Öffentliches Recht

Europarecht

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV („Corsten“)

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV („Corsten“)

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

C beauftragt die kroatische Firma K mit Bauarbeiten, obwohl K nicht in die deutsche Handwerksrolle eingetragen war. In Deutschland wurde gegen C daher ein Bußgeld verhängt, weil sie dadurch gegen Vorschriften zur Bekämpfung der Schwarzarbeit verstoßen hatte.

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Einordnung des Falls

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV („Corsten“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist eröffnet.

Ja, in der Tat!

Der sachliche Anwendungsbereich setzt eine Dienstleistung voraus. Die Dienstleistung lässt sich in Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten als selbstständige, vorübergehende Leistungen definieren, die einen entgeltlichen Charakter haben muss. Begünstigte sind Unionsbürger und gem. Art. 62 i.V.m. Art. 54 AEUV Gesellschaften mit Unionsbezug. Ferner ist ein grenzüberschreitender Bezug erforderlich. Bauarbeiten haben einen entgeltlichen Charakter. K bietet die Bauarbeiten ferner auch selbstständig und nur vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat an. K ist daher vorliegend als Dienstleistungserbringer im Sinne der aktive Dienstleistungsfreiheit und C als Dienstleistungsempfänger anzusehen.
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2. Das Bußgeld stellt eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar.

Ja!

Art. 56 AEUV verlangt nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen, auch wenn diese unterschiedslos in- und ausländische Unternehmen treffen, sofern sie geeignet sind, die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Wenn einem Unternehmen, das in einem Mitgliedstaat ansässig ist und in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen im Rahmen einer handwerklichen Tätigkeit erbringen möchte, dann behindert die Verpflichtung zur Eintragung in die Handwerksrolle die Dienstleistungsfreiheit. Eine Beschränkung ist somit gegeben.

3. Vorliegend kommt die Rechtfertigung über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe gemäß Art. 62 i.V.m. Art. 52 AEUV in Betracht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die in Art. 52 AEUV enthaltenen Vorbehalte erlauben es den Mitgliedstaaten Maßnahmen gegenüber anderen Staatsangehörigen vor dem Hintergrund der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu rechtfertigen, die die Niederlassungsfreiheit beschränken und daher grundsätzlich unzulässig sind. Vorliegend geht um die Qualitätssicherung im Handwerk. dieses Schutzziel lässt sich jedoch werden unten Den Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, noch unter den Schutz der öffentlichen Gesundheit subsumieren. Eine Rechtfertigung über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe kommt hier daher nicht in Betracht.

4. Im Rahmen des Beschränkungsverbots ist ferner eine Rechtfertigung über ungeschriebene Rechtfertigungsgründe möglich.

Ja, in der Tat!

Der EuGH hat in der Rechtssache Gebhard entschieden, dass Beschränkungen über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe hinaus dann gerechtfertigt werden können, wenn sie (1) in nichtdiskriminierender Weise anwendbar sind, (2) aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind, (3) geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten und (4) nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Diese Voraussetzungen werden die sog. Gebhard-Formel genannt. Die Gebhard-Formel ist auch für die Dienstleistungsfreiheit anwendbar. Der EuGH hat zunächst nur die Rechtfertigung von unterschiedslosen Beschränkungen durch die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe zugelassen. In der neueren Rechtsprechung weicht der EuGH jedoch davon ab und rechtfertigt auch verdeckte Diskriminierung mit ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen bzw. grenzt häufig nicht eindeutig zwischen verdeckter Diskriminierung und unterschiedsloser Beschränkung ab.

5. Die Regelung ist zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Handwerks erforderlich und kann daher gerechtfertigt werden.

Nein!

Das Ziel, die Qualität der durchgeführten handwerklichen Arbeiten zu sichern und so Abnehmer vor Schäden zu bewahren, stellt einen von der Rechtsprechung anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen kann. Die Eintragungspflicht geht über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Die Erbringung von Dienstleistungen darf nicht von der Einhaltung aller Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die für eine Niederlassung gelten und der Dienstleistungsfreiheit praktisch jede Wirksamkeit zu nehmen. Die Regelung kann daher nicht gerechtfertigt werden. Eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit liegt vor.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EL

elli0103

20.7.2024, 11:02:59

Fallen die Vorschriften über die Bekämpfung der Schwarzarbeit nicht unter die öffentliche Ordnung?

L.G

L.Goldstyn

30.8.2024, 19:40:37

Hallo elli0103, der Begriff der öffentlichen Ordnung in Art. 52 AEUV wird sehr restriktiv ausgelegt. Eine gängige Definition lautet: „Die öffentliche Ordnung ist betroffen, wenn ein Bezugs zur zivilen bzw. politischen Struktur einer Gesellschaft besteht oder es um den Schutz vor Be

drohung

en des geordneten menschlichen Zusammenlebens geht.“ Oft findet sich auch das Schlagwort, dass die Grundzüge gesellschaftlichen Zusammenlebens betroffen bzw. die Gesellschaft in ihren Grundzügen betroffen sein muss. Die Bekämpfung von Schwarzarbeit ist zwar sehr wichtig, aber wohl nicht wichtig genug, um unter den Begriff der öffentlichen Ordnung zu fallen. Anprüfen halte ich in der Klausur aber für richtig.


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