+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F ist querschnittsgelähmt, leidet unter schwersten Schmerzen und ist vollständig auf Pflege angewiesen. Sie möchte sterben und benötigt dafür eine letale Dosis Pentobarbital, das in Anlage III BtMG als verkehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel gelistet ist.

Einordnung des Falls

Suizid-Entscheidung des BVerwG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte vorliegend jedoch Anlass dazu, die Erlaubnis zu versagen.

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Ja, in der Tat!

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Art und Zweck der beantragten Verwendung des Betäubungsmittels mit dem Zweck des Gesetzes nicht vereinbar sind. Zentraler Zweck des BtMG ist, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Damit zielt das Gesetz darauf, die menschliche Gesundheit und das Leben zu schützen und Krankheiten zu heilen oder zu lindern.

2. Ist die Entscheidung eines unheilbar kranken Menschen zur Selbsttötung vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt?

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Ja!

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet für jeden Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Auf dieser Grundlage urteilt das BVerwG: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Dies begründet das BVerwG auch mithilfe des Rechts auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK.

3. Die Versagung der Erlaubnis zum Erwerb einer letalen Dosis Pentobarbital könnte aber in die Grundrechte der F eingreifen.

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Genau, so ist das!

Bei der Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts ist die öffentliche Gewalt zur Achtung der Grundrechte verpflichtet (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG).

4. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der F ist aber gerechtfertigt, weil er für die Gewährleistung der staatlichen Pflicht zum Schutz menschlichen Lebens (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) erforderlich ist.

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Nein, das trifft nicht zu!

Es besteht eine Kollision des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen mit der staatlichen Schutzpflicht. Diese Kollision ist mit dem Ziel praktischer Konkordanz aufzulösen. Bei schonendem Ausgleich der kollidierenden Güter ist der Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung dann zulässig, wenn der suizidwillige Erwerber sich wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet.

5. Eine extreme Notlage, die ausnahmsweise zum Erwerb von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung berechtigt, ist nur im Endstadium einer tödlichen Krankheit gegeben.

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Nein!

Eine extreme Notlage setzt voraus: (1) eine schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, die beim Betroffenen zu unerträglichem Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können, (2) eine freie und ernsthafte Entscheidung des entscheidungsfähigen Betroffenen, (3) Fehlen anderer zumutbarer Möglichkeiten zur Verwirklichung des Sterbewunsches. Danach kann eine extreme Notlage auch vor dem Endstadium einer tödlichen Krankheit bestehen. Eine solche extreme Notlage hat das BVerwG im vorliegenden Fall angenommen. In der Folge darf ein Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln (BGH, Urteile vom 03.07.2019, 5 StR 132/18, 5 StR 393/18).

6. Der Erwerb einer letalen Dosis des Betäubungsmittels Pentobarbital ist erlaubnispflichtig.

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Genau, so ist das!

Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 9 BtMG bedarf der Erwerb von Betäubungsmitteln der Erlaubnis. Zwar ist das Betäubungsmittel gemäß § 13 Abs. 1 i.V.m. Anlage III und § 4 Abs. 1 Nr. 3 a) BtMG ohne gesonderte Erlaubnis auf ärztliche Verschreibung erhältlich. Im Wege der ärztlichen Verschreibung war eine letale Dosis Pentobarbital für K jedoch nicht erhältlich. Denn die Berufsordnungen verbieten es Ärzten, Pentobarbital oder andere Betäubungsmittel in letalen Dosen zum Zweck der Selbsttötung zu verschreiben.

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J.

J.-D.

12.10.2019, 17:52:00

Hallo Zusammen, in Zusammenhang mit diesem Fall wäre es vielleicht ganz interessant, die beiden Urteile des BGH (Urteil vom 03.07.2019, Az. 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18) mit aufzunehmen. Hierbei ging es um Ärzte, die den Suizidenten beigewohnt hatten und den Suizid nicht verhindert hatten. Vorhergehende Instanzen waren das LG Hamburg und Berlin.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

22.11.2019, 11:28:44

Hallo J.-D., danke für deinen super wertvollen Kommentar! Wir haben einen Hinweis auf diese beiden Anschlussentscheidungen des BGH in die letzte Aufgabe dieser Entscheidung des BVerwG mit aufgenommen und werden die BGH-Fälle eigenständig bald auf Jurafuchs bringen! Herzlichen Dank und beste Grüße - Wendelin von Jurafuchs Team


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