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Gesetzgebungsverfahren

Verfahren bei Einspruchsgesetz (Art. 77 Abs. 2, Abs. 3-4 GG)

Verfahren bei Einspruchsgesetz (Art. 77 Abs. 2, Abs. 3-4 GG)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Der Bundestag will den Beamten des Bundes sämtliche Tätowierungen verbieten. Zu diesem Zweck wird eine Änderung des Bundesbeamtengesetzes (BBG) auf Grundlage von Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG beschlossen (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG). Am Tag nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestages legt der Bundesrat mit 50 Stimmen Einspruch gegen das Gesetz ein.

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Einordnung des Falls

Verfahren bei Einspruchsgesetz (Art. 77 Abs. 2, Abs. 3-4 GG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das BBG-Änderungsgesetz ist ein Einspruchsgesetz.

Ja!

Grundsätzlich sind alle Gesetze Einspruchsgesetze. Einspruchsgesetze sind also alle Bundesgesetze, die nicht Zustimmungsgesetze sind. Ein Zustimmungsgesetz liegt nur vor, wenn das Grundgesetz die Zustimmungspflichtigkeit des Gesetzes ausdrücklich anordnet. Der Kompetenztitel für das BBG-Änderungsgesetz findet sich in Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG. In Art. 73 Abs. 2 GG ordnet das Grundgesetz die Zustimmungsbedürftigkeit nur für Gesetze nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG an. Im Umkehrschluss ist das BBG-Änderungsgesetz ein Einspruchsgesetz. Das Grundgesetz ordnet die Erforderlichkeit der Zustimmung des Bundesrates hauptsächlich in drei Fällen an, in denen die Interessen der Länder besonders betroffen sind: (1) verfassungsändernde Gesetze (Art. 79 Abs. 2 GG), (2) Gesetze mit Auswirkungen auf die Finanzen der Länder (beispielsweise Art. 104a Abs. 4, 105 Abs. 3 GG) und (3) Gesetze mit Auswirkungen auf die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder (beispielsweise Art. 84 Abs. 1 S. 6, Abs. 5 S. 1 GG).
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2. Im Bundesrat sind insgesamt 65 Stimmen vertreten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Grundgesetz sagt nichts über die Anzahl der Stimmen des Bundesrats. Allein Art. 51 Abs. 2 GG regelt, dass die Stimmenanzahl der Länder von der Einwohnerzahl abhängt. Weil die Gesamtzahl der Stimmen nicht dem Gesetz zu entnehmen ist, solltest Du Dir unbedingt merken, dass im Bundesrat insgesamt 69 Stimmen vertreten sind.

3. Der Bundesrat ist beschlussfähig.

Ja, in der Tat!

Der Bundesrat ist beschlussfähig, wenn die Mehrheit seiner Stimmen vertreten ist (§ 28 Abs. 1 GO-BR). Weil es insgesamt 69 Stimmen im Bundesrat gibt, müssen 35 Stimmen vertreten sein. Nach dem Sachverhalt sind 50 Ja-Stimmen abgegeben worden. Daraus muss man schließen, dass mindestens 50 Stimmen und somit mehr als 35 im Bundesrat vertreten sind.

4. Der Bundesrat hat den Einspruch gegen das BBG-Änderungsgesetz mit der erforderlichen Mehrheit eingelegt.

Ja!

Der Bundesrat fasst seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG). Bei 69 Stimmen müssen mindestens 35 den Einspruch befürworten. Mit 50 Ja-Stimmen liegen mehr als die 35 erforderlichen Ja-Stimmen vor.

5. Der Bundesrat hätte vor Einlegung des Einspruchs gegen das BBG-Änderungsgesetz den Vermittlungsausschuss einberufen und den Abschluss des Vermittlungsverfahrens abwarten müssen.

Genau, so ist das!

Der Bundesrat ist frei in der Entscheidung, den Vermittlungsausschuss einzuberufen („kann einberufen“, Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG). Ein Einspruch kann jedoch nicht eingelegt werden, bevor das Vermittlungsverfahren abgeschlossen ist („wenn das Verfahren nach Absatz 2 beendigt ist“, Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG). Der Bundesrat hat am Tag nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestages den Einspruch eingelegt. Zu diesem Zeitpunkt kann ein etwaiges Vermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sein. Der Bundesrat hat somit Einspruch gegen das BBG-Änderungsgesetz eingelegt, ohne zuvor den Abschluss des Vermittlungsverfahrens abzuwarten. Eine vergleichbare Einschränkung gibt es bei Zustimmungsgesetzen nach Art. 77 Abs. 2a GG hingegen nicht. Der Bundesrat kann also die Zustimmung verweigern, ohne den Vermittlungsausschuss einzuberufen. Wollen Bundestag oder Bundesregierung, dass das Zustimmungsgesetz dennoch zustande kommt, können sie dafür den Vermittlungsausschuss einberufen (Art. 77 Abs. 2 S. 4 GG).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAM

Matteo M

30.3.2022, 09:53:17

Coole Aufgabe, aber ich glaube es wäre Sinnvoll in den Sachverhalt zu schreiben, dass der BRat einen Vermittlungsausschuss einberufen hat. Sonst ist das mit dem “Vermittlungsverfahren ” nicht ganz verständlich. Danke

Paul König

Paul König

30.3.2022, 20:56:22

Hallo Matteo M, vielen Dank für deine Anregung! Verstehe ich richtig, dass du im Sachverhalt die Information vermisst, dass der Vermittlungsausschuss von Bundesrat einberufen wurde? Wenn ja: Das Fehlen dieser Angabe ist Absicht. Die Aufgabe will gerade darauf hinaus, dass der Bundesrat nicht Einspruch einlegen darf, ohne zuvor den Vermittlungsausschuss einzuberufen (Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG). Wir werden uns jedenfalls bemühen, die Problematik dieser Aufgabe eindeutiger und verständlicher herauszustellen. Ist das in deinem Sinne oder gäbe es da noch was zu tun? Beste Grüße - Paul für das Jurafuchs-Team

BL

Blotgrim

30.7.2022, 12:06:43

Wären ausreichend Stimmen vertreten wenn pro Land ein Vertreter anwesend ist, der als "Stimmführer" dient. Dann würden ja theoretisch alle Stimmen abgegeben oder müssen mindestens 35 Vertreter anwesend sein?

Paul König

Paul König

30.7.2022, 16:32:53

Hey @[Blotgrim](167544), Art. 51 Abs. 3 S. 1 GG lautet: "Jedes Land kann so viele Mitglieder entsenden, wie es Stimmen hat." Aus dem Ermessen der Länder ("kann"), wie sie vertreten werden wollen, kannst du ableiten, dass alle Stimmen eines Landes auch wirksam durch nur ein Mitglied abgegeben werden kann. Für die Beschlussfähigkeit des Bundesrates (§ 28 Abs. 1 GO-BR) kommt es dabei auch auf die Anwesenheit einer Mehrheit seiner Stimmen, nicht auf die anwesenden Mitglieder (also natürlichen Personen) an. Daher geht das - eine sehr klausurrelevante Frage! Hier bitte Vorsicht mit dem Begriff der Stimmführerschaft: Einfältige Korrektoren denken dabei sofort an die Problematik der uneinheitlichen Stimmabgabe und können das in den falschen Hals bekommen. Dieses Schlagwort daher besser vermeiden! Beste Grüße - Paul (für das Jurafuchs-Team) @[Lukas Mengestu](136780)

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

11.1.2023, 13:52:25

Warum steht in Art 77 II „kann“ und in der Aufgabe „muss“? Stehe ich langsam aufm Schlauch? 😅

CAN

cann1311

11.1.2023, 14:35:11

Nach Art 77 III *muss* bevor der Einspruch eingelegt werden kann, ein vermittlungsausschuss berufen werden. Sonst geht der Einspruch nicht. Insgesamt steht es dem Rat also frei, einen Auschuss zu machen, jedoch ist dieser Bedingung für den Einspruch.

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

11.1.2023, 14:50:02

Graziee

RUBI

Rubinho

3.11.2023, 11:53:47

Was ist denn die konkrete Rechtsfolge im letzten Fall, d.h., wenn der Bundesrat den Einspruch einlegt, bevor das Vermittlungsverfahren gem. Art. 77 Abs. 2 abgeschlossen ist? Gilt der Einspruch dann als unwirksam? Kann der Bundesrat nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens erneut Einspruch einlegen?

QP

qprgx

19.1.2024, 14:51:51

Genau, Ergebnis ist dann einfach, dass der Einspruch dann nicht innerhalb der Frist des Art. 77 III 1 GG eingelegt worden ist.


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