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Barkeeperin B braucht für ihre Kneipe "Zur letzten Instanz" Personal. Über einen Aushang in der Uni sucht sie "Verstärkung für ihr junges Team". Als sich der 48-jährige Langzeitstudent L meldet, lehnt B ihn ab.

Einordnung des Falls

Stellenanzeige – Verstärkung junges Team

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Parteien im Zivilrecht sind grundsätzlich frei, mit wem sie Verträge eingehen.

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Ja!

Im Zivilrecht gilt der Grundsatz der Abschlussfreiheit. Dieser entspringt der allgemeinen Handlungsfreiheit der Beteiligten (Art. 2 Abs. 1 GG). Abschlussfreiheit bedeutet, dass jedem die Entscheidung darüber frei steht, ob und mit wem er einen Vertrag abschließen will. Geschützt ist dabei sowohl die Freiheit einen Vertrag zu schließen (=positive Abschlussfreiheit) als auch die Freiheit, keinen Vertrag abzuschließen (=negative Abschlussfreiheit).

2. Wird die Abschlussfreiheit grenzenlos gewährt?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Die Abschlussfreiheit kann durch gesetzliche Regelung eingeschränkt werden. Im Arbeitsrecht ist dabei insbesondere das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von Bedeutung. Das AGG verbietet Benachteiligungen (§ 7 Abs. 1 AGG) von Personen aufgrund bestimmter in § 1 AGG aufgeführter Merkmale (z.B. Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft). Ein Verstoß hiergegen kann insbesondere Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche des Benachteiligten auslösen (§ 15 AGG).

3. Unterliegt B bei der Einstellung von Personal den Vorschriften des AGG?

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Ja, in der Tat!

Die Vorschriften des AGG sind nur anwendbar, wenn der sachliche (§ 2 Abs. 1 AGG) und persönliche Anwendungsbereich (§ 6 AGG) eröffnet ist und keine anderen Gesetze vorrangig sind (§ 2 Abs. 2-4 AGG).Die Stellenanzeige regelt die Einstellungsbedingungen der B und fällt damit in den sachlichen Schutzbereich des AGG (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG). L ist Bewerber und unterliegt damit dem persönlichen Schutzbereich (§ 6 Abs. 1 S. 2 AGG).Auf vorrangige andere Gesetze (§ 2 Abs. 2-4 AGG) ist beim sachlichen Anwendungsbereich nur einzugehen, wenn im Sachverhalt entsprechende Anhaltspunkte vorliegen.

4. Wenn B den L aufgrund seines Alters nicht eingestellt hat, liegt darin eine unmittelbare Benachteiligung wegen seines Alters (§ 3 Abs. 1, 1 Abs. 1 AGG).

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Ja!

Der Begriff der unmittelbaren Benachteiligung ist in § 3 Abs. 1 AGG legaldefiniert. Sie liegt vor, wenn jemand aufgrund eines in § 1 AGG pönalisierten Merkmals (z.B. Alter) eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.Sofern B nicht eingestellt hat, weil er 48 Jahre alt ist, so liegt darin eine Schlechterstellung allein aufgrund seines Alters.Liegt kein Ausnahmetatbestand vor (§ 8, 10 AGG), so ist diese Benachteiligung verboten (§ 7 AGG).

5. Bs Stellenanzeige indiziert eine Benachteiligung des Ls wegen seines Alters. B muss deshalb beweisen, dass keine ungerechtfertige Benachteiligung vorliegt (§ 22 AGG).

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Genau, so ist das!

Während im Zivilrecht grundsätzlich der Anspruchssteller sämtliche für ihn günstigen Umstände beweisen muss, enthält § 22 AGG eine Beweislastumkehr zugunsten des potentiell Benachteiligten. Kann er Indizien beweisen, die auf eine Benachteiligung aufgrund eines pönalisierten Merkmals schließen lassen, wird die Beweislast umgekehrt. Dann muss vielmehr die andere Partei beweisen, dass sie ihn nicht benachteiligt hat.Dass B lediglich Verstärkung für ihr junges Team sucht, indiziert, dass ältere Bewerber benachteiligt werden. B muss deshalb nachweisen, dass sie L aus anderen Gründen abgewiesen hat (z.B. mangelnde Erfahrung) oder für die Ungleichbehandlung aufgrund seines Alters eine Rechtfertigung besteht (§§ 8, 10 AGG).

6. Kann L die B gerichtlich dazu zwingen ihn einzustellen, wenn die Ablehnung seiner Bewerbung gegen das Benachteiligungsverbot verstößt (§ 7 AGG)?

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Nein, das trifft nicht zu!

Zwar normiert § 15 Abs. 1 AGG einen Schadensersatzanspruch des Benachteiligten, der einen entsprechenden Einstellungsanspruch begründen könnte. § 15 Abs. 6 AGG ordnet als Ausnahme zur Naturalrestitution jedoch explizit an, dass kein Anspruch auf Einstellung besteht.Selbst wenn B der Nachweis nicht gelänge, dass sie L nicht ungerechtfertigt wegen seines Alters benachteiligt hat, müsste sie ihn nicht einstellen.Es handelt sich hierbei um eine allgemeine Wertentscheidung. Trotz Diskriminierung soll dem Arbeitgeber kein Vertragspartner aufgezwungen werden.

7. Es hat also keine Konsequenzen, wenn B den L wegen seines Alters abgelehnt hat.

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Nein!

Verstößt der Arbeitgeber gegen das Benachteiligungsverbot (§ 7 AGG), so kann der Benachteiligte Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche geltend machen (§ 15 AGG). Diese finanziellen Belastungen stellen zumindest einen mittelbaren Kontrahierungszwang dar.Sofern B bei der Ablehnung des L gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen hat, muss sie ihn hierfür finanziell kompensieren (§ 15 AGG).Praktische Relevanz hat vor allem der Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG. Unabhängig von dem Vorliegen eines konkreten Schadens kann der Benachteiligte hier bis zu drei Monatsgehältern an Entschädigung für immaterielle Schäden (in der Regel Persönlichkeitsrechtsverletzung) geltend machen.

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frausummer

frausummer

25.5.2022, 11:45:17

Mich würde interessiere, wie sich die Beweislastumkehr in der Praxis darstellt. Genügt bei der Stellenausschreibung sowie beim Vorstellungsgespräch nicht bereits, dass eine nicht gerechtfertigte (Alters-)Diskriminierung vorliegt, der Bewerber sich ernsthaft beworben und nicht offensichtlich ungeeignet ist? Selbst wenn dem Bewerber dann irgendwas zur Eignung fehlt, hat der AG doch immer noch diskriminiert, oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

31.5.2022, 23:56:25

Hallo frausummer, vielen Dank für Deine Nachfrage! Ob die Ablehnung eine Diskriminierung darstellt oder nicht, ist in der Praxis die entscheidende Frage. Hierfür ist im Grundsatz der Bewerber darlegungs- und beweispflichtig. In der Regel erfährt er aber nicht, warum er abgelehnt wurde. Eine entsprechende Begründungspflicht gibt es nicht. Die Regelungen des AGG liefen damit regelmäßig leer. Allein der Umstand, dass jemand jüngeres eingestellt wurde, stellt für sich noch keinen hinreichendes Indiz einer Altersdiskriminierung dar. An dieser Stelle kommt nun die Stellenausschreibung ins Spiel. Wird in diskriminerender Weise die Stelle ausgeschrieben und der Bewerber dann nicht genommen, so liegt es am Arbeitgeber den Beweis anzutreten, dass er nicht diskriminiert hat. Dies wird ihm aber nur gelingen, wenn er sachliche Gründe dafür darlegen und beweisen kann, die für den bevorzugten Kandidaten sprechen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Juliaa

Juliaa

14.1.2024, 19:36:53

Ich habe eine Entscheidung vom BAG (BAG 23.11.2017 – 8 AZR 604/16) gefunden, in der es heißt, die Bezeichnung als “junges, dynamisches Unternehmen” stelle eine unternehmensbezogene Information dar, die sich nicht auf die Belegschaft oder die erwünschten Bewerber bezieht und deshalb keinen AGG Anspruch begründet. Heißt das, dass ich mein Unternehmen in der Stellenanzeige als jung und dynamisch bezeichnen darf und nur mein Team nicht? 😅

Juliaa

Juliaa

14.1.2024, 19:37:55

Theoretisch kann doch beides als Info über das Unternehmen gelesen werden

LAURA

Laura

18.3.2024, 09:11:30

Soweit ich weiß ist diese Entscheidung eine überraschende Ausnahme gewesen. In dem Fall hat das Unternehmen plausibel dargelegt, dass sich die Bezeichnung wirklich nur auf das Unternehmen bezieht. Die Anforderungen an den Bewerber wurden in der weiteren Stellenausschreibungen ohne Diskriminierung dargelegt das mit dem „jungen Unternehmen“ war nur ein Einleitungsatz am Anfang. Generell ist das BAG aber bei solchen Formeln streng.


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