Fraport-Urteil (BVerfG, 22.02.2011): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Fraport-Urteil (BVerfG, 22.02.2011): Ein Demonstrant erhält Hausverbot von der Fraport-AG, die zu 70% im Eigentum der öffentlichen Hand liegt.

A plant eine Demo gegen Abschiebungen im Flughafen der F-AG (F), welche zu 70 % im Eigentum der öffentlichen Hand und zu 30 % in privatem Eigentum liegt. F ist dagegen und erteilt A ein Hausverbot.

Einordnung des Falls

In dieser Entscheidung begründet das BVerfG die unmittelbare Grundrechtsbindung von juristischen Personen des Privatrechts, die zu mehr als 50 % vom Staat beherrscht werden. Kernaussage: „Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Fällt die von A geplante Demonstration bereits aus dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit heraus, da sie nicht die Anforderungen des Versammlungsbegriffs erfüllt?

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem Versammlungsbegriff ist eine Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zu einem gemeinsamen Zweck. Der gemeinsame Zweck der Versammlung muss nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG in der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung liegen. As geplante Demonstration gegen Abschiebungen soll im Flughafen der F-AG stattfinden und ist damit eine örtliche Zusammenkunft. Von der Anwesenheit mehrerer Personen ist auszugehen. Der gemeinsame Zweck liegt in der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung in Bezug auf das Thema Abschiebungen. Eine Versammlung liegt - nach allen Versammlungsbegriffen - vor.

2. Unterliegen im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung?

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Ja!

Art. 1 Abs. 3 GG normiert eine umfassende und lückenlose Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt. Sie gilt unabhängig von den wahrgenommenen Aufgaben oder Zwecken und unabhängig von der Organisations- oder Handlungsform, die der Staat für seine Aufgabenwahrnehmung wählt. Insbesondere kann der Staat sich seiner Grundrechtsbindung nicht durch eine „Flucht ins Privatrecht“ entziehen. Deshalb sind privatrechtlich organisierte Unternehmen, die im Alleineigentum des Staates stehen, stets grundrechtsverpflichtet (RdNr. 47, 50). Diese Frage galt auch schon vor der Fraport-Entscheidung als geklärt.

3. Kann A sich gegenüber F unmittelbar auf die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG berufen?

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Genau, so ist das!

Wird ein Unternehmen in Privatrechtsform von der öffentlichen Hand beherrscht, also steht mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand, ist das Unternehmen ebenfalls unmittelbar an die Grundrechte gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG). 70 % der Anteile der F gehören dem Staat. Sie ist somit ein von der öffentlichen Hand beherrschtes Unternehmen und an unmittelbar Grundrechte gebunden.

4. Unterliegen von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung?

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Ja, in der Tat!

Wird ein Unternehmen in Privatrechtsform von der öffentlichen Hand beherrscht, also steht mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand, ist das Unternehmen ebenfalls unmittelbar an die Grundrechte gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG). Dass die übrigen Anteile Privaten gehören, ist unerheblich. Denn auch bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen kann die Grundrechtsbindung nur einheitlich beantwortet werden; sie kann nicht quotenweise oder durch Geltendmachung von Einwirkungsrechten realisiert werden. Es ist ausreichend, dass öffentliche Träger zwar nicht einzeln, aber gemeinsam die Mehrheit der Anteile am Unternehmen halten (RdNr. 51ff.). Die Fraport-Entscheidung beinhaltete in dieser Hinsicht eine wichtige verfassungsrechtliche Klarstellung dieser davor umstrittenen Frage.

5. Muss die F-AG grundrechtsverpflichtet sein, damit A sich gegenüber der F-AG auf die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) berufen kann, muss die F-AG grundrechtsverpflichtet sein?

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Ja!

Grundrechte sind primär Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat und gelten nicht - jedenfalls nicht unmittelbar - zwischen Privaten. Die Grundrechte binden gemäß Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Grundrechtsverpflichtet ist damit alle staatliche Gewalt. Zur Frage der Grundrechtsverpflichtung einer handelnden Person bzw. eines Unternehmens musst Du in der Klausur nur Stellung beziehen, wenn diese Frage in der Klausur angelegt ist.

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