Einschreiben wird nicht abgeholt – Wirksamkeit empfangsbedürftiger Willenserklärung


mittel

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Klassisches Klausurproblem

M will dem Vermieter V kündigen und weist ihn bereits mündlich darauf hin. Die Kündigung muss bis zum 3.3. schriftlich erklärt werden. M schickt sie als Einschreiben. Postbote P trifft V am 2.3. nicht an. Trotz Abholkarte holt V es aus Nachlässigkeit nicht ab. Das Einschreiben wird nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist am 14.3. an M zurückgeschickt.

Einordnung des Falls

Einschreiben wird nicht abgeholt – Wirksamkeit empfangsbedürftiger Willenserklärung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kündigung an V ist wirksam geworden, als P ihm am 2.3. die Benachrichtigungskarte in den Briefkasten geworfen hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Empfangsbedürftige WE werden wirksam mit Zugang (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Zugang (Phase 3) liegt bei verkörperten WE vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist.Hier stellt die Benachrichtigungskarte selbst nicht die Erklärung dar. Somit ist durch Hinterlassen der Karte die Erklärung noch nicht in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Der Empfänger wird durch die hinterlassene Abholkarte lediglich in die Lage versetzt, die Erklärung in seinen Machtbereich zu bringen.

2. Die Kündigung an V ist wirksam geworden, als unter normalen Umständen, d.h. am 3.3., mit der Abholung des Einschreibens zu rechnen war.

Nein, das trifft nicht zu!

Zugang (Phase 3) liegt bei verkörperten WE vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme schließt sich demnach an den Eintritt der Erklärung in den Machtbereich an.Hier fehlt der Eintritt der Erklärung in den Machtbereich vor Abholung indes: Die Erklärung befindet sich auch in dem Zeitpunkt, zu dem unter normalen Umständen mit Abholung zu rechnen ist, noch nicht im Machtbereich des Empfängers. Außerdem informiert die Benachrichtigungskarte nicht darüber, wer der Absender ist und worauf sich das Einschreiben bezieht.

3. Zugang erfolgt erst im Zeitpunkt der Abholung des Einschreibens. Da V den Brief nicht abgeholt hat, ist er ihm nicht zugegangen.

Ja!

Erst mit Abholung des Einschreibens gelangt die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers, sodass dieser Kenntnis nehmen kann und mit Kenntnisnahme unter gewöhnlichen Umständen zu rechnen ist.Hier wird der Brief durch V nicht abgeholt und tritt damit nicht in den Machtbereich des Empfängers. Der Zugang ist nicht erfolgt.

4. Wenn M unverzüglich einen zweiten Zustellversuch unternimmt, muss sich V (nach Ansicht des BGH) nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) so behandeln lassen, als sei die Kündigung beim ersten Versuch zugegangen (Fiktion).

Genau, so ist das!

Unternimmt der Erklärende unverzüglich (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB), nachdem er den Brief zurückerhalten und so vom Fehlschlag des ersten Versuches erfahren hat, einen zweiten Zustellungsversuch, muss sich der Adressat, nach der neuen BGH-Rechtsprechung (BGHZ 137, 205), gemäß § 242 BGB so behandeln lassen, als wäre die Erklärung schon beim ersten Versuch in seinen Machtbereich gelangt und die Kündigung damit rechtzeitig zugegangen. Versäumt der Erklärende dies, wird die WE nicht wirksam.Wenn M unverzüglich einen zweiten Zustellversuch unternommen hätte, dann müsste sich V so behandeln lassen, als wäre die Kündigung beim ersten Versuch zugegangen.

5. Nach Ansicht des BGH muss sich V, weil er das Einschreiben aus Nachlässigkeit (= Fahrlässigkeit, § 276 Abs. 2 BGB) nicht abholte, nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) so behandeln lassen, als sei die Kündigung am 3.3. (Zeitpunkt in dem mit Abholung des Einschreibens zu rechnen war) zugegangen (Fiktion).

Nein!

Nach der h.L. (vgl. MüKoBGB/Einsele, 8. A., § 130 RdNr. 34ff.) und der früheren BGH-Rechtsprechung (BGHZ 67, 271) besteht zwar keine allgemeine Pflicht, Empfangsvorkehrungen zu treffen und bei der Post hinterlegte Einschreiben abzuholen. Jedoch kann sich aus dem Bestehen von Rechtsbeziehungen zwischen Erklärenden und Erklärungsempfänger ergeben, dass der Empfänger mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen zu rechnen hat. In diesem Fall muss sich der Erklärungsempfänger, wenn ihn ein Verschulden (min. Fahrlässigkeit) trifft, so behandeln lassen, als sei die Erklärung zugegangen, auch wenn sie nicht in seinen Machtbereich gelangt (Fiktion).Mit BGHZ 137, 205 hat der BGH diese Rechtsprechung aufgegeben. Grundsätzlich soll sich der Empfänger nur noch bei unberechtigter Annahmeverweigerung und arglistiger Zugangsvereitelung nach § 242 BGB so behandeln lassen müssen, als sei die Erklärung zugegangen.Hier wusste V, dass M die Kündigung erklären will. Nach der hL müsste er sich daher so behandeln lassen, als sei die Kündigung rechtzeitig zugegangen. Da V aber nicht arglistig (= vorsätzlich), sondern nur fahrlässig den Zugang vereitelt hat, gilt nach dem BGH, dass die Kündigung grundsätzlich nicht als zugegangen zu behandeln ist.

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