„Fraport-Urteil“

9. Mai 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Fraport-Urteil (BVerfG, 22.02.2011): Ein Demonstrant erhält Hausverbot von der Fraport-AG, die zu 70% im Eigentum der öffentlichen Hand liegt.

A plant eine Demo gegen Abschiebungen im Flughafen der F-AG (F), welche zu 70 % im Eigentum der öffentlichen Hand und zu 30 % in privatem Eigentum liegt. F ist dagegen und erteilt A ein Hausverbot.

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Einordnung des Falls

In dieser Entscheidung begründet das BVerfG die unmittelbare Grundrechtsbindung von juristischen Personen des Privatrechts, die zu mehr als 50 % vom Staat beherrscht werden. Kernaussage: „Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Fällt die von A geplante Demonstration bereits aus dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit heraus, da sie nicht die Anforderungen des Versammlungsbegriffs erfüllt?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem Versammlungsbegriff ist eine Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zu einem gemeinsamen Zweck. Der gemeinsame Zweck der Versammlung muss nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG in der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung liegen. As geplante Demonstration gegen Abschiebungen soll im Flughafen der F-AG stattfinden und ist damit eine örtliche Zusammenkunft. Von der Anwesenheit mehrerer Personen ist auszugehen. Der gemeinsame Zweck liegt in der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung in Bezug auf das Thema Abschiebungen. Eine Versammlung liegt - nach allen Versammlungsbegriffen - vor.
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2. Unterliegen im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung?

Ja!

Art. 1 Abs. 3 GG normiert eine umfassende und lückenlose Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt. Sie gilt unabhängig von den wahrgenommenen Aufgaben oder Zwecken und unabhängig von der Organisations- oder Handlungsform, die der Staat für seine Aufgabenwahrnehmung wählt. Insbesondere kann der Staat sich seiner Grundrechtsbindung nicht durch eine „Flucht ins Privatrecht“ entziehen. Deshalb sind privatrechtlich organisierte Unternehmen, die im Alleineigentum des Staates stehen, stets grundrechtsverpflichtet (RdNr. 47, 50). Diese Frage galt auch schon vor der Fraport-Entscheidung als geklärt.

3. Kann A sich gegenüber F unmittelbar auf die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG berufen?

Genau, so ist das!

Wird ein Unternehmen in Privatrechtsform von der öffentlichen Hand beherrscht, also steht mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand, ist das Unternehmen ebenfalls unmittelbar an die Grundrechte gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG). 70 % der Anteile der F gehören dem Staat. Sie ist somit ein von der öffentlichen Hand beherrschtes Unternehmen und an unmittelbar Grundrechte gebunden.

4. Unterliegen von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung?

Ja, in der Tat!

Wird ein Unternehmen in Privatrechtsform von der öffentlichen Hand beherrscht, also steht mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand, ist das Unternehmen ebenfalls unmittelbar an die Grundrechte gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG). Dass die übrigen Anteile Privaten gehören, ist unerheblich. Denn auch bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen kann die Grundrechtsbindung nur einheitlich beantwortet werden; sie kann nicht quotenweise oder durch Geltendmachung von Einwirkungsrechten realisiert werden. Es ist ausreichend, dass öffentliche Träger zwar nicht einzeln, aber gemeinsam die Mehrheit der Anteile am Unternehmen halten (RdNr. 51ff.). Die Fraport-Entscheidung beinhaltete in dieser Hinsicht eine wichtige verfassungsrechtliche Klarstellung dieser davor umstrittenen Frage.

5. Muss die F-AG grundrechtsverpflichtet sein, damit A sich gegenüber der F-AG auf die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) berufen kann, muss die F-AG grundrechtsverpflichtet sein?

Ja!

Grundrechte sind primär Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat und gelten nicht - jedenfalls nicht unmittelbar - zwischen Privaten. Die Grundrechte binden gemäß Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Grundrechtsverpflichtet ist damit alle staatliche Gewalt. Zur Frage der Grundrechtsverpflichtung einer handelnden Person bzw. eines Unternehmens musst Du in der Klausur nur Stellung beziehen, wenn diese Frage in der Klausur angelegt ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Larissa3

Larissa3

29.10.2022, 16:54:54

Wie ist es, wenn weniger als die Hälfte in der öffentlichen Hand liegt? Würde man dann auf die

mittelbare Drittwirkung

abstellen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.11.2022, 13:52:37

Hallo Larissa3, die

mittelbare Drittwirkung

bezeichnet die Konstellation, dass Zivilgerichte bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, den sogenannten "Einfallstoren für die Grundrechte" ebendiese auch bei der Beurteilung der Rechtsverhältnisse zwischen zwei Privaten nicht grundrechtsverpflichteten beachten müssen. Würde ein Zivilgericht entscheiden, wäre dies verpflichett die jeweiligen Grundrechte von A und dann auch F in Form des Art. 12 I GG zu beachten. Auf diesen kann sich F als nicht Grundrechtsverpflichtete nämlich dann berufen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

AS

as.mzkw

12.10.2024, 22:36:50

Bringe ich das Problem im Rahmen einer VB bereits unter dem Punkt „

Beschwer

degegenstand“?

BLAC

Blackiel

27.10.2024, 09:39:55

Hallo @[as.mzkw](244917), das ist eine gute Nachfrage!

Beschwer

degegenstand einer VB ist jeder Akt der öffentlichen Gewalt, also Judikative, Exekutive und Legislative. Das Hausverbot müsste also ein

hoheitlich

es Handeln darstellen. Zwar ist der Flughafen zum überwiegenden Anteil im Eigentum des Staates, der Flughafen selbst ist jedoch privatisiert und nimmt keine

hoheitlich

en Aufgaben wahr. Folglich ist das Hausverbot mE kein tauglicher

Beschwer

degegenstand. Anders wäre dies, wenn der Kläger gegen ein letztinstanzliches Urteil oder gegen ein Gesetz vorgeht. Zum Prüfungsstandort: Ich würde es in der Begründetheit bei der Eröffnung des Schutzbereiches ansprechen. Dort muss erstmals klar gestellt werden, dass Grundrechte Abwehrrechte sind und nur unmittelbar gegenüber dem Staat Anwendung finden. Gegenüber Dritten wirken sie mittelbar. LG


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