Öffentliches Recht

Baurecht: Bauplanungsrecht

Beplanter Innenbereich (§ 30 BauGB)

Funktionsweise der Zulässigkeit eines Vorhabens nach Maßgabe eines Gebiets i.S.d. BauNVO (Ausnahme)

Funktionsweise der Zulässigkeit eines Vorhabens nach Maßgabe eines Gebiets i.S.d. BauNVO (Ausnahme)

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Immobilienhai E ist Eigentümer eines Grundstücks, das im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegt und das er mit dem ersten Supermarkt in diesem Gebiet bebauen möchte. Die Umgebung ist als reines Wohngebiet ausgewiesen.

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Einordnung des Falls

Funktionsweise der Zulässigkeit eines Vorhabens nach Maßgabe eines Gebiets i.S.d. BauNVO (Ausnahme)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 30ff. BauGB sind anwendbar.

Ja, in der Tat!

Die Vorschriften zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit (§§ 30-37 BauGB) finden gemäß § 29 Abs. 1 BauGB auf Vorhaben Anwendung, welche die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Gegenstand haben. Damit die Errichtung des Supermarkts ein Vorhaben i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB ist, muss es sich bei ihm um eine bauliche Anlage handeln. Eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB setzt voraus, dass die Anlage (1) in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden wird und (2) bodenrechtliche Relevanz aufweist. Der zu errichtende Supermarkt ist eine auf Dauer künstlich mit dem Erdboden verbundene Anlage. Sie ist zudem geeignet, Belange i.S.d. § 1 Abs. 5, Abs. 6 BauGB zu berühren, so dass das Vorhaben auch bodenrechtliche Relevanz aufweist. Auch wenn - wie hier - die Anwendbarkeit der §§ 30 ff. BauGB offensichtlich ist, musst du diesen Prüfungspunkt in der Klausur immer ansprechen und zumindest kurz subsumieren.
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2. Bauplaungsrechtlich zulässig ist Es Vorhaben, wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist (§ 30 Abs. 1 BauGB).

Ja!

Nach § 30 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans zulässig, wenn (1) das Vorhaben den Festsetzungen nicht widerspricht und (2) die Erschließung gesichert ist. Einschlägiger Prüfungsmaßstab ist hier § 30 Abs. 1 BauGB, weil Es Grundstück im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegt. Im Klausursachverhalt ist in aller Regel angegeben, dass die Erschließung gesichert ist. Trotzdem darf dieser Prüfungspunkt in deinem Gutachten nicht fehlen.

3. Ob Es Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht, ist am Maßstab der § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 2 BauNVO zu prüfen.

Genau, so ist das!

Setzt die Gemeinde die Art der baulichen Nutzung fest, indem sie ein Baugebiet nach § 1 Abs. 2 BauNVO ausweist, beurteilt sich die Frage der Planwidrigkeit des Vorhabens unmittelbar nach den §§ 2-14 BauNVO. Die Vorschriften der §§ 2-14 BauNVO sind dann gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans.Die Gemeinde hat für das Umfeld von Es Grundstück ein reines Wohngebiet und damit ein Baugebiet nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 2, 3 BauNVO festgesetzt.Den Baugebieten der BauNVO liegt eine einheitliche Systematik zugrunde. In Absatz 1 der jeweiligen Norm in §§ 2-14 BauNVO findet sich die Charakterisierung des Plangebiets. Welche Vorhaben typischerweise mit diesem Charakter gut vereinbar und deshalb grundsätzlich zulässig sind, regelt Absatz 2 der jeweiligen Norm. Absatz 3 ist zu entnehmen, welche Vorhaben ausnahmsweise zugelassen werden können.

4. Da das Vorhaben des E den Festsetzungen des Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung widerspricht, ist es endgültig unzulässig.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Vorhaben, das den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht, also nicht allgemein zulässig ist, kann trotzdem ausnahmsweise zulässig sein. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen Ausnahmen (§ 31 Abs. 1 BauGB) und Befreiungen (§ 31 Abs. 2 BauGB). Ausnahmen sind bereits im Bebauungsplan vorgesehen. Dies sind insbesondere die jeweils in Absatz 3 der einzelnen BauNVO-Baugebiete normierten Ausnahmen, da die Ausnahmen nach der BauNVO unmittelbarer Bestandteil des Bebauungsplans sind (§ 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO). Mit Befreiungen werden die Festsetzungen des Bebauungsplans hingegen - anders als bei Ausnahmen - durchbrochen.Supermärkte sind im reinen Wohngebiet keine allgemein zulässige Art der baulichen Nutzung nach § 3 Abs. 2 BauNVO, sondern allenfalls ausnahmsweise zulässig nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO. Es Vorhaben kann also nur über eine Ausnahme oder Befreiung zulässig sein. Die §§ 31f. BauGB sollen für Einzelfallgerechtigkeit sorgen.

5. Eine Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans kommt in Betracht, wenn diese in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen ist (§ 31 Abs. 1 BauGB).

Ja!

Kann ein Vorhaben nach Maßgabe der Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans i.V.m. den Regelungen der BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden, so kommt § 31 BauGB zur Anwendung. Nach § 31 Abs. 1 BauGB können Ausnahmen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan ausdrücklich vorgesehen sind. Ausdrücklich vorgesehen sind die Ausnahmen nach Absatz 3 des jeweiligen BauNVO-Baugebiets. Denn diese sind unmittelbarer Bestandteil des qualifizierten Bebauungsplans (§ 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO). Anders als bei Vorhaben, die nach den Festsetzungen immer zulässig sind, müssen Vorhaben, die nach den Festsetzungen nur ausnahmsweise zulässig sind, immer noch die Schwelle des § 31 BauGB überwinden.

6. Die von E geplante Errichtung des Supermarktes ist im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung wegen einer Ausnahme zulässig (§ 31 Abs 1 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 BauNVO).

Genau, so ist das!

Eine Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans kommt in Betracht, wenn diese in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen ist (§ 31 Abs. 1 BauGB). Der Bebauungsplan setzt ein „reines Wohngebiet“ fest. Da hierdurch die Bestimmungen der BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans werden (§ 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO), gelten auch die dort ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen für Vorhaben in reinen Wohngebieten nach § 3 Abs. 3 BauNVO. Ausnahmsweise zulässig sind in reinen Wohngebieten unter anderem Läden (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 BauNVO). Darunter fallen auch Supermärkte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Helena

Helena

14.2.2022, 14:41:39

Es wäre vielleicht nicht schlecht im Fall darauf hinzuweisen, dass es dort bisher keinen Supermarkt gibt. Wäre das jetzt der vierte Supermarkt, der in dem Wohngebiet gebaut werden sollte, würde die Ausnahme des Abs. 3 ja nicht mehr greifen. 

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.2.2022, 18:02:58

Danke Helena, wir haben das in den Sachverhalt mit aufgenommen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PH

Philippe

11.7.2022, 19:45:09

Im Ergebnis ist das sicherlich richtig, doch dass die Ausnahme nach § 3 III BauNVO nicht mehr greifen würde (der Tatbestand also nicht erfüllt ist), sehe ich nicht ganz. Der Wortlaut setzt ja lediglich voraus, dass der Laden der Versorgung der Bevölkerung "dient", nicht aber, dass er hierfür auch "notwendig" oder "erforderlich" ist. Demzufolge wäre es dann wohl eher eine Frage des Ermessens bzw. von § 15 I 1 BauNVO ("Anzahl") oder sehe ich das falsch?

Dogu

Dogu

9.3.2024, 16:50:17

@Philippe sehe ich auch so.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

21.5.2022, 13:41:57

Auch hier heißt es in einer These aus Versehen „es Vorhaben“ anstelle „das Vorhaben“ 😇 (Erste These zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit).

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.5.2022, 13:08:16

Vielen Dank für den Hinweis, Tigerwitsch. Beim ersten Lesen könnte man in der Tat meinen, hier habe sich ein Fehler eingeschlichen. Gemeint ist hier aber spezifisch: das von E geplante Vorhaben, kurz: Es Vorhaben. Das Genetiv-s wird im Deutschen anders ohne Apostroph angehängt, sonst würde es noch deutlicher werden (E's Vorhaben). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Tigerwitsch

Tigerwitsch

22.5.2022, 13:10:30

Achsoo, okay 😅 Da hat sich das alles geklärt, ebenso meine anderen Nachrichten ;) Danke für die Antwort, jetzt ist es klar 😇

Marceli

Marceli

27.2.2023, 16:01:25

Was sind denn die Anforderungen des § 31 I BauGB ? Letztendlich doch nur, dass das Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde, oder?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

24.3.2023, 10:55:13

Hallo Marceli, danke für deine Frage.

§ 31 Abs. 1 BauGB

setzt voraus, dass die Ausnahmen im Bebauungsplan nach Art und Umfang vorgesehen wurden. Dann entsteht ein Ermessen, wobei dieses reduziert ist wenn tatsächlich alle Voraussetzungen vorliegen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Marceli

Marceli

4.7.2024, 23:44:33

Inwiefern ist das Ermessen hier reduziert? :)

DIAA

Diaa

20.8.2023, 16:22:29

Wie baut man dann §

31 BauGB

in die Prüfung ein?

SN

Sniter

23.8.2023, 22:56:15

Ich würde wie folgt vorgehen: Du bist bei der Frage nach der Vereinbarkeit des Vorhabens mit Bauplanungsrecht: 1) Liegt eine bauliche Anlage iSd § 29 I BauGB vor? 2) In welchem Bereich sind wir unterwegs (Planbereich, § 30; Innenbereich, § 34; Außenbereich, § 35). Dann entscheidest Du dich für den Planbereich, weil ein

qualifizierter Bebauungsplan

vorliegt. 3) Vereinbarkeit (+), wenn die

Erschließung gesichert

ist und das Vorhaben mit den Festsetzungen des Bebauungsplans vereinbar ist, § 30 I BauGB. 3a) Erschließung schnell abhaken; mE nicht so klausurrelevant im 1. StEx. 3b) Festsetzungen des Bebauungsplans. Hier prüfst Du erst, ob das Vorhaben unter die Regelbebauung (§ X Abs. 2 BauNVO) fällt. Dies lehnst Du ab. 3c) Dann prüfst Du, ob das Vorhaben als Ausnahme (§ X Abs. 3 BauNVO, § 31 I BauGB) fällt.

YODA

Yoda

21.7.2024, 19:08:34

Bedeutet es, dass im konkreten B-Plan und in unserem Klausur-SV ausdrücklich drin steht, dass zB Läden (Supermärkte) ausnahmsweise zugelassen werden können? Hier im SV stand ja gar nichts davon, dass der B-Plan diese ausdrücklich ausnahmsweise vorsieht. Also wäre meine Subsumtion gewesen, dass die Hürde des § 31 I BauGB nicht erfüllt ist. Oder reicht es bereits, wenn der B-Plan “Reines Wohngebiet” festsetzt, sodass allein deshalb § 31 I BauGB hinsichtlich zB Läden (Supermärkte) erfüllt ist?

YODA

Yoda

21.7.2024, 19:22:32

Ok nach mehrmaligem Lesen bin ich mir relativ sicher, dass Letzteres stimmt. Ich verstehe nur nicht ganz warum § 31 I BauGB dann eine “Hürde” sein soll und was generell sein Sinn ist. Man hat schlicht keinen gebundenen Anspruch, sondern nur einen

Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung

oder wie?

L.G

L.Goldstyn

23.8.2024, 16:30:00

Hallo @[Yoda](248274), genau, es genügt, wenn der Bebauungsplan ein reines Wohngebiet festsetzt, denn gem. § 1 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauNVO wird § 3 Abs. 3 BauNVO damit Bestandteil des Bebauungsplans. Deine Frage nach dem Sinn und Zweck von

§ 31 Abs. 1 BauGB

kann ich Dir ohne Nachsehen im Kommentar nicht sicher beantworten, ich schätze aber, dass die Regelung in § 3 Abs. 3 BauNVO (sowie der Parallelvorschriften für die anderen Gebiete in der BauNVO) deswegen nicht „genügt“, weil es sich dabei lediglich um eine Rechtsverordnung handelt (s. § 9a BauGB).

§ 31 Abs. 1 BauGB

dient demnach als „Ankerpunkt“ und erlaubt den Rückgriff auf die BauNVO, wenn es um die Zulassung einer Ausnahme geht. In der Tat normiert

§ 31 Abs. 1 BauGB

dabei keine gebundene Entscheidung, sondern eine Ermessensentscheidung, sodass es einen Anspruch auf Zulassung der Ausnahme nur bei

Ermessensreduktion auf Null

gibt, ansonsten besteht in der Tat nur ein

Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung

.


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