Zivilrecht

Bereicherungsrecht

Die Nichtleistungskondiktion

Verwertung schuldnerfremder Sachen in der Zwangsvollstreckung

Verwertung schuldnerfremder Sachen in der Zwangsvollstreckung

4. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schuldner S schuldet Gläubiger G €100. S zahlt nicht. Als G in S‘ Vermögen vollstrecken will, pfändet der Gerichtsvollzieher fälschlicherweise das Eigentum von S‘ Freundin F. Es kommt zur Zwangsversteigerung, bei der Erwerber E Sachen der F für €100 ersteigert. F verlangt den Erlös von G.

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Einordnung des Falls

Verwertung schuldnerfremder Sachen in der Zwangsvollstreckung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G hat „etwas erlangt“ iSd § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.

Ja, in der Tat!

Bereicherungsgegenstand bei der Eingriffskondiktion ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Hierbei kommt es nicht auf einen Vermögenswert oder auf eine Gegenständlichkeit an. G hat den Versteigerungserlös erlangt.
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2. G hat den Erlös durch Leistung des Gerichtsvollziehers erlangt.

Nein!

Leistung ist die bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Der Gerichtsvollzieher handelt hoheitlich. Die Auskehrung des Vollstreckungserlöses ist dabei nicht die bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens, sondern ein staatlicher Hoheitsakt. G hat den Erlös nicht durch Leistung, sondern „in sonstiger Weise“ erlangt.

3. Es liegt ein Eingriff des G in Fs Eigentum vor.

Genau, so ist das!

Eingriff bedeutet nach der Zuweisungstheorie die Verletzung des Zuweisungsgehalts eines fremden Rechts. Das Eigentum (§ 903 S. 1 BGB) weist jegliche Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten ausschließlich dem Eigentümer zu. G veranlasst, dass die gepfändeten Sachen versteigert werden. Mit diesen Sachen handelte es sich um solche der F. Nun hat G aber den Erlös erlangt und nicht Fs Sachen. Allerdings tritt das Eigentum am Versteigerungserlös kraft dinglicher Surrogation (§ 1247 S. 2 BGB analog) an die Stelle des Eigentums an der ursprünglichen Sache. Ein Eingriff liegt vor.

4. Die Voraussetzung „ohne Rechtsgrund“ entspricht der gleichnamigen Voraussetzung bei der Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Bei dem Tatbestandsmerkmal „ohne Rechtsgrund“ bei der Leistungskondiktion kommt es darauf an, ob ein Kausalverhältnis für die Vermögensverschiebung vorliegt (z.B. ein Kaufvertrag). Im Gegensatz dazu kommt es bei der Nichtleistungskondiktion darauf an, ob die Rechtsordnung dem Bereicherungsschuldner einen Behaltensgrund für den Bereicherungsgegenstand vorsieht. In Betracht kommen gesetzliche Behaltensgründe (gutgläubiger Erwerb, §§ 932 ff. BGB, gutgläubiger entgeltlicher Erwerb, § 816 Abs. 1 BGB) und vertragliche Behaltensgründe (z.B. Anspruch, den der eingreifende Schuldner selbst erfüllt hat).

5. Wenn der Bereicherungsgläubger ein Pfändungspfandrecht an der Sache hat, liegt darin ein Behaltensgrund.

Ja!

Maßgeblich für das Bestehen eines Behaltensgrundes ist, ob G ein Pfändungspfandrecht zustand (also ein Recht zur Pfändung der infrage stehenden Sache). Wann ein solches vorliegt, ist umstritten. Nach der herrschenden gemischten Theorie entsteht das Pfändungspfandrecht, wenn eine wirksamen Pfändung vorliegt und die sowie bürgerlich-rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Nach der öffentlich-rechtlichen Theorie entsteht das Pfändungspfandrecht unabhängig von der materiellen Rechtslage mit der wirksamen Pfändung.

6. G hat ein Pfändungspfandrecht ggü. S. Darin liegt ein Behaltensgrund für den Erlös im Sinne eines Rechtsgrunds iSd § 812 Abs. 1 S. 1 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der herrschenden gemischten Theorie entsteht das Pfändungspfandrechts, wenn eine wirksamen Pfändung vorliegt und die sowie bürgerlich-rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. G hat materiell-rechtlich nie ein Pfändungspfandrecht an Fs Eigentum erworben. Somit hat G auch kein Behaltensrecht aufgrund des Pfändungspfandrechts ggü. S. G hat ein Pfändungspfandrecht an Fs Sachen auch nicht gutgläubig erworben. Ein gutgläubigen Erwerb gesetzlicher Pfandrechte ist nicht möglich.

7. In dem Zuschlag im Rahmen der Zwangsvollstreckung liegt ein Behaltensgrund für den Erlös im Sinne eines Rechtsgrunds iSd § 812 Abs. 1 S. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Zuschlag stellt lediglich einen Rechtsgrund für die Übertragung des Eigentums an der Sache auf den Erwerber dar. Der Zuschlag stellt aber keinen Rechtsgrund für die Erlösauskehr an den Vollstreckungsgläubiger dar.

8. Es liegt kein Behaltensgrund für den Erlös vor.

Ja!

Ein weiterer Behaltensgrund für den Erlös ist nicht ersichtlich. G hat den Erlös ohne Rechtsgrund erlangt.

9. G hat den Erlös herauszugeben (§ 818 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Die Rechtsfolge des Bereicherungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB die Herausgabe der Bereicherung. Allerdings ist der Vollstreckungsgläubiger (also G) nach h.M. in Höhe der Vollstreckungskosten (§ 818 Abs. 3 BGB) entreichert. Diese sind deshalb von dem herauszugebenden Vollstreckungserlös abzuziehen.

10. Es besteht auch ein Anspruch aus § 816 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 816 BGB erfasst ausschließlich rechtsgeschäftliche Verfügungen. Der Gerichtsvollzieher trifft hier keine privatrechtliche Verfügung. Das Eigentum an der Sache geht durch Zuschlag auf den Erwerber über. Das Recht am Erlös geht durch Verteilung kraft staatlichen Hoheitsakt auf den Vollstreckungsgläubiger über. Es handelt sich also um eine hoheitliche Verfügung. § 816 BGB kommt somit nicht in Betracht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

simon175

simon175

15.12.2022, 10:17:55

Woraus ergibt sich, dass G

entreichert

ist?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.12.2022, 14:14:04

Hallo simon175, es ist von der Rechtsprechung entwickelt und anerkannt, dass der

Vollstreckungsgläubiger

in Höhe der Kosten der Vollstreckung

entreichert

ist. Unmittelbar aus dem Gesetz ergibt sich dies nicht. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

MO

Mo.

11.10.2023, 08:38:22

Ist es aber nicht irgendwie

verwerflich

, dass ein Dritter das Risiko tragen muss, dass er Eigentum an einer Sache verliert und dann auch noch die Kosten der Vollstreckung in Höhe der

Entreicherung

des

Vollstreckungsgläubiger

s tragen muss? Oder gibt es da noch andere Möglichkeiten, bevor die Sachen öffentlich versteigert werden?

Major Tom(as)

Major Tom(as)

26.11.2024, 18:18:22

@[Mo.](208093) Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich eine ZPO-Frage beantworten kann, aber jetzt ist die Zeit gekommen Ja, es gibt eine Möglichkeit, eben weil das unbillig wäre. Die Eigentümerin müsste hier

Drittwiderspruchsklage

gem. § 771 I ZPO erheben, ihr steht ja gerade "ein

die Veräußerung hinderndes Recht

" (Eigentum) an dem "Gegenstand der Zwangsvollstreckung" zu.

EVA

evanici

7.9.2023, 23:18:38

Läge denn mit dem

Pfändungspfandrecht

ein Behaltensgrund vor, würde man der öffentlich-rechtlichen Theorie folgen?

LELEE

Leo Lee

8.9.2023, 12:10:13

Hallo evanici, genauso ist es! Nach der sogenannten öffentlich- rechtlichen Theorie richtet sich die Bedeutung des

Pfändungspfandrecht

s nicht nach § 1204 ff. BGB, sondern allein nach öffentlichem Recht. Somit bedarf es ausschließlich der wirksamen Pfändung, damit das

Pfändungspfandrecht

entsteht. Daher darf die Pfändung nicht nichtig sein. Mithin entsteht das

Pfändungspfandrecht

unabhängig von den Eigentumsverhältnissen an der gepfändeten Sache automatisch durch die

Verstrickung

. Materielles Recht wird nicht berücksichtigt. Hier würde somit ein wirksamer Rechtsgrund vorliegen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

WAL

WalidKhan

9.10.2023, 15:06:33

An einer Stelle wird formuliert: "wenn d. *Bereicherungsgläubiger* ein Pfändungsrecht an der Sache hat, liegt darin ein Behaltensgrund". Müsste hier aber nicht von Bereicherungsschuldner gesprochen werden, der als

Anspruchsgegner

auf den Behaltensgrund angewiesen ist?

CR7

CR7

29.12.2023, 15:34:27

Ja! ))


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