Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen – Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG


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Die Staatsanwaltschaft in S beantragt einen Durchsuchungsbeschluss für die Praxisräume des Arztes A, weil dieser unter Verdacht des Abrechnungsbetrugs steht. Richter R erteilt im Mai 2017 einen Durchsuchungsbeschluss. Die Durchsuchung wird im Mai 2019 durchgeführt.

Einordnung des Falls

Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen – Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der sachliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG umfasst nach BVerfG auch Geschäftsräume.

Genau, so ist das!

Unter Wohnung versteht man solche Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine räumliche Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Lebens und Wirkens gemacht sind. Art. 13 Abs. 1 GG erfasst nach h.M. und Rechtsprechung des BVerfG aber auch Geschäftsräume, um den Raum des beruflichen Wirkens und die berufliche Entfaltung zu schützen. Die Praxisräume des A fallen in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG). Der sachliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.

2. Die Durchsuchung stellt einen Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG dar.

Ja, in der Tat!

Ein Eingriff liegt vor, wenn eine staatliche Stelle die räumliche Privatsphäre der Wohnung beeinträchtigt. Eine Durchsuchung ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhaltes, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder hergeben will. S möchte Nachweise zu dem möglichen Abrechnungsbetrug des A in dessen Praxis auffinden. Eine solche Durchsuchung beeinträchtigt die räumliche Privatsphäre, die die Geschäftsräume des A vermitteln. Ein Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG liegt vor.

3. Der Eingriff ist angesichts des Vorliegens einer richterlichen Durchsuchungsanordnung (Art. 13 Abs. 2 GG) gerechtfertigt.

Nein!

Durchsuchungen als qualifizierte Eingriffe in Art. 13 Abs. 1 GG bedürfen zu ihrer Rechtfertigung der richterlichen Anordnung (Art. 13 Abs. 2 GG). Nach einem gewissen Zeitablauf gewährleistet die ursprüngliche Anordnung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen der beabsichtigten Durchsuchung. Daher verliert eine Durchsuchungsanordnung nach Rechtsprechung des BVerfG nach Ablauf von sechs Monaten ihre rechtfertigende Kraft. Eine richterliche Anordnung liegt vor. Allerdings bezieht sich die Anordnung auf die Tatsachengrundlage zum Zeitpunkt ihres Erlasses. Hier sind zwischen Anordnung und Durchsuchung zwei Jahre vergangen. Die Durchsuchung ist nicht (mehr) gerechtfertigt.

4. Der persönliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.

Ja!

Träger des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG ist, wer unmittelbarer Besitzer der durch Art. 13 Abs. 1 GG sachlich geschützten Räume ist. A ist unmittelbarer Besitzer als Arzt der Praxisräume. Der persönliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.

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TAME

Tamer

13.2.2022, 12:06:34

Hallo liebes Jurafuchs-Team, ist zufälliger Weise bekannt wie das BVerfG zur Einschätzung gelangt, dass die Anordnung nach 6 Monaten ihre rechtfertigende Kraft verliert? Woraus leitet das BVerfG diese (so konkrete) Frist her? LG, Tamer

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.2.2022, 19:17:23

Hallo Tamer, aus den Entscheidungsgründen geht dies leider nicht im Detail hervor, warum das Gericht sechs Monate als Höchstgrenze bestimmt hat. Gestützt hat es die Frist ja maßgeblich auf teleologische Erwägungen und insbesondere den Hinweis, dass die richterliche Anordnung nach Ablauf eines gewissen Zeitraumes ihren Zweck nicht mehr erfüllen kann und einer Erneuerung bedarf. Bei dieser Bewertung werden sicherlich auch die Erfahrungswerte über Länge und Dauer von Strafverfahren Berücksichtigung gefunden haben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

24.3.2022, 18:25:25

Vorliegend ist ja nicht nur das Grundrecht des A aus Art. 13 I GG betroffen. Zugleich liegt wohl auch ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, im Besonderen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, seiner Patienten vor. Da es sich augenscheinlich um Eingriffe in die Intimsphäre, jedenfalls aber die Privatsphäre, der Patienten handelt, werden die Anforderungen an die Rechtfertigung sehr hoch sein. Wirkt sich dieser Umstand auch auf das Schutzniveau des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung des A aus oder sind die beiden Grundrechte isoliert zu betrachten?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.3.2022, 18:24:28

Hallo QuiGonTim, die Maßnahmen sind getrennt voneinander zu betrachten. Die Durchsuchung wird zunächst am Maßstab des Art. 13 GG gemessen. Sofern im Zuge dieser Durchsuchungsmaßnahmen nun Gegenstände beschlagnahmt werden, so ist dies am Maßstab des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu beurteilen. Auch wenn A dabei eigentlich nicht die Rechte seiner Patienten geltend machen kann (fehlende Grundrechtsbetroffenheit), so sind deren Rechte bei einem einheitlichen Datensatz dennoch bei der Frage zu berücksichtigen, ob die Beschlagnahme verfassungsgemäß erfolgt ist (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1917 - zur Beschlagnahme in einer Rechtsanwaltskanzlei/Steuerberatungsgesellschaft). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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