Zivilrecht
Bereicherungsrecht
Die Leistungskondiktion
Zweckgerichtet – zur Befreiung einer Verbindlichkeit (solvendi causa)
Zweckgerichtet – zur Befreiung einer Verbindlichkeit (solvendi causa)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K ist 13 und erhält im Monat 50 € Taschengeld. Darüber hinausgehende Ausgaben soll er mit den Eltern absprechen. K schließt mit V einen Kaufvertrag über eine Spielkonsole im Wert von 700 €ohne Einwilligung der Eltern. Das Geld gibt er V sofort. Die Spielekonsole soll K später erhalten.
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Einordnung des Falls
Zweckgerichtet – zur Befreiung einer Verbindlichkeit (solvendi causa)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K und V haben einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen (§ 433 BGB).
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Indem K dem V 700 gegeben hat, hat V "etwas erlangt" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB)
Genau, so ist das!
3. Den Besitz an den 700 € hat V „durch Leistung“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) des K erlangt.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Roxin
12.3.2020, 00:47:27
Wie kann eine Leistung vorliegen, wenn es zur Zweckgerichtetheit einer
TilgungsbestimmungiSd. 366 BGB bedarf, welche zumindest rechtsgeschäftsähnlicher Natur ist, sodass die allgemeinen Vorschriften zu Rechtsgeschäften analog anzuwenden sind. Wäre dann nicht analog 111 BGB die
Tilgungsbestimmungunwirksam?
juliptrs
26.3.2020, 15:42:46
Es ist nur ausnahmsweise eine
Tilgungsbestimmungerforderlich (
Theorie der realen Leistungsbewirkung). Eine
Tilgungsbestimmungwäre auch wirksam, weil die Frage, ob der Minderjährige eine Leistungs- oder
Nichtleistungskondiktionhat, für ihn rechtlich neutral ist.
Roxin
26.3.2020, 16:03:40
Danke für deine Antwort. Die
Theorie der realen Leistungsbewirkungist meines Wissens eine reine Problematik der Erfüllung (362 BGB), die mit der Frage ob eine Leistung iSd. Bereicherungsrechts vorliegt nicht zwingend identisch sein muss. Sofern ich die Norm richtig verstehe, kommt es bei einseifen Willenserklärungen des Minderjährigen gem. 111 BGB auf die rechtliche Nachteilhaftigkeit gar nicht an, sondern es bedarf stets einer Einwilligung. Was mich jetzt verwundert, wollte man dem Minderjährigen die Wirksamkeit einer potentiellen
Tilgungsbestimmungin Abrede stellen, so wären bereicherungsrechtliche Mehrpersonenverhältnisse doch kaum lösbar, da es hier maßgeblich auf selbige ankommt...
Lukas_Mengestu
30.7.2021, 11:58:29
Hallo ihr beiden, in der Tat wird der Streit bzgl. der realen bzw. finalen Leistungsbewirkung in Lehrbüchern und Kommentaren in der Regel im Rahmen der Erfüllung (§ 362 BGB). Da das BGB indes insgesamt ein kohärentes System bildet, liegt es nahe, die Leistung im Erfüllungsrecht ebenso auszulegen wie im Bereicherungsrecht („Identitätsthese“). Denn wenn man ohne
Tilgungsbestimmung„erfüllen“ kann, müsste man auch ohne
Tilgungsbestimmungleisten können. (MüKo-BGB/Schwab, 7. A. 2017, § 812 Rn. 55). Sofern man dem BGH also dahingehend folgt, dass die Erfüllung ein rein tatsächlicher Akt ist, liegt auch hinsichtlich der „Leistung“ noch nicht einmal eine
rechtsgeschäftsähnliche Handlungvor. Die Regelungen über Willenserklärungen finden insoweit keine Anwendung (auch nicht analog). Dogmatisch ist dies nur bedingt überzeugend. Denn der BGH setzt für eine Leistung ja eine „bewusste und zweckgerichtete“ Leistung voraus. Dass diese „Zweckgerichtetheit“ etwas anderes ist als eine
Tilgungsbestimmungist insoweit nur schwer verständlich (vgl. BeckOK BGB/Wendehorst, 58. Ed. 1.5.2021, BGB § 812 Rn. 47 f.). Folgt man dagegen der Theorie der finalen Leistungsbewirkung, so lässt sich das Ganze durchaus einfacher auflösen. In der Tat handelt es sich bei der
Tilgungsbestimmungdann um eine
geschäftsähnliche Handlung, auf die u.a. die Regelungen des Minderjährigenrechts Anwendung finden. Auch bei einseitigen Rechtsgeschäften kommt es hierbei auf die Frage an, ob diese
rechtlich vorteilhaftsind. Denn § 111 BGB gilt nur für einwilligungsbedürftige, einseitige Rechtsgeschäfte. Rechtsgeschäfte, die dem Minderjährigen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen oder für ihn neutral sind, sind nicht einwilligungsbedürftig (zB die Kündigung eines zinslosen Darlehens, BeckOGK/Duden, 1.4.2021, BGB § 111 Rn. 7). Was heißt das nun für unseren Fall? Geht man davon aus, dass die
Tilgungsbestimmungnicht benötigt wird, so kann K unproblematisch leisten. Die §§ 104 ff. finden keine Anwendung. Verlangt man dagegen eine
Tilgungsbestimmung, so dürfte auch hierin lediglich ein rechtlicher Vorteil zu sehen sein, der keiner Einwilligung bedarf. Dabei ist zu beachten, dass man die
Tilgungsbestimmungvon der Verfügung über das Geld trennt. Die isolierte
Tilgungsbestimmungist
lediglich rechtlich vorteilhaft, da diese darauf gerichtet ist, dass K von einer Forderung befreit wird. Dass er die nachteilhafte Verfügung über das Geld nur mit Zustimmung seiner Eltern bewirken kann, ist im Hinblick auf die Wirksamkeit der
Tilgungsbestimmunginsoweit irrelevant (vgl. Thomale, Leistung als Freiheit, Erfüllungsautonomie im Bereicherungsrecht, S. 44). In Mehrpersonenverhältnissen haben wir ebenfalls nach beiden Theorien kein Problem. Da der Minderjährige in diesen Konstellationen neutrale Geschäfte ausführt, kommt § 111 BGB nicht zum Einsatz. Denn neutrale Geschäfte sind nicht einwilligungsbedürftig. Einen guten Überblick zur
Tilgungsbestimmungfindet ihr auch bei Engelke/Luft, Die
Tilgungsbestimmung- das unbekannte Wesen, ZJS 2020, 113. Beste Grüße, Lukas – für das Jurafuchs-Team
Hugo
14.8.2021, 20:39:44
Was hat das jetzt mit dem Fall zu tun? :x
gelöscht
25.6.2021, 16:37:09
Ein 13 Jähriger kann durchaus in einem vermögende Haushalt jeden Monat 400€ oder mehr bekommen, von daher ist es zumindest diskutabel, ob der §110 BGB nicht greift. Und nicht einfach pauschal abzulehnen. Oder?
Ferdinand
26.6.2021, 08:09:27
Der Kaufpreis lag hier bei 700€. Kaum ein 13-Jähriger wird wohl eine solche Summe zur freien Verfügung erhalten haben. Da der Sachverhalt hier keine Anhaltspunkte liefert, die etwas anderes indizieren, könnte man das m.E. Hier ganz knapp feststellen. Man kann ja bei der Sachverhaltsauslegung nicht ohne weiteres von einem absoluten Ausnahmefall ausgehen. Selbst wenn man das hier problematisieren würde, sollte man es in meinen Augen relativ knapp abhandeln, da es im Ergebnis eine klare Sache ist.
gelöscht
26.6.2021, 09:09:47
Sehe ich anders: Was ist mit Erspartem, Firmungs oder Kommunionsgeld, dass zur freien Verfügung steht. Anders gefragt: Woher hat er 700€ - wenn nicht aus einem ordentlichen Bezug der ihm frei zur Verfügung steht... Daher denke ich auch nicht dass es ein absoluter Ausnahmefall ist, dass ein 13 Jähriger 700€ zur Verfügung hat. Die 400€ hatte ich angeführt als Beispiel, dass er sich dann mit 2 Monaten Taschengeld aus freier Verfügung dieses Gerät kaufen könnte. KLAR, es ist nicht der Schwerpunkt des Falls, aber ich bin nur daran aufgestoßen, dass in der Falllösung die Problematik des §110 in der Lösung einsilbig abgehakt wird obwohl im SV nicht hervorgeht, dass er das Geld nicht zur freien Verfügung hat. Ist für mich etwas unsauber. Ein Satz im SV wie "K bekommt 100€ Taschengeld pro Monat, soll aber darüber hinausgehende Ausgaben mit seinen Eltern absprechen" wäre für mich dann unproblematisch um den §110 in der Lösung zu abzulehnen. Vielleicht übersehe ich aber auch etwaige Grenzen vom §110, wenn ja würde ich mich über eine Erläuterung freuen.
gelöscht
26.6.2021, 09:10:38
Danke zunächst auch für deine Antwort Ferdinand!
Ferdinand
26.6.2021, 17:28:05
Meines Erachtens müsste bei solchen Beträgen immer ein Hinweis im Sachverhalt gegeben sein, dass die Eltern das Geld tatsächlich zur freien Verfügung überlassen. Dabei ist unerheblich, woher das Geld kommt, also ob es sich um Taschengeld oder Geldgeschenke handelt. „Auch bei der Geldüberlassung durch Dritte bedarf es der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters.“ (BeckOGK). Dass das Kind Eigentümer des Geldes ist, impliziert ja nicht automatisch das Einverständnis der Eltern, dass das Kind darüber frei verfügen kann. Du hast aber grundsätzlich natürlich recht, dass das hier extrem knapp ist. Ich denke aber, dass das daran liegt, dass der Fall im Bereicherungsrecht und nicht im BGB AT angesiedelt ist. Ich schätze das ist der Grund für diese apodiktische Feststellung.
Marilena
5.7.2021, 16:28:55
Vielen Dank für Eure wertvollen Beiträge! Wir haben den Sachverhalt entsprechend ergänzt. Liebe Grüße für das Jurafuchs-Team, Marilena
cemawo
20.6.2022, 09:45:00
Also in den Verhältnissen wäre ich gerne aufgewachsen, in denen ein 13 jähriger einfach so 700 € zur freien Verfügung hat, und es kein Ausnahmefall ist...