+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Anwalt A vertritt M in einem medienwirksamen Fall. Das Amtsgericht erlässt auf Antrag von Staatsanwältin S Haftbefehl gegen M. A ist darüber verärgert. Er bezeichnet S gegenüber Journalisten als „durchgeknallte Staatsanwältin.“ A wird wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt.
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Einordnung des Falls
Meinungsfreiheit und Schmähkritik – „Durchgeknallte Staatsanwältin“
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Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2018
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn die Persönlichkeitsbeeinträchtigung (durch die Äußerung) schwerer wiegt als die Einbuße an Meinungsfreiheit (bei Verbot der Äußerung).
Ja!
§ 185 StGB stellt rechtswidrige Angriffe auf die Ehre einer anderen Person durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung unter Strafe (Fischer, StGB, 65.A. 2018, § 185 RdNr. 4). Verfassungsrechtlich gesprochen setzt dies eine Persönlichkeitsbeeinträchtigung voraus, die gewichtiger ist als der verfassungsrechtliche Schutz, den die verletzende Äußerung genießt. Es findet eine Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit statt. BVerfG: Das Ergebnis der Abwägung sei nicht vorgegeben und hänge von den Umständen des Einzelfalls ab (RdNr. 12).
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2. Die Verurteilung wegen Beleidigung greift in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) ein.
Genau, so ist das!
Unter den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen Werturteile und Tatsachenbehauptungen, letztere soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (Jarass, in: Jarass/Pieroth, 14.A. 2016, Art. 5 RdNr. 5f.). Werturteile kennzeichnen die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage im Sinne eines Dafürhaltens, Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit (Jarass, Art. 5 RdNr. 8). A hat ein Werturteil abgegeben. Seine Verurteilung ist ein unmittelbares gezieltes staatliches Verbot, das den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG verkürzt. Sie stellt einen klassischen Eingriff dar (vgl. Jarass, aaO, Vor Art. 1 RdNr. 27).
3. Eingriffe in die Meinungsfreiheit sind nur zulässig zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts (verfassungsimmanente Schranken).
Nein, das trifft nicht zu!
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährt. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG formuliert als Schranken die allgemeinen Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre. Die Schranke des allgemeinen Gesetzes meint eine Regelung, die weder gegen eine bestimmte Meinung noch gegen den Prozess der freien Meinungsbildung oder freie Informationen als solche gerichtet ist, sondern auf Wahrung eines allgemeinen Rechtsguts zielt (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 14.A 2016, Art. 5 RdNr. 67). Dazu gehören auch die strafrechtlichen Ehrschutztatbestände der §§ 185ff. StGB.
4. Die Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung überwiegt, wenn die Äußerung herabsetzend ist.
Nein!
BVerfG: Bei herabsetzenden Äußerungen überwiege die Schwere der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung nicht per se. Anders sei dies bei Schmähkritik, weshalb hier eine Abwägung nicht stattfinde (RdNr. 13, 17). Der Begriff der Schmähkritik sei wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng zu verstehen und eher auf Privatfehden beschränkt (RdNr. 17). „Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern […] die Diffamierung der Person im Vordergrund steht“ (RdNr. 17).
5. Eine (verbotene) Schmähkritik ist anzunehmen, wenn die ehrverletzende Äußerung außerhalb jedes sachlichen Kontextes steht.
Genau, so ist das!
BVerfG: Die Diffamierung einer Person stehe insbesondere dann im Vordergrund, wenn die ehrverletzende Äußerung sich von jedem in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Kontext losgelöst hat oder wenn der Verwendungskontext nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand für die Diffamierung dient. Es gälten hohe Darlegungsanforderungen (RdNr. 18).
6. Die Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung überwiegt, wenn die Äußerung unsachlich oder undifferenziert ist.
Nein, das trifft nicht zu!
BVerfG: „Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch oder überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist“ (RdNr. 13).
7. Stellt As Bezeichnung der S als „durchgeknallte Staatsanwältin“ eine (verbotene) Schmähkritik dar?
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine Schmähkritik – also die bloße Diffamierung einer Person, setzt voraus, dass die ehrverletzende Äußerung sich von jedem in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Kontext losgelöst hat oder dass der Verwendungskontext nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand für die Diffamierung dient.Zwar sei ein Anwalt nicht stets berechtigt, eine Staatsanwältin aus Verärgerung mit Beschimpfungen zu überziehen. Es sei allerdings möglich gewesen, dass die inkriminierenden Äußerungen von A sich auf das dienstliche Verhalten von S im Kontext des Haftbefehls bezogen (RdNr. 18, 20).