Zivilrechtliche Nebengebiete

Handelsrecht

Allgemeine Regeln für Handelsgeschäfte (§§ 343-372 HGB)

Schweigen im Handelsverkehr, Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (Formerfordernis, bewusstes Abweichen)

Schweigen im Handelsverkehr, Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (Formerfordernis, bewusstes Abweichen)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die X-OHG schließt mit H e.K. einen Hausmeisterservice-Vertrag zu einem monatlichen Preis von €600. Am Tag darauf erhält die X-OHG von H eine E-Mail: „Bestätigung: Hausmeisterservice zu einem monatlichen Preis von €6.000 ab Januar 2022“. H hoffte, bei der X-OHG würde der falsche Betrag nicht auffallen. Die X-OHG reagiert nicht.

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Einordnung des Falls

Schweigen im Handelsverkehr, Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (Formerfordernis, bewusstes Abweichen)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die X-OHG und H haben einen Dienstvertrag geschlossen (§ 611 BGB).

Nein!

Ein Dienstvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag, in dem sich der Dienstverpflichtete zur Vornahme der versprochenen Dienste und der Dienstberechtigte zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 611 Abs. 1 BGB). Für die Abgrenzung zum Werkvertrag (§ 631 BGB) ist entscheidend, ob nach dem Vertrag eine Tätigkeit (dann Dienstvertrag) oder auch ein Erfolg (dann Werkvertrag) geschuldet ist. Typischer Gegenstand eines Hausmeisterservice-Vertrages ist die regelmäßige Durchführung bestimmter Reinigungs-, und Instandhaltungsarbeiten. Geschuldet ist eine erfolgreiche Reinigung und Instandhaltung, nicht nur die regelmäßige reine Tätigkeit. Der Schwerpunkt liegt damit beim Werkvertrag.
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2. Die X-OHG und H haben einen Werkvertrag geschlossen (§ 631 BGB).

Genau, so ist das!

Ein Werkvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag, durch den sich der Unternehmer gegen Zahlung des Werklohns verpflichtet, ein Werk herzustellen (§ 631 Abs. 1 BGB). Ein Vertrag setzt inhaltlich übereinstimmende, mit Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen voraus (Angebot und Annahme, §§ 145ff. BGB). Dies schließt eine Übereinstimmung der wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) ein. H und die X-OHG haben sich über den Abschluss eines Vertrags über die Durchführung von Hausmeisterarbeiten zu einem monatlichen Preis von €600 wirksam geeinigt.

3. Der Vertrag zwischen der X-OHG und H könnte nach den Grundsätzen zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben dahingehend geändert worden sein, dass die geschuldete Gegenleistung nun €6.000 statt €600 beträgt.

Ja, in der Tat!

Der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens muss diesem widersprechen, wenn er mit dem Inhalt nicht einverstanden ist. Das Unterlassen einer Erklärung gilt aufgrund dieser gewohnheitsrechtlichen Pflicht als Zustimmung zum Inhalt des Schreibens. Voraussetzung ist, dass (1) Kaufleute oder sonstige Unternehmer (2) Vertragsverhandlungen geführt haben und der Empfänger eines (3) zeitlich darauffolgend zugegangenen Bestätigungsschreibens (4) nicht unverzüglich widersprochen hat. Der Absender muss (5) schutzwürdig sein. Schweigt der Empfänger auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, gilt der Inhalt des Schreibens als Vertragsinhalt.

4. H und die X-OHG sind Kaufleute oder sonstige Unternehmer.

Ja!

Damit die Grundsätze zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben Anwendung finden, müssen die Beteiligten Kaufleute (§ 1-6 HGB) oder sonstige Unternehmer (§ 14 BGB) sein. Die Kaufmannseigenschaft richtet sich nach §§ 1-6 HGB. Unternehmer (§ 14 BGB) ist, wer unternehmerisch am Wirtschaftsverkehr teilnimmt, und von wem erwartet werden kann, dass er die Gepflogenheiten des kaufmännischen Wirtschaftsverkehrs kennt und anwendet (Kleingewerbetreibende und Freiberufler). H ist eingetragener Kaufmann (e.K.) und hat die Kaufmannseigenschaft mithin nach § 1 Abs. 1, 2 S. 1, § 3 Abs. 2 oder § 5 HGB. Die X-OHG ist als Handelsgesellschaft ebenfalls Kaufmann (§ 6 Abs. 1 HGB).

5. Zwischen H und der X-OHG haben Vertragsverhandlungen stattgefunden.

Genau, so ist das!

Vertragsverhandlungen sind Vorgänge, bei denen über die konkreten Konditionen eines zu schließenden Vertrages gesprochen wird. H und die X-OHG haben sich sogar schon auf den Abschluss eines Vertrages geeinigt.

6. Ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bedarf der Schriftform (§ 126 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Das Bestätigungsschreiben muss nicht die Anforderungen einer Schriftform (§ 126 BGB) erfüllen. Es genügt jede Form, die eine gewisse Dauerhaftigkeit und Dokumentationsfestigkeit erwarten lässt. Eine verkörperte Mitteilung ist für das Bestätigungsschreiben daher ebenfalls nicht notwendig. Die elektronische Übermittlung genügt. Ausreichend sind daher beispielsweise auch Telefax-Mitteilungen und E-Mails.

7. Der X-OHG ist unmittelbar nach den Vertragsverhandlungen ein Bestätigungsschreiben von H zugegangen.

Ja!

Ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben ist ein Schreiben, das den Inhalt eines aus Sicht des Absenders bereits geschlossenen Vertrages wiedergibt. Erforderlich ist, dass der Absender nach dem Inhalt des Schreibens an den Abschluss eines Vertrages während der Vertragsverhandlungen glaubt. Dieses muss in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zu den Vertragsverhandlungen zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB). Eine verkörperte Mitteilung in Schriftform (§ 126 BGB) ist nicht erforderlich. Die der X-OHG am Tag nach Vertragsschluss zugegangene E-Mail des H genügt den Formanforderungen. Sie gibt die Leistung, den Preis und Leistungsbeginn an und somit den wesentlichen Inhalt des aus Hs Sicht geschlossenen Vertrags.

8. Die Gesellschafter der X-OHG haben dem Inhalt des kaufmännischen Bestätigungsschreibens unverzüglich (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) nach dessen Zugang widersprochen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Widerspruch liegt in der Erklärung des Empfängers, dass kein Vertrag zu den im Bestätigungsschreiben genannten Bedingungen zustande gekommen ist. Er muss unverzüglich erfolgen, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB). Wann dies der Fall ist, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Bedeutung des Geschäfts. Ein Widerspruch nach mehr als einer Woche gilt im Regelfall als verfristet. Seitens der X-OHG kam auf Hs E-Mail keine Reaktion.

9. H als Absender des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ist schutzwürdig.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Absender eines Schreibens ist nicht schutzwürdig, wenn er im Bestätigungsschreiben von vorher Vereinbarten (1) bewusst abweicht oder (2) inhaltlich so weit davon abweicht, dass er vernünftigerweise nicht mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen kann. Die Schutzwürdigkeit fehlt auch (3) bei sich kreuzenden Bestätigungsschreiben und (4) wenn der Empfänger den dort bestätigten vermeintlichen Vertragsschluss zuvor ausdrücklich verweigert hat. H hat im kaufmännischen Bestätigungsschreiben bewusst einen Betrag für die Gegenleistung genannt, der vom Inhalt des mündlich geschlossenen Vertrag abweicht. Er hatte dabei die Hoffnung, dies würde nicht auffallen.

10. Zwischen der X-OHG und H ist ein Vertrag über die Durchführung eines Hausmeisterservices zum Preis von €600 zustande gekommen.

Ja!

Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben hat zur Folge, dass der Inhalt des Schreibens als Vertragsinhalt gilt. War der Vertrag vorher bereits mit einem anderen Inhalt geschlossen worden, wird das formlos Vereinbarte nachträglich ergänzt oder abgeändert. Diese Wirkung tritt jedoch nur ein, wenn der Absender des Bestätigungsschreibens schutzwürdig ist. Zwar hat die X-OHG auf das kaufmännische Bestätigungsschreiben des H geschwiegen. H hat im Bestätigungsschreiben aber bewusst unrichtige Angaben gemacht. Er ist damit nicht schutzwürdig. Der Inhalt des Bestätigungsschreibens wird nicht Vertragsinhalt und der Vertrag bleibt mit seinem ursprünglichen Inhalt erhalten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

rex ipso iure

rex ipso iure

16.4.2024, 02:28:27

ist das eine Art geltungserhaltende Reduktion ? Zumindest eine außerachtlassung der nicht schutzwürdigen Modifikation und Vertragserhaltung….

der unerkannt geisteskranke E

der unerkannt geisteskranke E

10.7.2024, 15:12:02

Nein, es gibt keine Einigung bezüglich des Inhalts des kaufmännischen Bestätigungsschreibens. In diesem Fall wurde aber vorher bereits ein wirksamer Vertrag geschlossen, der durch das Bestätigungsschreiben in seiner Wirksamkeit unberührt blieb. ´


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