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Übereignung von Miteigentumsanteil an vermietetem Grundstück an Minderjährige

Übereignung von Miteigentumsanteil an vermietetem Grundstück an Minderjährige

9. Mai 2023

16 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zur Übereignung von Miteigentumsanteil an vermietetem Grundstück an Minderjährige (BGH, Beschluss vom 28.04.2022 – V ZB 4/21): Mutter und Vater sitzen beim Notar und wollen die Hälfte eines vermieteten Grundstücks an die minderjährige Tochter übertragen.

Vater V erwirbt die Hälfte eines vermieteten Grundstücks von F. Nun möchte er seinen Anteil schenkungsweise auf seine Tochter T übertragen. Beim Notar vertritt V die T zusammen mit Mutter M sowohl bei Abschluss des Schenkungsvertrags als auch bei der Auflassungserklärung.

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Einordnung des Falls

Der BGH hatte zu entscheiden, ob Vater V, der die Hälfte eines vermieteten Grundstücks von F erworben hat, schenkungsweise an seine Tochter T übertragen kann. Grundsätzlich ist der Eigentumserwerb an einem Grundstück für Minderjährige lediglich rechtlich vorteilhaft. Etwas anderes gilt unter anderem dann, wenn das Grundstück vermietet ist. In diesem Fall rückt der Minderjährige durch den Eigentumserwerb in die Vermieterposition ein (§§ 578 Abs. 1, 566 Abs. 1 BGB). Als Vermieter ist er unter anderem verpflichtet, die Mietsache instandzuhalten (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB). Zudem ist er einer Mängelhaftung (§§ 536, 536a BGB) ausgesetzt. Der Umfang seiner persönliche Haftung ist dabei nicht auf den Wert des Grundstücks beschränkt. Insoweit ist der Erwerb rechtlich nachteilhaft.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist der Abschluss des Schenkungsvertrags für T lediglich rechtlich vorteilhaft?

Ja!

Lediglich rechtlich vorteilhaft sind solche Rechtsgeschäfte, bei denen der Minderjährige seine rechtliche Stellung ausschließlich verbessert. Dies ist der Fall, wenn der Minderjährige nicht persönlich verpflichtet wird und kein Recht des Minderjährigen aufgehoben oder beschränkt wird. Auf eine wirtschaftliche Betrachtung kommt es nicht an. Durch den Schenkungsvertrag entstehen keine rechtlichen Verpflichtungen für T. Sie erlangt ausschließlich einen Anspruch auf Übereignung des Grundstücks.
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2. Können die Eltern ihre Tochter bei Abschluss des Schenkungsvertrags wirksam vertreten?

Genau, so ist das!

Für die elterliche Vertretungsmacht (§§ 1626, 1629 Abs. 1 S. 1 BGB) normiert § 1824 BGB Ausschlussgründe. So ist ein Vertreter bei Rechtsgeschäften mit sich selbst grundsätzlich von der Vertretung ausgeschlossen ( Verbot des Insichgeschäfts, §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 2, 181 BGB). Der andere Elternteil ist ebenfalls an der Vertretung gehindert (§§ 1629 Abs. 2 Nr. 1, 1824 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Dieser Vertretungsausschluss entspricht aber nicht dem Telos der §§ 1824 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 181 BGB, wenn eine Gefährdung der Interessen des Vertretenen ausgeschlossen ist. Bei Geschäften, die für das Kind lediglich rechtlich vorteilhaft sind, ist nach der h.M. daher der Verbotstatbestand teleologisch zu reduzieren.Der Schenkungsvertrag ist lediglich rechtlich vorteilhaft.Seit dem 01.01.2023 wird statt auf das Vormundschaftsrecht auf das Betreuungsrecht verwiesen (§ 1824 BGB n.F. = § 1795 BGB a.F.).

3. Ist die Auflassung (§ 925 BGB) eines (vermieteten) Grundstücks stets lediglich rechtlich vorteilhaft?

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich ist der Eigentumserwerb an einem Grundstück für Minderjährige lediglich rechtlich vorteilhaft. Etwas anderes gilt unter anderem dann, wenn das Grundstück vermietet ist. In diesem Fall rückt der Minderjährige durch den Eigentumserwerb in die Vermieterposition ein (§§ 578 Abs. 1, 566 Abs. 1 BGB). Als Vermieter ist er unter anderem verpflichtet, die Mietsache instandzuhalten (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB). Zudem ist er einer Mängelhaftung (§§ 536, 536a BGB) ausgesetzt. Der Umfang seiner persönliche Haftung ist dabei nicht auf den Wert des Grundstücks beschränkt. Insoweit ist der Erwerb rechtlich nachteilhaft. Auch der Erwerb eines verpachteten Grundstücks ist nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, da der Erwerber in das Pachtverhältnis eintritt (§§ 566 Abs. 1, 581 Abs. 2, 593b BGB).

4. T erwirbt nicht das komplette Grundstück, sondern lediglich einen Miteigentumsanteil an dem vermieteten Grundstück. Ist das Geschäft für T deswegen lediglich rechtlich vorteilhaft?

Nein!

Beim Erwerb von Miteigentum an vermieteten Grundstücken sind zwei Konstellationen denkbar: Es kann (1) bereits Miteigentum bestanden haben, als der Mietvertrag geschlossen wurde. (2) Es bestand zunächst ein Mietvertrag mit dem Alleineigentümer und anschließend wird Miteigentum begründet. In der ersten Konstellation wächst der Erwerber des Miteigentumsanteils in die Position des ehemaligen Miteigentümers. Für die zweite Konstellation ist der Wortlaut des § 566 Abs. 1 BGB nicht passgenau („...so tritt der Erwerber anstelle des Vermieters in die ... Rechte und Pflichten ein.“). Nichtsdestotrotz soll laut BGH aus Mieterschutzgründen im Ergebnis nichts anderes gelten (Telos). Erwirbt also jemand einen vermieteten Grundstücksanteil vom Alleineigentümer, so tritt er in die Vermieterposition (mit) ein. Als Miteigentümerin würde T in die Vermieterposition mit einrücken und so mit den Pflichten aus dem Mietvertrag belastet. Das Geschäft ist für T rechtlich nachteilig.

5. Ist die Auflassungserklärung durch V und M als Vertreter von T aber deshalb wirksam, weil sie nur der Erfüllung einer Verbindlichkeit dient (§§ 181 aE, 1824 Abs. 1 Nr. 1 aE BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 181 aE BGB und § 1824 Abs. 1 Nr. 1 aE BGB ist die Vertretungsmacht trotz Insichgeschäfts nicht ausgeschlossen, wenn es lediglich der Erfüllung einer Verbindlichkeit dient. Auch die Erfüllung einer Verbindlichkeit kann aber zu rechtlichen Nachteilen führen. In diesen Fällen ist daher nach h.M. der Tatbestand teleologisch zu reduzieren. In Erfüllung einer Verbindlichkeit sind Insichgeschäfte nur zulässig, wenn dies im Ergebnis nicht zu einem rechtlichen Nachteil führt. Die Übereignung dient der Erfüllung der Verbindlichkeit aus dem Schenkungsvertrag. Da der Grundstückserwerb für T aber rechtlich nachteilig ist, dürfen Ts Eltern sie hierbei nicht vertreten. Früher löste der BGH solche Fälle anhand der sog. Gesamtbetrachtungslehre. Diese gilt wegen Verstoßes gegen das Trennungsprinzip aber als überholt.

6. Kann die Auflassungserklärung nur wirksam werden, wenn ein Ergänzungspfleger bestellt wird?

Ja, in der Tat!

Sofern die Eltern an einer Vertretung ihres Kindes gehindert sind, bedarf es einer Genehmigung durch einen Ergänzungspfleger (§ 1809 BGB). Die Auflassung (§§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB) ist bis zur Genehmigung durch einen Ergänzungspfleger schwebend unwirksam (§ 177 Abs. 1 BGB). Diese Entscheidung eignet sich hervorragend für das Examen: Sie ergänzt den klassischen Fall einer Grundstücksschenkung an Minderjährige mit der Frage, ob die gleichen Grundsätze gelten, wenn „nur” Miteigentumsanteile übertragen werden.Der zugrundeliegende Originalfall war noch dadurch verkompliziert, dass die Vermietung nicht durch den Eigentümer, sondern durch einen Nießbraucher erfolgte. Am Ergebnis änderte dies aber nichts.
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