Ausnahme: Übermaßfrüchte

24. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von Dieb D Kühe zur Milchproduktion. D hatte diese allerdings zuvor dem E gestohlen, was K nicht wusste. Kurz darauf schlachtet K die Kühe.

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Einordnung des Falls

Ausnahme: Übermaßfrüchte

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bevor K die Kühe schlachtete, bestand zwischen E und K eine Vindikationslage.

Ja, in der Tat!

Die Vindikationslage setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. V war ursprünglich Eigentümer. Wegen § 935 Abs. 1 S. 1 BGB hat V das Eigentum auch nicht infolge der dinglichen Einigung zwischen K und D verloren. K hatte die Kühe im Besitz. Ein Recht zum Besitz ist nicht ersichtlich.
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2. E kann Nutzungsersatz nach §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB verlangen.

Nein!

Der Anspruch aus §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB setzt (1) eine Vindikationslage, (2) Ziehung von Nutzungen durch den Besitzer und (3) Bösgläubigkeit des Besitzers voraus. Zwar bestand eine Vindikationslage. K wusste allerdings nichts von der fehlenden Eigentümerstellung des D. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sie diese hätte erkennen können. Zudem war sie bei Vornahme der Nutzungen unverklagt.

3. Der gutgläubige und unverklagte Besitzer muss niemals Nutzungsersatz leisten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich soll der redliche Besitzer im EBV geschützt werden. Dies wird durch die Sperrwirkung in § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB deutlich. Allerdings gibt es einige Ausnahmen, wie etwa bei unentgeltlichem Besitz (§ 988 BGB) oder der Ziehung von sogenannten Übermaßfrüchten (§ 993 Abs. 1 Hs. 1 BGB).

4. Bei der Schlachtung der Kühe handelt es sich um Übermaßfrüchte iSd § 993 Abs. 1 Hs. 1 BGB.

Ja, in der Tat!

Übermaßfrüchte sind nach § 993 Abs. 1 Hs. 1 BGB solche, die nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft nicht als Ertrag der Sache anzusehen sind. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Früchte wirtschaftlich zur Sachsubstanz gehören oder spätere Nutzungen vorwegnehmen. Durch die Schlachtung der Kühe ist die weitere Milchproduktion unmöglich geworden. Nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft hätte K die Milchkühe zur Milchproduktion nutzen müssen.

5. E kann daher Nutzungsersatz nach §§ 993 Abs. 1 Hs. 1, 812 ff. BGB verlangen.

Ja!

Die Voraussetzungen des § 993 Abs. 1 Hs. 1 BGB sind (1) eine Vindikationslage, (2) die Redlichkeit des Besitzers, (3) die Entgeltlichkeit und (4) die Ziehung von Übermaßfrüchten. Eine Vindikationslage besteht, K ist redlich, hat die Kühe entgeltlich erworben und durch die Schlachtung Übermaßfrüchte gezogen. Die Herausgabe richtet sich nach den §§ 812 ff. BGB, wodurch dem Besitzer insbesondere die Haftungsbegrenzung des § 818 Abs. 3 BGB zugute kommt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EVA

evanici

16.9.2023, 17:06:39

Wären es keine Milchkühe, sondern Schlachtkühe gewesen, wären das dann keine Übermaßfrüchte?

ajboby90

ajboby90

17.1.2024, 23:25:24

Ja, es ist so gemeint dass die Kühe nur zur Milchgewinnung gedacht sind.

QUAR

Quarklo

20.7.2024, 07:11:09

In deinem Fall müsste er das Erlangte (das Fleisch oder bei Verbrauch Wertersatz (§ 818 II)) nach § 812 I 1 Alt. 2 leisten. Denn es handelt sich beim Schlachten um einen Eingriff in die Sachsubstanz, wodurch der § 812 I 1 Alt. 2 an die Stelle des § 985 tritt

IT

Itsajourney

20.12.2023, 20:52:06

Handelt es sich bei § 993 l, 1. HS um einen Rechtsgrund- oder einen Rechtsfolgenverweis?

LELEE

Leo Lee

25.12.2023, 14:08:23

Hallo Itsajourney, beim § 993 I 1. Hs handelt es sich um einen Rechtsfolgenverweis. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Raff § 993 Rn. 8 empfehlen :). Besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch wünscht dir das Jurafuchsteam!

IT

Itsajourney

31.12.2023, 12:55:47

Danke für die Aufklärung und ebenfalls eine schönes neues Jahr an das Jurafuchsteam :)

QUAR

Quarklo

25.7.2024, 00:11:02

Inwiefern unterscheidet sich der Fall vom

Jungbullen Fall

? Die Kuh wird ja auch zu etwas verarbeitet worden sein.

Paulah

Paulah

27.7.2024, 22:30:17

Der Betriebszweck der Kühe ist hier die Milchproduktion. Beim

Jungbullenfall

ist es die Schlachtung - mit der Milchproduktion klappt es da nicht so gut ;-)

JulianF

JulianF

17.8.2024, 18:33:50

Aber warum wird hier beim Schlachten der Kühe grundsätzlich eine Fruchtziehung angenommen, während es

Jungbullenfall

schon an der Nutzung nach §§ 987, 990 fehlt (so das Level zum

Jungbullenfall

zuvor). Beides sind Ausbeuten aus der Sache, § 99.

Paulah

Paulah

18.8.2024, 15:51:38

Ich glaube, der Unterschied ist, dass hier nicht die vorgesehenen "Früchte", sprich: die Früchte aus der Milchproduktion, gezogen werden, sondern über den normalen Ertrag hinausgehende Erträge (= Übermaßfrüchte). So steht es ja auch in den Erklärungen: "Übermaßfrüchte sind nach § 993 Abs. 1 Hs. 1 BGB solche, die nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft nicht als Ertrag der Sache anzusehen sind. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Früchte wirtschaftlich zur Sachsubstanz gehören oder spätere Nutzungen vorwegnehmen. Durch die Schlachtung der Kühe ist die weitere Milchproduktion unmöglich geworden. Nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft hätte K die Milchkühe zur Milchproduktion nutzen müssen." Nutzungen sind Erträge, die laufend aus einer Sache gezogen werden können. Ist der Bulle tot, können keine Nutzungen mehr gezogen werden, weil nur noch einmalig und nicht laufend Erträge erzielt werden können.

MEG

Megx

30.8.2024, 10:37:45

Ich hatte mir aus früheren Aufgaben zum

Nutzungsersatz

gemerkt, dass die Aufzehrung der Sache gerade keine Nutzung darstellt (zB bei Austrinken des gestohlenen Champagners) und dann der

Nutzungsersatz

nicht einschlägig ist. Warum handelt es sich bei der Schlachtung der Milchkühe also um eine Nutzung?

LELEE

Leo Lee

1.9.2024, 14:40:00

Hallo Megx, vielen Dank für die sehr gute Frage! Zunächst mal hast du völlig Recht damit, dass der SachVERbrauch keine Nutzung darstellt, da Nutzungen stets voraussetzten, dass FRÜCHTE gewonnen werden, also konkrete Erzeugnisse. D.h., bei einer Nutzung müssen am Ende Produkte vorliegen (dies ist beim Verbrauch selbst nicht der Fall). Allerdings ergeben sich bei der Schlachtung selbst sehr wohl "Früchte", da durch das verarbeitete Fleisch konkrete Erzeugnisse hergestellt werden um a.E. ein Produkt existiert (was dann eventuell auch weiterverarbeitet wird). Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Raff § 987 Rn. 6 f. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

MEG

Megx

2.9.2024, 12:05:31

Dankeschön für die schnelle Antwort, jetzt ist es mir klar! :)

LUAP

Luapzz

12.10.2024, 15:48:10

Ich verstehe nicht so wirklich, warum die Schlachtung von Milchkühen Übermaßfrüchte sein sollen? Im Sachverhalt steht zwar, dass er sie zur Milchproduktion gekauft hat und in der Subsumtion, dass er sie weiter als Milchkühe hätte verwenden müssen, aber warum entspricht nur diese Nutzung den wirtschaftlichen Regeln einer ordnungsgemäßen Nutzung? Soweit ich das aus den Angaben überblicke ist das "Schlachtfleisch" die Übermaßfrucht und die "Milch" wäre eine ordnungsgemäße Fruchtziehung, oder? Ist es nicht normal, dass Milchkühe auch regelmäßig geschlachtet werden? Der Sachverhalt müsste natürlich ausführlicher sein, aber wenn ich es lebensnah auslege, sehe ich überhaupt kein Problem in der Schlachtung. Könnte mir jemand vielleicht ein anderes Beispiel für eine Übermaßfrucht geben, sodass ich auch diesen Milchkuhfall verstehe? Vielen Dank für eine Antwort.


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