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Pferde im Offenstall – Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des öffentlich-rechtlichen Gebots zur Rücksichtnahme
Pferde im Offenstall – Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des öffentlich-rechtlichen Gebots zur Rücksichtnahme
20. Mai 2025
20 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
P betreibt einen nicht genehmigten Pferdestall. Das Verwaltungsgericht hatte Ps Klage auf Baugenehmigung rechtskräftig abgewiesen, da jegliche Pferdehaltung das Rücksichtnahmegebot gegenüber Nachbarhäusern verletze. Vor Gericht war N als Eigentümer des Nachbargrundstücks beigeladen. Plötzliches Wiehern reißt N nachts aus dem Schlaf.
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Einordnung des Falls
Pferde im Offenstall – Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des öffentlich-rechtlichen Gebots zur Rücksichtnahme
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. N will gegen den Betrieb von Ps Stall wegen der davon ausgehenden Geräuschimmissionen vorgehen. In Betracht kommt ein Beseitigungsanspruch wegen Eigentumsbeeinträchtigung (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. N muss die Beeinträchtigung seines Eigentums jedenfalls dann als unwesentlich dulden (§ 1004 Abs. 2 BGB, § 906 Abs. 1 S. 3 BGB), wenn das Wiehern die Grenzwerte der TA-Lärm unterschreitet.
Nein!
3. Besteht Ns Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, ist P zur Beseitigung der Beeinträchtigung verpflichtet. Kann P diese Pflicht durch Installation einer wirksamen Schalldämmung erfüllen?
Genau, so ist das!
4. Könnte N einen Beseitigungsanspruch neben der Eigentumsbeeinträchtigung auch auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots stützen (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB)?
Ja, in der Tat!
5. Dass die Pferdehaltung der P das Rücksichtnahmegebot verletzt, wurde verwaltungsgerichtlich rechtskräftig festgestellt. Ist diese Feststellung bindend für einen Zivilprozess zwischen N und P?
Ja!
6. N muss die Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch die Pferdehaltung der P dulden, wenn die Geräuschimmissionen unwesentlich sind (§ 906 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Auf Rechtsfolgenseite ist P zur Beseitigung der Verletzung des Rücksichtnahmegebots verpflichtet. Könnte P auch diese Pflicht durch Installation einer wirksamen Schalldämmung erfüllen?
Nein, das trifft nicht zu!
8. Kann N also wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots von P verlangen, dass P den Stall abreißt (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB)?
Nein!
9. P stellt die Nutzung des Pferdestalls ein. N macht nun einen Unterlassungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB) geltend. Besteht die dafür erforderliche Wiederholungsgefahr?
Genau, so ist das!
10. Ein Beseitigungsanspruch des N gegen P wegen dieser Eigentumsbeeinträchtigung ist ausgeschlossen, wenn die Geräuschimmissionen unwesentlich sind (§§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 1 S. 1 BGB).
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Helena
26.3.2022, 12:06:12
Nur um noch mal ganz sicher zu gehen: die zwei Ansprüche sind zum einen der Anspruch auf Unterlassung der Störung (das Wiehren) und zum anderen ein Anspruch auf Unterlassung des Verstoßes gegen das
Schutzgesetz(Rücksichtnahme Gebot).

Lukas_Mengestu
28.3.2022, 14:44:23
Genau Helena, die Unterlassung der konkreten Lärmbeeinträchtigung kann auf § 1004 Abs. 1 S. 2 iVm
§ 906 BGBgestützt werden und die Unterlassung der Haltung auf § 1004 Abs. 1 S. 1 analog iVm §
823 Abs. 2 BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philipp von Pentz
3.7.2022, 16:41:38
*Unterlassung* der Haltung wäre ja nach Paragraph 1004 I 2 (!!) analog iVm
823 II. Satz 1 betrifft doch nur den
Beseitigungsanspruch.

Johannes Nebe
19.2.2024, 07:28:41
Der Hinweis von Philipp von Pentz wurde noch nicht bestätigt. Er besteht aber doch ganz zu Recht, oder? Andernfalls ergäbe sich auch ein Widerspruch zum bestätigten Beitrag von Diaa im anderen Thread.

Juraddicted
9.1.2025, 17:52:24
Das Frage ich mich auch - vllt gibt es ja noch ein Update :)?
Bienenschwarmverfolger
17.5.2022, 19:40:45
Wahnsinnsfall und super dargestellt! Ich kann mir kaum vorstellen, dass der bislang noch nirgendwo gelaufen ist. Wenn nicht, liegt er bestimmt schon in der Schublade irgendeines Durchgangs 🔥

Lukas_Mengestu
18.5.2022, 11:27:46
Herzlichen Dank, Bienenschwarmverfolger! Das freut uns wirklich sehr. Vielleicht kann uns hier ja die Schwarmintelligenz des Forums weiterhelfen :-) Falls also irgendjemand den Fall schon einmal in einer Examensprüfung hatte, freuen wir uns wie immer über einen Hinweis :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe
26.8.2022, 06:31:52
Finde diesen komplexen Fall auch sehr gelungen und lehrreich. Müsste es bei einem Mann nicht "
Beteiligter" statt "
Beteiligte" heißen?
Maxx
22.6.2023, 11:24:05
Der Fall ist leicht abgewandelt letztlich in einem Probeexamen gelaufen
david1234
12.6.2024, 18:57:12
Auch von mir nochmal ein dickes DANKE, so komplex hatte ich das Thema nie auf dem Schirm. Super aufgearbeitet !

julia_purpose
4.3.2025, 16:23:03
Hallo @[Bienenschwarmverfolger](121419) und @[Lukas_Mengestu](136780), zwei Jahre später kann ich sagen: Ihr hattet total Recht! Ein absolut ähnlicher Fall ist im Examen in NRW 2024 gelaufen!! :)
evanici
17.9.2023, 10:10:16
Das heißt, die das Rücksichtnahmegebot konkretisierende Norm müsste ich bei §
823 IIgar nicht nennen?
Diaa
27.9.2023, 22:48:39
Verstehe ich das richtig: man sollte hier 4 Ansprüche prüfen? 1. Auf Beseitigung aus 1004 I 1 2. Auf Beseitigung der Verletzung des Rücksichtnahmegebotes aus 1004 I 1 analog iVm
823 II3. Auf Unterlassen aus 1004 I 2 4. Auf Unterlassen aus 1004 I 2 analog iVm
823 II
Lukas_Mengestu
28.9.2023, 16:16:36
Hi Diaa, in der Tat ist hier sowohl die Beeinträchtigung des Eigentums (§ 1004 Abs. 1 BGB) als auch der Verstoß gegen das Rücksichtsnahmegebot (§ 1004 Abs. 1 analog iVm §
823 Abs. 2 BGB) zu prüfen. Da es hier sowohl um die Beseitigung einer Beeinträchtigung (S.1) als auch die Unterlassung einer zukünftigen Beeinträchtigung ging (S. 2)
waren hier also 4 Anspruchsgrundlagen zu prüfen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
nmew
6.4.2025, 21:57:03
Im Baurecht habe ich gelernt, dass es kein abstraktes Rücksichtnahmegebot / keinen abstrakten Grundsatz gibt. Das Gebot wird lediglich bestimmten nachbarschützenden Normen spezifisch entnommen. Daher dachte ich im vorliegenden Fall, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot als solchem kein Anspruch ergibt? wie ist die Falllösung denn dogmatisch zu erklären?
nmew
13.4.2025, 20:31:43
Schützt § 1004 wirklich das RzB, wie in der Vertiefung am Anfang der Aufgabe erwähnt? ich dachte der berechtigte Besitz ist geschützt. das ist doch ein Unterschied, oder?