§ 616 BGB

14. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist in Bs Betrieb beschäftigt. Aufgrund einer staatlichen Impfempfehlung möchte sich A gegen das Corona-Virus impfen lassen. Da der Arzt lediglich Dienstagvormittag eine Impfsprechstunde anbietet, erscheint A an diesem Vormittag nicht zur Arbeit. B teilt A mit, dass er den Lohn entsprechend kürzen wird.

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Einordnung des Falls

§ 616 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der eigentlich nach § 326 Abs.1 S.1 BGB untergangene Lohnanspruch besteht trotz unterbliebener Arbeitsleistung fort, da sich B im Annahmeverzug befindet (§ 615 S.1 BGB).

Nein!

Befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug, so behält der Arbeitnehmer seinen Lohnanspruch, ohne die ausgefallene Arbeit nachleisten zu müssen (§ 615 S. 1 BGB). Der Annahmeverzug richtet sich nach den §§ 293ff. BGB. Insbesondere bedarf es eines tatsächlichen Angebotes (§ 294 BGB), sofern dieses nicht entbehrlich ist.Gründe, für die Entbehrlichkeit des tatsächlichen Angebotes liegen nicht vor. A war verpflichtet, ihre Arbeitsleistung in Bs Betrieb tatsächlich anzubieten. Dies hat sie am Dienstagvormittag nicht getan. Somit liegen die Voraussetzungen des Annahmeverzuges nicht vor.
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2. Der Lohnanspruch besteht fort, wenn der Arbeitnehmer durch einen in seiner Person liegenden Grund vorübergehend an der Arbeitsleistung gehindert wird (§ 616 S.1 BGB).

Genau, so ist das!

Der Lohnanspruch bleibt erhalten, wenn der Arbeitnehmer (1) für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit, (2) durch einen in seiner Person liegenden Grund (3) ohne Verschulden (4) am Erbringen der Arbeitsleistung verhindert ist (§ 616 S.1 BGB).

3. A hat keinen Anspruch auf Lohnzahlung nach §§ 611a Abs.2 iVm. 616 S.1 BGB, da sie ihre Arzttermine stets außerhalb ihrer Arbeitszeit wahrnehmen muss.

Nein, das trifft nicht zu!

Arztbesuche stellen nur dann einen persönlichen Verhinderungsgrund im Sinne des § 616 S.1 BGB dar, wenn sie zum jeweiligen Zeitpunkt medizinisch notwendig oder, wenn der Arbeitnehmer trotz Bemühens keinen Termin außerhalb der Dienstzeit erhält. Der Besuch der Impfsprechstunde, die nur Dienstagvormittag stattfindet, ist ausschließlich während der Arbeitszeiten möglich. Damit besteht ein in der Person der A liegender Grund, wodurch A ohne ihr Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert ist. Dies ist aufgrund der Kürze der Impfung auch nur eine vorübergehende Verhinderung. Damit besteht der Lohnanspruch nach § 616 S.1 BGB fort.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PH

Philippe

27.8.2022, 18:17:51

Das ist m.E. verkürzt. Die Empfehlung richtet sich an die Allgemeinheit und nicht an eine bestimmte Person. Mithin begründet sich die Wahrnehmung des Impftermins auch nicht aus persönlichem Eigenschaften bzw. Gründen.

KI

kimboslice

4.9.2022, 07:22:07

Kommt es nicht darauf an, dass es ihr persönlicher Arzttermin ist, den sie aufgrund der durch die Empfehlung belegte medizinischen Notwendigkeit wahrnehmen darf?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.9.2022, 12:40:38

Hallo Philippe, danke kimboslice für die Erklärung. Der persönliche Grund muss nicht notwendigerweise nur für sie alleine gelten und nicht für irgendjemand sonst. So ist z.B. eine Beerdigung einer nahestehenden Person auch ein Verhinderungsgrund im Sinne der Norm, der gleichermaßen unbestimmt viele andere Menschen betrifft. A hat einen Impftermin erhalten hat, weil die Empfehlung auf sie zutrifft. Das dies auch für andere Menschen der Fall ist, ist kein Ausschlussgrund. Der Impftermin, der zu keinem anderen Zeitpunkt möglich ist stellt einen persönlichen Verhinderungsgrund der A dar. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

28.10.2022, 17:34:50

Ich sehe in der Impfempfehlung keine medizinische Notwendigkeit. Vielleicht müsste da der Sachverhalt mehr hergeben.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.2.2023, 11:05:56

Hallo Isirider, der Besuch eines Arztes kann aus zwei Gründen ein persönlicher Hinderungsgrund sein. Zum einen, weil er aus medizinischen Gründen genau zu einem bestimmten Zeitpunkt erforderlich ist (zB Blutabnahme auf nüchternen Magen, das kann also schwer im Anschluss an die Arbeit erfolgen) oder ein Termin bei dem Arzt nicht außerhalb der Dienstzeit zu bekommen ist. Die Arbeitnehmerin muss sich dabei auch nicht auf einen anderen Arzt verweisen lassen. Die freie Arztwahl genießt in diesem Fall Vorrang (MüKoBGB/Henssler, 9. Aufl. 2023, BGB § 616 Rn. 24). Im vorliegenden Fall besteht im Hinblick auf die Impfempfehlung eine hinreichende medizinische Indikation für den Impftermin. Da sie aber nur einen Termin während der Arbeitszeit erhalten kann, liegt ein persönlicher Hinderungsgrund vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MAT

Matschegenga

20.3.2024, 11:39:35

Mit seinem sturen Beharren auf das Erbringen der Arbeitsleistung untergräbt B unsere nationalen Impfanstrengungen und gefährdet unser Leben.

Moltisanti

Moltisanti

18.5.2024, 02:38:59

In 2024 sowas zu schreiben..

CR7

CR7

12.6.2024, 10:37:23

Kurz in der Zeit stecken geblieben :D

AMA

Amastris

2.11.2024, 09:12:11

Der Arbeitnehmer hat einen Lohnfortzahlungsanspruch wenn er wie im Beispiel zum Arzt während der Arbeitszeit geht. Bedeutet das, er bekommt den vollen Lohn als wäre er da gewesen oder wie muss ich das verstehen? In der Praxis kenne ich es, dass man sich eben Urlaub nimmt oder mit Überstunden z.B. aus Gleitzeit verrechnet. Mich würde es jetzt wundern, wenn das der Arbeitgeber zahlen müsste. Oder richtet sich das nach der Dauer? Schließlich steht im Gesetz "nicht erhebliche" Zeit. Wo liegt hierbei aber dann die Grenze?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

10.11.2024, 00:23:07

Hallo @[Amastris](212484), genau das heißt das in der

Tat

! Die Arbeitsleistung des AN ist

absolute Fixschuld

, dementsprechend erlischt nach § 275 I BGB die Leistungspflicht. Die des AG würde nach § 326 I S. 1 BGB eigentlich auch erlöschen ("Ohne Arbeit keinen Lohn"), es sei denn es greift eine Anspruchserhaltungsnorm. § 616 S. 1 BGB ist eine solche Norm. Der AN bekommt also seinen Lohn und muss die Arbeitszeit nicht nachholen. Für deine Erfahrungen in der Praxis aber noch zwei Punkte hierzu: Erstens wird § 616 S. 1 BGB vielfach durch tarifrechtliche Vorschriften überlagert bzw. konkretisiert, und daraus können sich starke Einschränkungen für den Fall des Arztbesuchs ergeben. Zweitens muss der AN, wie in der Aufgabe schon dargestellt, Arzttermine möglichst außerhalb der Dienstzeit legen. Nur, wenn das nicht möglich ist, gilt § 616 S. 1 BGB (und meistens wird das möglich sein). Hier kommt es - wesentlicher Punkt - auch auf das Arbeitszeitmodell an. Zur von dir angesprochenen Gleitzeit: Innerhalb der Gleitspannen greift für den AN § 616 S. 1 BGB NICHT. Es liegt keine Arbeitsverhinderung vor, weil keine Arbeitspflicht besteht – der Arbeitnehmer wäre nur berechtigt zu arbeiten. Durch Gleitzeit ist der AN zur Konkretisierung der Arbeitszeit ermächtigt. Wenn er innerhalb der Gleitspannen nicht arbeitet, dann konkretisiert er die Zeit eben so, dass er zum Zeitpunkt des Arztbesuches nicht arbeitet. Also tritt auch keine

Unmöglichkeit

nach § 275 I BGB ein. § 616 S. 1 BGB ist deswegen nicht anwendbar (vgl. dazu LAG Köln, Urteil vom 10.02.

199

3 - 8 Sa 894/92). Anders sieht es wiederum aus, wenn der Arztbesuch in die sog. Kernarbeitszeit fällt. Denn zu diesen Zeiten muss der AN arbeiten. Ein Arztbesuch führt zu

Unmöglichkeit

, § 275 I BGB, und § 616 S. 1 BGB ist als Ansprucherhaltungsnorm anwendbar. Aber auch hier gilt wieder: Vorrangig hat der AN zu versuchen, den Arztbesuch außerhalb der Kernzeiten zu legen. Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias


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