§ 616 BGB
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A ist in Bs Betrieb beschäftigt. Aufgrund einer staatlichen Impfempfehlung möchte sich A gegen das Corona-Virus impfen lassen. Da der Arzt lediglich Dienstagvormittag eine Impfsprechstunde anbietet, erscheint A an diesem Vormittag nicht zur Arbeit. B teilt A mit, dass er den Lohn entsprechend kürzen wird.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
§ 616 BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der eigentlich nach § 326 Abs.1 S.1 BGB untergangene Lohnanspruch besteht trotz unterbliebener Arbeitsleistung fort, da sich B im Annahmeverzug befindet (§ 615 S.1 BGB).
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Lohnanspruch besteht fort, wenn der Arbeitnehmer durch einen in seiner Person liegenden Grund vorübergehend an der Arbeitsleistung gehindert wird (§ 616 S.1 BGB).
Genau, so ist das!
3. A hat keinen Anspruch auf Lohnzahlung nach §§ 611a Abs.2 iVm. 616 S.1 BGB, da sie ihre Arzttermine stets außerhalb ihrer Arbeitszeit wahrnehmen muss.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philippe
27.8.2022, 18:17:51
Das ist m.E. verkürzt. Die Empfehlung richtet sich an die Allgemeinheit und nicht an eine bestimmte Person. Mithin begründet sich die Wahrnehmung des Impftermins auch nicht aus persönlichem Eigenschaften bzw. Gründen.
kimboslice
4.9.2022, 07:22:07
Kommt es nicht darauf an, dass es ihr persönlicher Arzttermin ist, den sie aufgrund der durch die Empfehlung belegte medizinischen Notwendigkeit wahrnehmen darf?
Nora Mommsen
4.9.2022, 12:40:38
Hallo Philippe, danke kimboslice für die Erklärung. Der persönliche Grund muss nicht notwendigerweise nur für sie alleine gelten und nicht für irgendjemand sonst. So ist z.B. eine Beerdigung einer nahestehenden Person auch ein Verhinderungsgrund im Sinne der Norm, der gleichermaßen unbestimmt viele andere Menschen betrifft. A hat einen Impftermin erhalten hat, weil die Empfehlung auf sie zutrifft. Das dies auch für andere Menschen der Fall ist, ist kein Ausschlussgrund. Der Impftermin, der zu keinem anderen Zeitpunkt möglich ist stellt einen persönlichen Verhinderungsgrund der A dar. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
IsiRider
28.10.2022, 17:34:50
Ich sehe in der Impfempfehlung keine medizinische Notwendigkeit. Vielleicht müsste da der Sachverhalt mehr hergeben.
Lukas_Mengestu
2.2.2023, 11:05:56
Hallo Isirider, der Besuch eines Arztes kann aus zwei Gründen ein persönlicher Hinderungsgrund sein. Zum einen, weil er aus medizinischen Gründen genau zu einem bestimmten Zeitpunkt erforderlich ist (zB Blutabnahme auf nüchternen Magen, das kann also schwer im Anschluss an die Arbeit erfolgen) oder ein Termin bei dem Arzt nicht außerhalb der Dienstzeit zu bekommen ist. Die Arbeitnehmerin muss sich dabei auch nicht auf einen anderen Arzt verweisen lassen. Die freie Arztwahl genießt in diesem Fall Vorrang (MüKoBGB/Henssler, 9. Aufl. 2023, BGB § 616 Rn. 24). Im vorliegenden Fall besteht im Hinblick auf die Impfempfehlung eine hinreichende medizinische Indikation für den Impftermin. Da sie aber nur einen Termin während der Arbeitszeit erhalten kann, liegt ein persönlicher Hinderungsgrund vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Matschegenga
20.3.2024, 11:39:35
Mit seinem sturen Beharren auf das Erbringen der Arbeitsleistung untergräbt B unsere nationalen Impfanstrengungen und gefährdet unser Leben.
Moltisanti
18.5.2024, 02:38:59
In 2024 sowas zu schreiben..
CR7
12.6.2024, 10:37:23
Kurz in der Zeit stecken geblieben :D
Amastris
2.11.2024, 09:12:11
Der Arbeitnehmer hat einen Lohnfortzahlungsanspruch wenn er wie im Beispiel zum Arzt während der Arbeitszeit geht. Bedeutet das, er bekommt den vollen Lohn als wäre er da gewesen oder wie muss ich das verstehen? In der Praxis kenne ich es, dass man sich eben Urlaub nimmt oder mit Überstunden z.B. aus Gleitzeit verrechnet. Mich würde es jetzt wundern, wenn das der Arbeitgeber zahlen müsste. Oder richtet sich das nach der Dauer? Schließlich steht im Gesetz "nicht erhebliche" Zeit. Wo liegt hierbei aber dann die Grenze?
Tobias Krapp
10.11.2024, 00:23:07
Hallo @[Amastris](212484), genau das heißt das in der
Tat! Die Arbeitsleistung des AN ist
absolute Fixschuld, dementsprechend erlischt nach § 275 I BGB die Leistungspflicht. Die des AG würde nach § 326 I S. 1 BGB eigentlich auch erlöschen ("Ohne Arbeit keinen Lohn"), es sei denn es greift eine Anspruchserhaltungsnorm. § 616 S. 1 BGB ist eine solche Norm. Der AN bekommt also seinen Lohn und muss die Arbeitszeit nicht nachholen. Für deine Erfahrungen in der Praxis aber noch zwei Punkte hierzu: Erstens wird § 616 S. 1 BGB vielfach durch tarifrechtliche Vorschriften überlagert bzw. konkretisiert, und daraus können sich starke Einschränkungen für den Fall des Arztbesuchs ergeben. Zweitens muss der AN, wie in der Aufgabe schon dargestellt, Arzttermine möglichst außerhalb der Dienstzeit legen. Nur, wenn das nicht möglich ist, gilt § 616 S. 1 BGB (und meistens wird das möglich sein). Hier kommt es - wesentlicher Punkt - auch auf das Arbeitszeitmodell an. Zur von dir angesprochenen Gleitzeit: Innerhalb der Gleitspannen greift für den AN § 616 S. 1 BGB NICHT. Es liegt keine Arbeitsverhinderung vor, weil keine Arbeitspflicht besteht – der Arbeitnehmer wäre nur berechtigt zu arbeiten. Durch Gleitzeit ist der AN zur Konkretisierung der Arbeitszeit ermächtigt. Wenn er innerhalb der Gleitspannen nicht arbeitet, dann konkretisiert er die Zeit eben so, dass er zum Zeitpunkt des Arztbesuches nicht arbeitet. Also tritt auch keine
Unmöglichkeitnach § 275 I BGB ein. § 616 S. 1 BGB ist deswegen nicht anwendbar (vgl. dazu LAG Köln, Urteil vom 10.02.
1993 - 8 Sa 894/92). Anders sieht es wiederum aus, wenn der Arztbesuch in die sog. Kernarbeitszeit fällt. Denn zu diesen Zeiten muss der AN arbeiten. Ein Arztbesuch führt zu
Unmöglichkeit, § 275 I BGB, und § 616 S. 1 BGB ist als Ansprucherhaltungsnorm anwendbar. Aber auch hier gilt wieder: Vorrangig hat der AN zu versuchen, den Arztbesuch außerhalb der Kernzeiten zu legen. Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias