Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2020

Pflichtlektüre vorm Examen: EC-Karten-Fälle. Strafbarkeit bei Zahlung im NFC-Verfahren

Pflichtlektüre vorm Examen: EC-Karten-Fälle. Strafbarkeit bei Zahlung im NFC-Verfahren

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A zahlt kontaktlos an der Kasse.

A findet die EC-Karte des B von der S-Bank. Im Supermarkt tätigt er einen Einkauf in Höhe von €20, da er weiß, dass für Beträge unter €30 mit der S-EC-Karte das NFC-Verfahren genutzt wird und weder ein PIN eingegeben noch unterschrieben werden muss. Die Karte muss lediglich vorgehalten werden.

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Einordnung des Falls

In der sehr examens- und klausurrelevanten Konstellation der EC-Karten-Fälle hatte der Täter mit einer EC-Karte eines anderen kontaktlos ohne PIN-gezahlt (NFC-Verfahren). Neben Betrug und Urkundenunterdrücken ist hier auch an den Computerbetrug und den Scheck- und Kreditkartenmissbrauch zu denken. In dieser Fallkonstellation kannst Du besonders durch klar strukturiertes Vorgehen punkten.

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer 2021
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2021
Examenstreffer NRW 2021
Examenstreffer Sachsen 2023
Examenstreffer Bayern 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Setzt der Betrug voraus, dass ein anderer aufgrund eines durch Täuschung des Täters bedingten Irrtums eine Vermögensverfügung vornimmt, die zu einem Vermögensschaden führt (§ 263 Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

Der Betrug setzt (1) eine Täuschung, (2) einen Irrtum, (3) eine Vermögensverfügung und (4) einen Vermögensschaden voraus. Zwischen allen Merkmalen muss Kausalität bestehen, das heißt, die Täuschung muss ursächlich für den Irrtum sein, dieser wiederum ursächlich für die Vermögensverfügung und dieser ursächlich für den Schaden. Täuschung meint die ausdrückliche oder konkludente intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel, einen Irrtum hervorzurufen. Ein Irrtum ist die Fehlvorstellung über Tatsachen.
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2. Hat A durch Verwenden der EC-Karte das Kassenpersonal konkludent darüber getäuscht, dass er zur Nutzung berechtigt ist und einen dementsprechenden Irrtum erregt?

Nein!

Ein Irrtum kann auch in Form sachgedanklichen Mitbewusstseins vorliegen, wenn der Adressat das Vorliegen bestimmter Umstände als selbstverständlich ansieht. OLG: Vorliegend könne weder von einer konkludenten Täuschung über die Berechtigung noch von einem Irrtum in Form sachgedanklichen Mitbewusstseins ausgegangen werden, da die Berechtigung im NFC-Verfahren für den Händler keine rechtliche Bedeutung habe, denn in diesem Verfahren erfolge die Zahlung durch die Bank im „POS“ (Point of Sale) garantiert ohne Berechtigungsnachweis und der Händler erlange unmittelbar eine einredefreie Forderung gegen die Bank (RdNr. 23 ff.).

3. Kann der Tatbestand des Computerbetrugs durch unbefugtes Verwenden von Daten erfüllt werden (§ 263a StGB)?

Genau, so ist das!

Das unbefugte Verwenden von Daten ist die 3. Tatvariante des Computerbetrugs. Die unbefugte Datenverwendung im Computerbetrug setzt das unbefugte Einführen von richtigen Daten in den Datenverarbeitungsprozess voraus. Die Auslegung des Merkmals unbefugt ist umstritten. Nach h.M. ist das Merkmal betrugsspezifisch auszulegen, sodass zu prüfen ist, ob ein anstelle des Computers eingesetzter Mensch mit dem gleichen Prüfungsumfang des Computers durch das Einführen getäuscht worden wäre.

4. Hat A durch den Einsatz der EC-Karte unbefugt Daten verwendet und dadurch das Vermögen eines anderen beschädigt (§ 263a Abs. 1 StGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der betrugsspezifischen Auslegung wäre zu prüfen, ob ein anstelle des EC-Geräts eingesetzter Mensch, der die gleichen Tatsachen überprüft, wie das Gerät, getäuscht worden wäre. OLG: Dies war hier abzulehnen, da der Computer (also hier das EC-Gerät) im NFC-Verfahren nicht die Berechtigung prüfe, sondern nur, ob die Karte in keine Sperrdatei eingetragen ist, der Verfügungsrahmen nicht überschritten wird und ob die Voraussetzungen für das Absehen von der PIN-Abfrage vorliegen (RdNr. 36). Letztere liegen in der Regel bei geringen Beträgen vor, sodass die EC-Karte nur vorgehalten werden muss.

5. Wird wegen Urkundenunterdrückung bestraft, wer beweiserhebliche Daten, über die er nicht verfügen darf, in der Absicht einem anderen einen Nachteil zuzufügen löscht bzw. verändert (§ 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?

Ja!

Die Urkundenunterdrückung durch unberechtigte Löschung oder Veränderung beweiserheblicher Daten erfordert zunächst das Vorliegen solcher. Gemeint sind Daten, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden (§ 202a Abs. 2 StGB). Gelöscht werden diese, wenn sie endgültig unkenntlich gemacht werden und verändert werden sie, indem sie inhaltlich umgestaltet werden.

6. Hat A durch den Einsatz der Karte beweiserhebliche Daten, über die er nicht verfügen durfte, in der Absicht einem anderen einen Nachteil zuzufügen gelöscht bzw. verändert (§ 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?

Genau, so ist das!

Die auf der EC-Karte gespeicherten Daten über die Höhe des Verfügungsrahmens und die Umstände der letzten Zahlungen stellen beweiserhebliche Daten dar. OLG: Die Daten seien beweiserheblich, da sie für die Autorisierung von Bezahlvorgängen relevant sind. Durch die Verwendung im NFC-Verfahren habe der A jedenfalls dafür gesorgt, dass die Daten durch neue Daten überschrieben und dadurch verändert bzw. gelöscht werden (RdNr. 55ff.). A handelte auch vorsätzlich und mit Nachteilszufügungsabsicht, da er wusste, dass er keine PIN eingeben muss und dies bewusst ausnutzte, um die Waren zu erlangen, ohne selbst dafür zu zahlen.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du den <b>Tatbestand</b> des Computerbetrugs (§ 263a Abs. 1 StGB)?

  1. Objektiver Tatbestand
    1. Tathandlung
      1. Unrichtige Programmgestaltung
      2. Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten
      3. Unbefugte Verwendung von Daten
      4. Unbefugte Einwirkung auf den Ablauf
    2. Beeinflussung des Ergebnisses eines Datenverarbeitungsvorgangs (Zwischenerfolg)
    3. Vermögensschaden
  2. Subjektiver Tatbestand
    1. Vorsatz
    2. Absicht, sich oder einen Dritten rechtswidrig zu bereichern

Wie prüfst Du den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB)?

  1. Täuschung über Tatsachen
  2. Irrtum (kausal durch Täuschung)
  3. Vermögensverfügung (kausal durch Irrtum)
  4. Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung (kausal durch Vermögensverfügung)
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MI

Mirko

3.12.2020, 15:09:50

Wer nicht weiß, wie das NFC-Verfahren im Zahlvorgang in den einzelnen Schritten funktioniert, ist bei der Hälfte der Fragen aufgeschmissen.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

6.12.2020, 18:48:36

Hey Mirko, welche Info fehlt dir denn im Sachverhalt?

GI

GingerCharme

17.12.2020, 15:57:46

Ich glaube was gemeint war, oder womit ich zumindest auch meine Probleme hatte, ist die aller letzte Frage. Im Nachhinein erscheint es zwar logisch, dass im NFC-Verfahren eine Überschreibung der alten Daten durch neue geschieht, bei jeder Nutzung der Karte - wenn man diese Tatsache jedoch nicht vor Augen hat bzw. gar nicht weiß, dann neigt man dazu streng zu subsumieren unter die Definition die man bei der Antwort zuvor las und dann werden mMn theoretisch, weder Daten gelöscht, noch verändert. Denke aber die Fragen sind richtig gestellt: a) erhöht das den Merkeffekt und b) ist das ja denke ich gerade der Twist, würde dieser vorweggenommen wäre die Frage sehr viel gehaltloser.

Odai Turky

Odai Turky

5.9.2024, 15:55:43

NUEOENKSPWKWKWJEOWJ

lucylawless

lucylawless

11.3.2021, 16:02:00

Kam heute im Zweiten in Berlin ✌️

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.3.2021, 16:21:28

Super, danke für den Hinweis! 👍

lucylawless

lucylawless

11.3.2021, 17:40:49

Danke euch, ich wäre sonst im Leben nicht auf die Idee gekommen,

Urkundenunterdrückung

zu prüfen 🙃

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.3.2021, 17:43:58

Das freut uns natürlich besonders 😊

-T

- tsch

29.9.2021, 14:22:06

Hallo:) ich dachte das Vorhalten der Karte ohne Pineingabe wäre gerade kein Vorgang des garantieren Zahlungsverkehrs, weil die Überweisung ‚platzen‘ kann. Erst durch die Eingabe des PINs garantiert die Bank, dass die Deckung erfolgt - ist das im NFC Verfahren anders (ich weiß nicht wirklich, was das ist)? :D und ich hatte im Rep gelernt, dass eine fehlende Berechtigung nach der betrugsspezifischen Ansicht bestehen würde, wenn die Karte jedenfalls manipuliert, gefälscht oder durch

verbotene Eigenmacht

erlangt worden ist - ist das eine von der Rspr abweichende Meinung oder wie kann man das einordnen? Viele Dank für die Fallaufarbeitung und liebe Grüße :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.10.2021, 18:06:53

Hallo tschali, im Kern handelt es sich hierbei in all diesen Fällen um verschiedenen Formen von Lastschriftverfahren, bei denen der Händler berechtigt wird von Deinem Konto den entsprechenden Betrag einzuziehen. Man unterscheidet u.a. zwischen dem sogenannten Point-of-Sales Verfahren (POS), bei dem sich der Kartenaussteller gegenüber dem Händler verpflichtet den Rechnungsbtrag zu begleichen, und dem elektronischen Lastschriftverfahren (ELV), bei dem eine solche Garantie gerade nicht abgegeben wurde. Wenn Du im Supermarkt mit der EC-Karte bezahlst, kannst Du den Unterschied selbst erleben. Hast Du einen PIN eingegeben, so galt die Garantie des Kartenausstellers. Hast Du dagegen lediglich unterschrieben, so besteht keine Garantie seitens des Instituts und die Lastschrift kann platzen. Durch die technische Entwicklung bieten viele Banken und andere Anbieter (google/apple pay...) nun zudem die Möglichkeit des kontaktlosen Zahlens an. Dies funktioniert über die sog. NFC-Funktion (near field communication) der Smartphones. Obwohl hier keine PIN abgefragt wird, geben die Anbieter dennoch eine Einlösungsgarantie, weswegen das kontaktlose Zahlen dem POS-System zuzuordnen ist. Allerdings ist die Möglichkeit des kontaktlosen Zahlen auf ein bestimmtes Limit begrenzt. Kann es sein, dass sich Deine zweite Frage auf die Verwendung der EC Karte am Geldautomaten bezieht und auf die Frage, ob das Abheben mit einer gefälschten Karte eine "unbefugte" Datenverwendung iSv § 263a Abs. 1 StGB darstellt? Denn insoweit hat der BGH genau den Maßstab verwendet, den Du hier skizziert hast (vgl. BGHSt 38, 120 bzw. BGHSt 47, 160). Beim Geldabheben wird die Berechtigung aber durch die PIN-Abfrage überprüft. Insoweit unterscheiden sich die Fälle von dem kontaktlosen Bezahlen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

KATE

Kate

27.11.2021, 10:28:52

Kam gestern als erster Tatkomplex im 1. Staatsexamen NRW.

I-m-possible

I-m-possible

23.7.2022, 18:29:10

Die

Nachteilszufügungsabsicht

scheint hier m.E nach nicht überzeugend. A kommt es in erster Linie nur auf die Erlangung der Waren an. Dass dem B ein Nachteil dadurch zugefügt wird ist letztlich ein unvermeidbar und notwendiges Übel.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.8.2022, 11:09:50

Hallo I-m-possible, tatsächlich herrscht um die Definition und Anforderungen an die Nachteilszufügungs"absicht" einiger Streit. BGH und herrschende Meinung sehen es folgendermaßen: Die in den Fällen des § 274 Abs. 1 Nr. 1 - 3 StGB erforderliche

Nachteilszufügungsabsicht

beinhaltet das Bewusstsein des Täters, dass der Nachteil die notwendige Konsequenz seines Handelns darstellt. Dies ist vorliegend der Fall. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Marceli

Marceli

6.10.2022, 16:17:13

Wäre hier auch § 246 StGB anzuprüfen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2022, 11:04:07

Hallo Marceli, im Hinblick auf das Behalten der EC-Karte wäre in der Tat die Unterschlagung zu prüfen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LI

lin

7.10.2022, 00:34:33

Wäre es ein versuchter Betrug wenn A dachte sie muss einen PIN eingeben, also nichts von dem Verfahren bis dahin wusste?

Kätter

4.1.2023, 13:46:16

Fände eine Antwort gut :)

AN

AnkaZ

15.3.2023, 06:03:40

Kam vorgestern im 1. Examen in Bayern dran!

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.3.2023, 16:41:05

Hallo AnkaZ, danke für die Info. Haben wir direkt getaggt :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

LEO

Leonie

16.6.2024, 19:31:20

kam auch im September 2023 in Baden-Württemberg dran :)


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