Pflichtlektüre vorm Examen: EC-Karten-Fälle. Strafbarkeit bei Zahlung im NFC-Verfahren - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A zahlt kontaktlos an der Kasse.

A findet die EC-Karte des B von der S-Bank. Im Supermarkt tätigt er einen Einkauf in Höhe von €20, da er weiß, dass für Beträge unter €30 mit der S-EC-Karte das NFC-Verfahren genutzt wird und weder ein PIN eingegeben noch unterschrieben werden muss. Die Karte muss lediglich vorgehalten werden.

Einordnung des Falls

In der sehr examens- und klausurrelevanten Konstellation der EC-Karten-Fälle hatte der Täter mit einer EC-Karte eines anderen kontaktlos ohne PIN-gezahlt (NFC-Verfahren). Neben Betrug und Urkundenunterdrücken ist hier auch an den Computerbetrug und den Scheck- und Kreditkartenmissbrauch zu denken. In dieser Fallkonstellation kannst Du besonders durch klar strukturiertes Vorgehen punkten.

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer 2021
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2021
Examenstreffer NRW 2021
Examenstreffer Bayern 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Setzt der Betrug voraus, dass ein anderer aufgrund eines durch Täuschung des Täters bedingten Irrtums eine Vermögensverfügung vornimmt, die zu einem Vermögensschaden führt (§ 263 Abs. 1 StGB)?

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Ja, in der Tat!

Der Betrug setzt (1) eine Täuschung, (2) einen Irrtum, (3) eine Vermögensverfügung und (4) einen Vermögensschaden voraus. Zwischen allen Merkmalen muss Kausalität bestehen, das heißt, die Täuschung muss ursächlich für den Irrtum sein, dieser wiederum ursächlich für die Vermögensverfügung und dieser ursächlich für den Schaden. Täuschung meint die ausdrückliche oder konkludente intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel, einen Irrtum hervorzurufen. Ein Irrtum ist die Fehlvorstellung über Tatsachen.

2. Hat A durch Verwenden der EC-Karte das Kassenpersonal konkludent darüber getäuscht, dass er zur Nutzung berechtigt ist und einen dementsprechenden Irrtum erregt?

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Nein!

Ein Irrtum kann auch in Form sachgedanklichen Mitbewusstseins vorliegen, wenn der Adressat das Vorliegen bestimmter Umstände als selbstverständlich ansieht. OLG: Vorliegend könne weder von einer konkludenten Täuschung über die Berechtigung noch von einem Irrtum in Form sachgedanklichen Mitbewusstseins ausgegangen werden, da die Berechtigung im NFC-Verfahren für den Händler keine rechtliche Bedeutung habe, denn in diesem Verfahren erfolge die Zahlung durch die Bank im „POS“ (Point of Sale) garantiert ohne Berechtigungsnachweis und der Händler erlange unmittelbar eine einredefreie Forderung gegen die Bank (RdNr. 23 ff.).

3. Kann der Tatbestand des Computerbetrugs durch unbefugtes Verwenden von Daten erfüllt werden (§ 263a StGB)?

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Genau, so ist das!

Das unbefugte Verwenden von Daten ist die 3. Tatvariante des Computerbetrugs. Die unbefugte Datenverwendung im Computerbetrug setzt das unbefugte Einführen von richtigen Daten in den Datenverarbeitungsprozess voraus. Die Auslegung des Merkmals unbefugt ist umstritten. Nach h.M. ist das Merkmal betrugsspezifisch auszulegen, sodass zu prüfen ist, ob ein anstelle des Computers eingesetzter Mensch mit dem gleichen Prüfungsumfang des Computers durch das Einführen getäuscht worden wäre.

4. Hat A durch den Einsatz der EC-Karte unbefugt Daten verwendet und dadurch das Vermögen eines anderen beschädigt (§ 263a Abs. 1 StGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach der betrugsspezifischen Auslegung wäre zu prüfen, ob ein anstelle des EC-Geräts eingesetzter Mensch, der die gleichen Tatsachen überprüft, wie das Gerät, getäuscht worden wäre. OLG: Dies war hier abzulehnen, da der Computer (also hier das EC-Gerät) im NFC-Verfahren nicht die Berechtigung prüfe, sondern nur, ob die Karte in keine Sperrdatei eingetragen ist, der Verfügungsrahmen nicht überschritten wird und ob die Voraussetzungen für das Absehen von der PIN-Abfrage vorliegen (RdNr. 36). Letztere liegen in der Regel bei geringen Beträgen vor, sodass die EC-Karte nur vorgehalten werden muss.

5. Wird wegen Urkundenunterdrückung bestraft, wer beweiserhebliche Daten, über die er nicht verfügen darf, in der Absicht einem anderen einen Nachteil zuzufügen löscht bzw. verändert (§ 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?

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Ja!

Die Urkundenunterdrückung durch unberechtigte Löschung oder Veränderung beweiserheblicher Daten erfordert zunächst das Vorliegen solcher. Gemeint sind Daten, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden (§ 202a Abs. 2 StGB). Gelöscht werden diese, wenn sie endgültig unkenntlich gemacht werden und verändert werden sie, indem sie inhaltlich umgestaltet werden.

6. Hat A durch den Einsatz der Karte beweiserhebliche Daten, über die er nicht verfügen durfte, in der Absicht einem anderen einen Nachteil zuzufügen gelöscht bzw. verändert (§ 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?

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Genau, so ist das!

Die auf der EC-Karte gespeicherten Daten über die Höhe des Verfügungsrahmens und die Umstände der letzten Zahlungen stellen beweiserhebliche Daten dar. OLG: Die Daten seien beweiserheblich, da sie für die Autorisierung von Bezahlvorgängen relevant sind. Durch die Verwendung im NFC-Verfahren habe der A jedenfalls dafür gesorgt, dass die Daten durch neue Daten überschrieben und dadurch verändert bzw. gelöscht werden (RdNr. 55ff.). A handelte auch vorsätzlich und mit Nachteilszufügungsabsicht, da er wusste, dass er keine PIN eingeben muss und dies bewusst ausnutzte, um die Waren zu erlangen, ohne selbst dafür zu zahlen.

Prüfungsschema

Wie prüfst Du den <b>Tatbestand</b> des Computerbetrugs (§ 263a Abs. 1 StGB)?

  1. Objektiver Tatbestand
    1. Tathandlung
      1. Unrichtige Programmgestaltung
      2. Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten
      3. Unbefugte Verwendung von Daten
      4. Unbefugte Einwirkung auf den Ablauf
    2. Beeinflussung des Ergebnisses eines Datenverarbeitungsvorgangs (Zwischenerfolg)
    3. Vermögensschaden
  2. Subjektiver Tatbestand
    1. Vorsatz
    2. Absicht, sich oder einen Dritten rechtswidrig zu bereichern

Wie prüfst Du den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB)?

  1. Täuschung über Tatsachen
  2. Irrtum (kausal durch Täuschung)
  3. Vermögensverfügung (kausal durch Irrtum)
  4. Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung (kausal durch Vermögensverfügung)

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