+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Kind K wird immer noch vermisst. Die Polizei trifft Nachbarin N nun aber nicht an und lädt sie deshalb zur Befragung auf die Polizeiwache.

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Einordnung des Falls

Vorladung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Polizei kann Personen auffordern zur Polizeidienststelle zu kommen, um die Person zu befragen oder erkennungsdienstliche Maßnahmen durchzuführen.

Ja!

Bei einer Vorladung (§ 11 Abs. 1 SOG HH, Art. 15 BayPAG Abs. 1, § 30 Abs. 1 BremPolG) spricht die Polizei das Gebot aus, dass eine Person zu einem festgesetzten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort (beispielsweise der Polizeidienststelle) erscheinen muss. Die Vorladung beinhaltet eine Anordnungsbefugnis für die Polizei und legt dem Adressaten die Pflicht zum Erscheinen auf. In den meisten Polizeigesetzen ist die Vorladung in einer eigenständigen Ermächtigungsgrundlage normiert. In einigen Ländern ist die Vorladung zusammen mit der Befragung in einer Norm geregelt (§ 19 Abs. 2 SächPolG, § 11 Abs. 2 SPolG).
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2. Die Polizei ist berechtigt eine Person zur allgemeinen Ausforschung oder anlasslos vorzuladen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Polizeigesetze der Länder bestimmen, dass eine Vorladung zum Zwecke einer Befragung oder zur Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen erfolgen muss (§ 20 Abs. 1 ASOG, § 28 Abs. 1 PolG BW, § 16 Abs. 1 NPOG). Manche Polizeigesetze bestimmen weitere Anlässe einer Vorladung: Nach § 16 Abs. 1 NPOG kann eine Vorladung zum Zwecke einer Gefährderansprache erfolgen, nach Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Leistet die Person der Vorladung folge, stellt die Standardermächtigung zur Vorladung (§ 11 Abs. 1 SOG HH, Art. 15 BayPAG Abs. 1, § 30 Abs. 1 BremPolG) nicht die Ermächtigungsgrundlage für die auf die Vorladung folgende Maßnahme dar. Vielmehr sind die eigenständige Ermächtigungsgrundlagen der Maßnahmen einschlägig, die die Verladung ermöglichen soll.

3. Für die Vorladung ist eine richterliche Anordnung erforderlich.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine richterliche Anordnung zur Vorladung ist nicht notwendig und stellt keine formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung dar. Allerdings bestimmen die Polizeigesetze der Länder, dass der Grund der Vorladung angegeben werden muss (§ 11 Abs. 3 S. 1 SPolG, § 18 Abs. 4 S. 1 SächsPolG, § 11 Abs. 2 S. 1 SOG HH). Eine pauschale Angabe des Grundes ist nicht ausreichend. Es muss eine präzise Angabe des Vorladung erfolgen, sodass die betroffene Person einschätzen kann, warum sie vorgeladen wird und was sie erwartet.

4. Bei der Vorladung muss Rücksicht auf die persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen genommen werden

Ja!

Die Polizeigesetze der Länder bestimmen, dass auf den Beruf und die sonstigen Lebensverhältnisse der betroffenen Person Rücksicht genommen werden soll (§ 28 Abs. 2 S. 2 PolG BW, § 16 Abs. 2 S. 2 NPOG, § 30 Abs. 2 S. 2 HSOG). Dies stellt eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Wird keine Rücksicht genommen, kann dies ein Ermessensfehler darstellen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IS

IsiRider

22.2.2024, 13:39:33

Persönliche Lebensverhältnisse meint was?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.2.2024, 12:48:26

Hallo IsiRider, danke für deine Frage! Es ist im Ergebnis intuitiv naheliegend. Zu den Lebensverhältnissen des Betroffenen, die zu berücksichtigen sind, zählen nur dessen berechtigte Interessen. Beispielhaft seien berufliche Termine, eine schlechte Verkehrsverbindung, familiäre Verhältnisse und Krankheitsfälle genannt. So kann z.B. zu berücksichtigen sein, dass ein Elternteil nur zur einer Tageszeit eine Kinderbetreuung organisieren kann oder jemand Arzttermine hat. Dahinter steht die Vorladung zurück im Rahmen einer Abwägung in der Verhältnismäßigkeit. Dagegen kann die Polizei sportliche Aktivitäten oder Hobbys unberücksichtigt lassen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

23.2.2024, 14:15:09

Also muss sich der Arbeitnehmer nicht extra beurlauben oder so lassen?

Mi. S.

Mi. S.

28.5.2024, 10:51:27

Das SächsPolG gibt es in dieser Form nicht mehr, §18 entspricht mittlerweile §14 Abs 1 S. 2 SächsPVDG


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