Abredewidrige Blankettausfüllung (2)

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Unternehmer U kauft bei V eine neue Ledersofagarnitur für sein Büro für €10.000. Zur Finanzierung unterzeichnet er einen Darlehensantrag an die Bank B, den V abredewidrig mit €15.000 ausfüllt und an die B übergibt. B nimmt an.

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Einordnung des Falls

Abredewidrige Blankettausfüllung (2)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Darlehensvertrag zwischen B und U ist schwebend unwirksam, weil V als Vertreter ohne Vertretungsmacht handelte (§ 177 Abs. 1 BGB).

Nein!

Dazu müsste V (1) eine eigene Willenserklärung, (2) in fremdem Namen, (3) ohne Vertretungsmacht abgegeben haben. Allerdings stellt das bloße Ausfüllen des Blanketts eines anderen weder eine eigene Willenserklärung dar, noch ein Handeln in fremdem Namen und begründet daher keine Stellvertretung. Die Befugnis zum Ausfüllen ist auch keine Ermächtigung im Sinne einer Einwilligung (§§ 182, 183 BGB). Das Handeln des Ausfüllungsberechtigten ist für ihn kein Rechtsgeschäft, weil primär der Wille des Blankettausstellers die Rechtsfolgen der Erklärung trägt. Daher handelt es sich um einen bloßen Realakt (Skriptur).
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2. U kann seine Angebotserklärung wegen eines Erklärungsirrtums anfechten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Derjenige, der durch Blankounterschrift die Möglichkeit eines Missbrauchs schafft, muss sich an dem von ihm gesetzten Rechtsschein festhalten lassen und kann sich des Risikos nicht durch Anfechtung zulasten des gutgläubigen Dritten entziehen. Leistet jemand eine Blankounterschrift und gibt das Blankett aus der Hand, so trägt er das Risiko der abredewidrigen Ausfüllung. Der gute Glaube desjenigen, der auf den Bestand der in einer Urkunde enthaltenen Willenserklärungen vertraut, ist genauso schutzwürdig wie der gute Glaube desjenigen, der angesichts einer schriftlichen Vollmachtsurkunde auf den Fortbestand der Vollmacht vertraut (§ 172 BGB analog).

3. U unterlag beim Unterzeichnen des Darlehensvertrags einem Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) bezeichnet das unbewusste Auseinanderfallen von objektiv Erklärtem und subjektiv Gewolltem dadurch, dass der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Subjektiv wollte U einen Darlehensvertrag zu €10.000 abschließen. Aus Sicht eines objektiven Dritten in der Position der B führte die abredewidrige Blankettausfüllung seitens V aber zu einem Darlehensvertragsschluss über €15.000. Damit unterlag U bei Unterzeichnung einem grundsätzlich zur Anfechtung berechtigenden Erklärungsirrtum.Die Grenze zwischen Inhalts- und Erklärungsirrtum ist fließend, wegen der gleichen Rechtsfolge ist die Unterscheidung für das Ergebnis letztlich aber nicht entscheidend.

4. Zwischen U und B ist ein Darlehensvertrag über €15.000 zustande gekommen (§ 488 BGB).

Ja!

In dem unterzeichneten Darlehensantrag liegt ein Angebot des U, welches B mittels V als Boten auch zuging. Dass U die Eintragung der Darlehenssumme V überließ, ist dabei unschädlich. Aus Sicht eines objektiven Dritten in der Position der B führte die abredewidrige Blankettausfüllung seitens V zu einem Angebot über €15.000 (§ 157 BGB). Da B dieses Angebot annahm, kam zwischen U und B ein Darlehensvertrag über €15.000 zustande.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Tigerwitsch

Tigerwitsch

13.3.2021, 15:17:50

Der Unterschied zum vorherigen Fall ist somit, dass U nunmehr den „Blankoscheck“ aus der Hand gegeben hat. Dann kann er im Ergebnis nicht anfechten. Etwas anderes wäre es, wenn der „Blankoscheck“ zwischen den Parteien bleibt. Ist der Gedankengang richtig? Falls ja: Wie stellt man den letzten Prüfungsschritt in der Klausur dar? („Ausschluss der Anfechtung“?)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.1.2022, 11:24:42

Hallo Tigerwitsch, in der Tat begründet die hM die Haftung desjenigen, der das Blankett aus der Hand gibt, mit dem hierdurch gesetzten Rechtsschein analog § 172 Abs. 2 BGB (vgl. BGH NJW 1963, 1971). Ein Rechtsschein liegt aber nur vor, wenn der Empfänger redlich ist, also - wie hier - nicht erkennen konnte, dass ein anderer Inhalt intendiert war. Bleibt das Blankett dagegen zwischen den Parteien, so ist für den Empfänger ersichtlich, dass der Erklärende das Ausfüllen nur entsprechend der gemeinsamen Absprache gestatten wollte. Einen festen Prüfungsort für diese Problematik gibt es nicht. Ansprechen könntest Du dies aber - wie von Dir vorgeschlagen - in einem gesonderten Prüfungspunkt oder aber auch schon im Rahmen der Prüfung des Anfechtungsgrunds. Beste Grüße, Lukas-für das Jurafuchs-Team

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

15.7.2023, 15:14:54

Kann U die 5000 Euro bereicherungsrechtlich von V abschöpfen?

TI

Timurso

16.7.2023, 16:19:40

Das ist eine sehr gute Frage. Im Endeffekt steht das Geld dem U jedenfalls zu. Über welche Anspruchsgrundlage das läuft, müsste man sich jedenfalls genau anschauen. Auch vertragliche Anspruchsgrundlagen sowie (im Falle von Bargeld) sachenrechtliche kommen in Betracht. Bei Bargeld würde wohl ein Fall des

Geheißerwerb

s vorliegen, also zunächst für eine juristische Sekunde der U Eigentümer werden und dann in der vereinbarten Höhe an den V weiterübereignet. Die restlichen 5.000 € wurden aber nicht von U an V übereignet, weshalb U diese nach 985 herausverlangen könnte.

DIAA

Diaa

20.7.2023, 11:58:19

Hallo, vielen Dank erstmal für eure wunderbare Arbeit. Aber um ehrlich zu sein, der Fall ist sowas von verwirrend und unverständlich. Man kommt nur durcheinander, insbesondere weil im SV etwas steht, aber die Frage auf etwas anderes hinaus will. Ich verstehe den Unterschied zwischen diesem und vorigem Fall nicht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.7.2023, 15:12:48

Hallo Diaa, vielleicht kann ich dabei helfen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Bei diesem und dem vorigen Fall geht es im Kern um die Frage, welche Folge die

abredewidrig

e Blankettausfüllung hat. Im vorigen Fall hatten wir ein 2-Personen-Verhältnis. Die Person, die die fehlerhafte Eintragung vorgenommen hat, ist zugleich der Vertragspartner. Da er nicht schutzwürdig ist, kann er sich nicht auf den schriftlich dokumentierten Darlehensvertrag berufen, sondern musste sich an der mündlichen Abrede festhalten lassen (€10.000). Hier im Fall haben wir dagegen ein Drei-Personen-Verhältnis Unternehmer&Käufer U, den Verkäufer V und die Bank B. B hat von den Absprachen zwischen U und V keinerlei Kenntnis, sondern bekommt lediglich von V einen Antrag auf Darlehensgewährung vorgelegt, der von U unterzeichnet ist. Nun stellt sich die Frage, ob U den Darlehensvertrag zwischen sich und der Bank anfechten können soll. Dies wird trotz Bestehen eines Anfechtungsgrundes (Inhaltsirrtum) im Ergebnis abgelehnt. Hier werden die Interessen des gutgläubigen Dritten am Bestand des Vertrages und dem Interesse des U an der Lösung vom Vertrag miteinander abgewogen. Da U durch die Blankettunterschrift das Risiko eines fehlerhaften Vertragsschlusses selbst gesetzt hat, wird ihm nach Abwägung der widerstreitenden Interessen die Anfechtung versagt. Das ist also der zentrale Unterschied. Während V im vorherigen Fall nicht schutzwürdig war, ist es die Bank B hier und der Vertrag bleibt somit bestehen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

27.7.2023, 01:12:15

Vielen Dank für die ausführliche Antwort :)

JC1909

jc1909

27.9.2024, 08:01:29

Woran wird aber die fehlende Anfechtungsmöglichkeit festgemacht (im Gesetz oder ist das „Richterrecht“), obwohl ein Anfechtungsgrund vorliegt?

TI

Tim

5.11.2024, 21:38:37

Hi jc1909, gute Frage! Grundsätzlich sollte man im Hinterkopf behalten, dass - sofern die §§ 164 ff. einschlägig sein sollten - die hM die Anfechtung von Rechtsscheinstatbeständen (geschaffen etwa durch die Übergabe einer Vollmachtsurkunde iSd § 172 I BGB) für zulässig hält. Denn die nach §§ 171, 172 BGB kundgegebene Vollmacht sei wie eine Außenvollmacht zu behandeln und wie diese anfechtbar. Grundsätzlich soll die Rechtsscheinsvollmacht also zu einer Gleichstellung mit der Außenvollmacht führen, nicht zu einer darüber hinausgehenden Privilegierung des Geschäftsgegners. In diesem Fall ist allerdings zu beachten, dass a) der V aus Sicht der Bank lediglich als Bote auftritt. Die §§ 164 ff. sind also (zumindest) nicht direkt anwendbar. b) der U durch die Schaffung eines Blanketts und darauffolgende Überlassung an V ein Missbrauchsrisiko geschaffen hat und insofern auch eine erhebliche Gefahr für den Rechtsverkehr. U ist deswegen gegenüber der Bank, die gar keine Kenntnis davon hatte, dass ein Dritter (V) den Betrag eingefügt hat, nach den allgemeinen Rechtsscheinshaftungsprinzipen nicht schutzwürdig. Im Ergebnis muss sich U also an seiner Erklärung festhalten lassen. Unterstrichen wird dieses Ergebnis mit einer Analogie zu § 172 I, nach der derjenige, der durch eine Urkunde (die Ermächtigung zur Ausfüllung eines Blanketts ähnelt der Erteilung einer Urkunde) einen besonderen Rechtsschein begründet,sich auch an diesem festhalten lassen soll (insofern widersprüchlich, als dass die hM ja auch den Rechtsschein für anfechtbar hält). Deshalb würde ich sagen, die fehlende

Anfechtbarkeit

trotz Anfechtungsgrundes wird durch Auslegung des Gesetzes iVm anerkannten Rechtsprinzipien begründet.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

8.11.2023, 05:51:21

Im ersten Fall wird von einem Erklärungsirrtum ausgegangen, während es im zweiten trotz identischer Sachlage (

abredewidrig

es Ausfüllen durch V) ein Inhaltsirrtum ist. Welcher Irrtum liegt denn vor?

Richter Alexander Hold

Richter Alexander Hold

14.11.2023, 16:34:54

Stimmt, die Lösungen sind hier widersprüchlich. Ich finde es tatsächlich schwierig, sich hier für einen Irrtum zu entscheiden. Selbst der BGH hat dies meine ich offengelassen und nur einen Anfechtungsgrund aus § 119 I BGB angenommen, allerdings nicht konkretisiert, ob es ein Erklärungs- oder Inhaltsirrtum sein soll. Ich denke man kann das in einer Klausur auch offen lassen, da jedenfalls beide Irrtümer gleich zu behandeln sind.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.6.2024, 10:45:31

Hallo ihr beiden, vielen Dank für den Hinweis. In der Tat ist die Abgrenzung in der Rechtsprechung letztlich eher von untergeordneter Bedeutung, da die Rechtsfolgen identisch sind und die Grenzen zwischen dem Irrtum in der Erklärungshandlung und dem Irrtum über den Erklärungsinhalt fließend sind (vgl. Ellenberger, in: Grüneberg, BGB, 83.A. 2024, § 119 RdNr. 10). Da bei der

Blankounterschrift

aber bereits nach der äußeren Form eine andere Erklärung abgegeben wird, als die, die der Erklärende eigentlich im Kopf hatte, wird dieser Fall in der Literatur überwiegend als Erklärungsirrtum eingestuft (z.B. Brox/Walker, BGB AT, § 18 RdNr. 17), der aber in 3-Personen-Konstellationen nicht zur Anfechtung berechtigt (Erklärende musste mit

abredewidrig

er Ausfüllung rechnen). Wir haben die Erläuterungen hier noch einmal angepasst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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