Zivilrecht

Schadensrecht

Begrenzungen/Schadensmilderungen

Berücksichtigung der Erbschaft bei Umfang des Unterhaltsanspruchs aus § 844 Abs. 2 BGB

Berücksichtigung der Erbschaft bei Umfang des Unterhaltsanspruchs aus § 844 Abs. 2 BGB

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

S ist die 12-jährige Tochter der verwitweten Mutter M. Verkehrsrowdy R verletzt die M bei einem Straßenrennen tödlich. M hatte ein Vermögen von €1 Mio. Die monatlichen Zinsen verbrauchte die M in der Vergangenheit sofort für ihre Lebenshaltung und den Unterhalt der S.

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Einordnung des Falls

Berücksichtigung der Erbschaft bei Umfang des Unterhaltsanspruchs aus § 844 Abs. 2 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S kann von R grundsätzlich den entgangenen Unterhalt, den sonst die M getragen hätte, verlangen (§ 844 Abs. 2 BGB).

Ja!

Wer für den Tod eines Menschen verantwortlich ist, muss den kraft Gesetzes Unterhaltsberechtigten den Unterhaltsschaden ersetzen (§ 844 Abs. 2 BGB). S hat deshalb gem. § 844 Abs. 2 BGB gegen R einen Schadensersatzanspruch wegen des entgangenen, nach unterhaltsrechtlichen Vorschriften zu berechnenden Unterhaltsanspruch.
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2. Mit der Tötung zusammenhängende Vorteile sind generell auf den Schaden der S anzurechnen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ob ein Vorteil schadensmindernd zu berücksichtigen ist, richtet sich nach einer wertenden Entscheidung (Vorteilsausgleichung). Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung werden bei der Schadensberechnung Vorteile nur dann schadensmindernd berücksichtigt, wenn (1) der Vorteil mit dem schädigenden Ereignis in einem adäquaten Kausalzusammenhang steht und (2) nach dem Zweck der verletzten Norm die Berücksichtigung des Vorteils dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Liegen die Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung vor, wird der zu ersetzende Schaden automatisch in Höhe des erlangten Vorteils herabgesetzt.

3. Die Erbschaft steht mit der Tötung der M in einem adäquaten Kausalzusammenhang.

Ja, in der Tat!

BGH: Es genüge, dass das schädigende Ereignis, nämlich die Tötung, den Eintritt des Vorteils, hier der Erbfolge, adäquat - wenn auch unter "Mitwirkung" des Verwandtschaftsverhältnisses - zur Folge hatte. Es reiche aus, dass Schaden und Vorteil aus mehreren, der äußeren Erscheinung nach selbständigen Ereignissen fließen, soweit nur das schädigende Ereignis allgemein geeignet war, derartige Vorteile mit sich zu bringen. Es bestehe somit einen adäquater Kausalzusammenhang zwischen der Tötung des Erblassers und den auf gesetzlichem Erbrecht beruhenden Anfall des Vermögens an sein Kind.

4. Eine Anrechnung des geerbten Vermögens entlastet den Schädiger stets unangemessen.

Nein!

Da der Nachlass als solcher dem Erben früher oder später ohnehin zugewachsen wäre, besteht der durch die Tötung erlangte Vorteil nicht im Wert der Erbschaft selbst, sondern im früheren Zeitpunkt der Erbschaft. Daraus folgt: (1) Der Stammwert (hier: €1 Mio.) wird grundsätzlich nicht angerechnet, denn diesen hätte der Erbe ohnehin erhalten. (2) Die Erträge des Vermögens (bspw. Zinsen) werden grundsätzlich angerechnet, weil der Erbe diese bis zum gewöhnlichen Zeitpunkt des Erbfalls nicht erhalten hätte. Hierbei werden zwei Ausnahmen gemacht: (1) Der Vermögensstamm wird ausnahmsweise doch angerechnet, soweit aus ihm die zukünftigen Unterhaltsleistungen bestritten worden wären, denn sonst würde der Geschädigte doppelten Unterhalt erhalten (aus der Erbschaft und vom Geschädigten). (2) Die Erträge werden nicht angerechnet, soweit sie nicht für den Familienunterhalt verbraucht, sondern zur weiteren Vermögensbildung eingesetzt worden wären, denn dies hätte der Erbe dann selbst auch erhalten.

5. Auf den Schaden der S sind hier die Erträge der Erbschaft anzurechnen.

Genau, so ist das!

(1) Eine Anrechnung des Stammwerts findet hier nicht statt, weil S diesen ohnehin erhalten hätte. Aus dem Stammwert wurden keine Unterhaltsleistungen bestritten. (2) Die Erträge der Erbschaft sind anzurechnen, weil die Zinsen von ihrer Mutter verbraucht worden wären, S sie also nicht erhalten hätte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SI

Simon

12.7.2023, 12:48:27

Ich frage mich, wie es mit der Auszahlung der Lebensversicherung an die Hinterbliebenden aussieht. Gibt es dort Besonderheiten?

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

25.5.2024, 11:27:26

Liebes Team, erst mal vielen Dank für die Aufbereitung des Falles! ich hätte einen Vorschlag zur verständlicheren Formulierung, der ansonsten sehr guten Erklärung zur Anrechnung der Erbschaft. Es wird zwischen Stammwert und Zinsen differenziert, was auch völlig nachvollziehbar ist. Allerdings ist mir nicht ganz klar, weshalb ihr die Anrechnung des Stammwertes als Ausnahme bezeichnet und die Anrechnung der Zinsen hingegen als Regelfall. Diese folgen doch beide dem gleichen Grundsatz, dass eine Anrechnung erfolgt, wenn der Erblasser sie zu Lebzeiten verbraucht hätte, da dann eine unangemessene, doppelte Begünstigung des Geschädigten entstünde. Bei der Erklärung zu den Zinsen formuliert ihr deshalb mit einer doppelten Verneinung, die es eigentlich nicht bräuchte, wenn man die Anrechnung auch dort als Ausnahme sieht. Das verwirrt mich beim Wiederholen des Falles jedes Mal und ich könnte mir vorstellen, dass es auch anderen so geht. Mir ist auch nicht ganz klar, warum der Verbrauch der Zinsen als Regelfall gesehen wird, des Stammwertes aber nicht. Ob die Erträge des eigenen Vermögens zum weiteren Vermögensaufbau genutzt werden, ist doch höchst individuell, genau wie der Verbrauch des eigenen Vermögens. Dort dann eine Ausnahme zu sehen, finde ich ein wenig willkürlich. Ich fände die Erklärung zudem deutlich verständlicher, wenn man zunächst klarstellt, das Stammwert und Zinsen getrennt betrachtet werden müssen. Und anschließend die Beurteilung einfach nach dem Verbrauch zu Lebzeiten erfolgt, ohne die Behauptung von Regel und Ausnahme und ohne doppelte Verneinung. Man kommt auch so zu den gleichen Ergebnissen, differenziert nach dem entscheidenden Kriterium und nennt die richtigen Argumente. Dabei ist es aber verständlicher und auch leichter zu merken als zwei verschiedene Grundsätze mit jeweiliger Ausnahme aus letztlich dem gleichen Grund. Sagt mir gerne, falls ich da etwas übersehe und man so „kompliziert„ vorgehen muss, wie in der Erklärung. Vielen Dank für Eure Mühe und beste Grüße!

LO

Lorenz

5.11.2024, 17:02:34

Ausgangspunkt: Schädiger muss Unterhalt tragen. Kann er geltend machen, dass T als Jungmillionärin finanziell jetzt sogar besser steht und seine Verpflichtung schmälern? 1. Zufluss Stammwert: Nein, da das Vermögen ohnehin an die Erbin gegangen wäre, wenn auch in 30+ Jahren. 2. Zufluss Zinserträge: Ja, da T zu Lebzeiten der M nicht über diese verfügen konnte; nun schon. Ausnahmen: 1. Wenn der Stammwert bis zur Erbschaft aufgrund des Unterhaltsbedarfs abgeschmolzen gewesen wäre, ist anzurechnen, da T nie Millionärin geworden wäre. 2. Wenn die Zinserträge nicht verbraucht worden wären, hätte T später 1,5 mio. geerbt, hätte also später über 1,5 mio verfügen können. Eine Anrechnung erfolgt daher nicht.

G0D0FM

G0d0fMischief

5.11.2024, 10:10:26

Auf das Erbe fällt jedoch eine Erbschaftssteuer an, da es den steuerfreien Betrag von 400.000€ überschreitet. Müsste nicht zumindest diese Differenz im Schaden berücksichtigt werden? Ich habe mal nachgeschaut, bei 1.000.000€ wären das 90.000€ die an den Fiskus gehen und damit nicht mehr verzinst werden können.

LO

Lorenz

5.11.2024, 17:03:44

Kann sich der Schädiger bei hohen Zinserträgen komplett befreien lassen, da sie den Unterhalt komplett abdecken?


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