+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
Im Streit stopft T dem O mit Tötungsvorsatz einige Hände voll Sand in den Mund. T hält den bewusstlosen O für tot. Tatsächlich lebt O noch und ertrinkt in der Jauchegrube, in der T – wie von vornherein geplant – die vermeintliche Leiche versenkt.
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Einordnung des Falls
Obwohl der Jauchegruben-Fall bereits vor über 60 Jahren vom BGH entschieden wurde, zählt er noch heute zu den absolut examensrelevanten Strafrechts-Klassikern. Zu entscheiden hatte der BGH, inwieweit sich ein Täter strafbar macht, der glaubt, sein Opfer bereits durch eine Ersthandlung (z.B. Ersticken) getötet zu haben, wenn das Opfer tatsächlich erst durch eine sich daran anschließende Zweithandlung (z.B. Wurf in eine Jauchegrube) stirbt. Die zentrale Problematik liegt darin, dass der Vorsatz jeweils zum Zeitpunkt der Tathandlung vorliegen muss (§§ 8, 16 StGB). Hieran fehlte es bei der Zweithandlung. Indem der BGH den Tod durch die Zweithandlung aber lediglich als unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf der Ersthandlung wertet, kommt er im Ergebnis dennoch zu einer Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Tötung.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. War für den Tod des O (neben dem Versenken in der Jauchegrube) auch der Vorgang, bei dem T dem O Sand in den Mund gestopft hat, kausal?
Genau, so ist das!
Rspr und hL bestimmen die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio sine qua non Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.BGH: T hätte O nicht in der Grube versenkt, wenn er ihn nicht vorher mit Sand vollgestopft hätte, sodass O regungslos dalag und von T für tot gehalten wurde. Zu diesem Vorgang, der den Tod unmittelbar bewirkte, wäre es ohne die frühere Handlung nicht gekommen. Auch diese sei daher Ursache des Todes.
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2. Hatte T Tötungsvorsatz, als er O Sand in den Mund stopfte? Hat er dadurch zudem (mittelbar) den Tod des O verursacht und sich strafbar gemacht nach § 212 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
Der BGH konnte für den Totschlag nicht an das Versenken in der Jauchegrube anknüpfen (dabei hatte T keinen Tötungsvorsatz). Stattdessen knüpft er an das Vorgeschehen an, in dem T dem O Sand in den Mund stopfte und ihn so bewusstlos machte. Dass der Tod nicht dadurch, sondern erst durch das Versenken in der Jauchegrube eintrat, sei laut BGH eine unwesentliche
Abweichung vom Kausalverlauf, die nicht zu einem vorsatzausschließenden Irrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) führe.
3. Lassen Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf automatisch den Vorsatz entfallen?
Nein!
Der Vorsatz des Täters (§ 16 StGB) muss sich auf alle Elemente des objektiven Tatbestands beziehen, d.h. auch auf den Kausalverlauf. Da der Kausalverlauf vom Täter aber nie in allen Einzelheiten vorausgesehen werden kann, schließen Abweichungen des tatsächlichen Kausalverlaufs vom vorgestellten Kausalverlauf den Vorsatz nicht automatisch aus. Für den Vorsatz unbeachtlich sind solche Abweichungen, die sich noch innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen.
4. Stellt es eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf dar, dass O erst durch das Versenken in der Jauchegrube gestorben ist?
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine wesentliche Abweichung im Kausalverlauf liegt dann vor, wenn sie sich nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält.BGH: Die irrtümliche Annahme einer bereits erfolgten Tötung und die sich daran anschließende Beseitigungshandlung würden sich noch im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren bewegen und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen. Das Maß, in dem der wirkliche Ursachenablauf von der Vorstellung des T abwich, sei nur gering und rechtlich bedeutungslos. T habe O mit bedingtem Tötungsvorsatz getötet (§ 212 StGB).Die Rspr. prüft den atypischen Kausalverlauf im subjektiven Tatbestand, während ihn die hL im Rahmen der objektiven Zurechnung anspricht.
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