Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Klassiker im Öffentlichen Recht
Mephisto-Entscheidung
Mephisto-Entscheidung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Klaus Manns Roman „Mephisto“ schildert Aufstieg und Karriere des opportunistischen Schauspielers Hendrik Höfgen in Nazideutschland. Erkennbare Vorlage war der echte Schauspieler Gustaf Gründgens. Dessen Alleinerbe erwirkt ein Verbot gegen Verleger V, „Mephisto“ zu veröffentlichen.
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Einordnung des Falls
Der „Mephisto“-Beschluss ist eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). In der Entscheidung von 1971 definiert das BVerfG den Schutzbereich der Kunstfreiheit und äußert sich detailliert ihren Schranken. In der Sache ging es um die Frage, ob der Roman „Mephisto - Roman einer Karriere“ des Schriftstellers Klaus Mann veröffentlicht werden darf. „Mephisto“ schildert Aufstieg und Karriere des opportunistischen Schauspielers Hendrik Höfgen, der zum Zweck seines Erfolgs politische Überzeugungen und ethische Vorbehalte ablegt und gemeinsame Sache mit den Nazis macht. Erkennbare Vorlage für Manns Romanfigur war der echte Schauspieler Gustaf Gründgens. Dessen Alleinerbe Peter Gorski erwirkte ein Verbot gegen den Verleger, „Mephisto“ zu veröffentlichen. Dagegen klagt der Verleger erfolglos und erhebt daraufhin Verfassungsbeschwerde. Die Entscheidung ist grundlegend für das Verständnis des vorbehaltlos gewährten Grundrechts der Kunstfreiheit. Das BVerfG nimmt eine ausführliche Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter – Kunstfreiheit des Verlegers gegen postmortalen Persönlichkeitsschutz von Gustaf Gründgens - vor und zeigt das Prüfungsprogramm zur Herstellung praktischer Konkordanz auf.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist ein Roman Kunst im Sinne der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Schützt die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) nur die künstlerische Betätigung, nicht jedoch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Berührt das Verbot, den Roman „Mephisto“ zu veröffentlichen, den Schutzbereich der Kunstfreiheit des Verlegers V?
Ja!
4. Unterliegt die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Können bei Literatur oder Schauspiel einzelne Teile der Erzählung herausgelöst und als Meinungsäußerungen qualifiziert werden, mit der Konsequenz, dass sie dem Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG unterfallen?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Die Kunstfreiheit ist ein vorbehaltslos gewährtes Grundrecht. Bedeutet dies, dass die Kunstfreiheit nicht eingeschränkt werden kann?
Nein!
7. Ist eine Kollision der Kunstfreiheit des Verlegers V mit den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern von Gustaf Gründgens vorliegend ausgeschlossen, weil Gründgens bereits tot ist?
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Ist eine Kollision der Kunstfreiheit des Verlegers V mit dem (postmortalen) Persönlichkeitsschutz von Gustaf Gründgens vorliegend ausgeschlossen, weil der Roman rein künstlerisch wirkt?
Nein, das trifft nicht zu!
9. Genießt die Kunstfreiheit - in der Kollision zwischen Vs Kunstfreiheit auf der einen Seite und Gründgens (postmortalem) Persönlichkeitsschutz auf der anderen - offenkundig den Vorrang?
Nein!
10. Ist es für die Entscheidung, ob Kunstfreiheit oder Persönlichkeitsschutz überwiegt, relevant, inwieweit das künstlerische „Abbild“ das „Urbild“ verfremdet und künstlerisch verselbstständigt?
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
🔥1312🔥
1.10.2021, 10:54:08
Kann mir jemand den Maßstab des Bverfg noch mal erklären? Gerade bei diesem Ausschnitt verstehe ich leider einfach nicht, was genau eigentlich gemeint ist: "Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das "Abbild" gegenüber dem "Urbild" durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, daß das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der "Figur" objektiviert ist"
Lukas_Mengestu
3.10.2021, 20:56:11
Hallo jolojo, hier hat das BVerfG in seiner unnachahmlichen Art in der Tat mal wieder ein besonders schönes Werk juristischer Unverständlichkeit erzeugt. Die dahinterstehende Überlegung ist dabei zumindest in der Theorie denkbar einfach. Erweckt ein Werk einen sehr stark autobiographischen Eindruck und suggeriert damit, die Realität abzubilden, so überwiegt das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Ist das Werk dagegen hinreichend verfremdet, geprägt durch die künstlerische Gestaltung und ist es insoweit lediglich angelehnt an eine reale Persönlichkeit, so überwiegt hier die Kunstfreiheit. In der Praxis ist diese Abwägung natürlich eine enorme Gradwanderung und oftmals keineswegs eindeutig. Das zeigte sich auch bei dem Mephisto-Beschluss in dem es ja letztlich sogar eine Pattsituation gab. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
🔥1312🔥
3.10.2021, 22:08:23
Danke für die gute Erklärung. Finde fast, ihr solltet das auf der letzten "slide" des Falles mitaufnehmen als Erklärung.
Faby
24.10.2021, 14:51:34
Stimme jolojo zu. Erst mit der Erklärung im Kommentar habe ich den Absatz verstanden :)
Philipp Paasch
22.6.2022, 23:53:04
Man kann es vielleicht verstehen, aber es erscheint unnötig aufgestockt. Als BVerfG-Richter muss man wohl mehr als üblich flexen.
Timurso
15.2.2023, 16:46:11
Kann man die Abwägung wie folgt zusammenfassen? Je stärker das Kunstwerk 1. verfremdet ist und 2. der Wirklichkeit entspricht, desto eher überwiegt die Kunstfreiheit. Je stärker 1. die Vorlage erkennbar ist und 2. über diese unwahre Aussagen getroffen werden, deste eher überwiegt der postmortale Persönlichkeitsschutz. Historisch akkurate Darstellungen dürften ja schließlich kaum verboten sein, selbst wenn die Person eindeutig erkennbar ist oder sogar namentlich genannt wird.
Lukas_Mengestu
15.2.2023, 18:20:52
Hallo Timurso, das trifft es schon ganz gut. Oder mit anderen Worten, wenn ein "Typus" und kein "Porträt" im Vordergrund steht, hat der Künstler einen größeren Gestaltungsspielraum und kann eben auch Dinge hinzudichten. Je mehr das Werk in Richtung "Porträt" geht, desto eher muss er sich an die Fakten halten und darf den Porträtierten gerade kein "negativ-verfälschendes Porträt" erstellen. Die Grenzen sind hier aber natürlich absolut fließend, was auch die Pattentscheidung des Gerichts in dem hier behandelten Fall sehr eindrücklich zeigt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team