noch zur Einschätzungsprärogative des Verteidigungsministers zählt (bzw. heute der Verteidigungsministerin). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass vergleichbare Regelungen auch in anderen vergleichbaren Rechtsordnungen existieren würden,
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 15:21:53
sei der Einschätzungsspielraum hier noch nicht überschritten worden. Es liegt also derzeit noch in der Hand des Verteidigungsministeriums, ob es eines entsprechenden Erlasses bedarf. Auch im Hinblick auf die gesetzliche
Ermächtigungsgrundlagehat sich etwas bewegt. Am 22.
April 2021 hat der Bundestag und am 7.Mai 2021 der Bundesrat das Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamtinnen und Beamten verabschiedet. Im Zuge dessen wurde u.a. eine neue Regelung in § 61 Abs. 2 BBG (für Beamte) bzw. in § 4 Abs. 4 Soldatengesetz eingefügt, die nun explizit normiert, dass u.a. die Haar-/Barttracht eingeschränkt oder untersagt werden darf, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung (bzw. der Streitkräfte) oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordern.
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 15:23:26
Vertiefte Ausführung, warum lange Haare bei Männern das Truppenbild stören, bei Frauen aber in Ordnung sind, lässt aber auch die Begründung dieses Gesetzesentwurf vermissen (vgl. BT Drs. 19/26839). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
ACD
22.10.2023, 16:14:29
Für mich ist 3 GG verletzt, die Begründung, lange Haare sind typisch weiblich ist ein
Werturteil, da lange Haare kein biologisches Merkmal einer Frau sind, und der Eingriff in das
APRbei einem Mann der sich über seine Haare identifiziert und einer Frau ist sachlich nicht zu trennen.
V. Z.
11.4.2023, 11:12:07
Lief im Dez 22 in NRW
Lukas_Mengestu
11.4.2023, 15:09:45
Vielen Dank für den Hinweis! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team